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Ausgabe:

1896 Nr. 25

Spalte:

643-645

Autor/Hrsg.:

Lietzmann, Hans

Titel/Untertitel:

Der Menschensohn. Ein Beitrag zur neutestamentlichen Theologie 1896

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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643 Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 25. 644

Entwicklung Ift von unterem Verf. in einem Umfange und
in einer VolKtändigkeit zur Darfteilung gebracht, durch
welche die Grenzen des eigentlichen Themas, der Fremdenfrage
, weit überfchritten werden. — Der Verf. bezeichnet
fein Buch als eine Erftlingsarbeit. Für eine folche zeigt
es eine überrafchende Reife des Urtheils und Befähigung
der Bewältigung grofser Stoffmaffen. —

Auf Einzelheiten wollen wir nicht weiter eingehen,
da damit zu viel Raum weggenommen werden würde.
Nur ein paar Notizen feien geftattet. S. 32 wird "iy3 der
gewöhnliche Ausdruck für „Krieger" genannt. Beffer
wäre wohl zu fagen, dafs es auch in diefem Sinne
gebraucht wird. — S. 57. Zur Frage des Matriarchats
wäre auch G. A. Wilken, das M. bei den Arabern, Leipzig
1884, zu beachten. — Auf S. 99 wäre der feltfame Druckoder
Schreibfehler zu befeitigen: Philo de praemiis et
poenitentia ftatt de pr. et poenis. — Zu S. 157 ift zu
bemerken, dafs die vom Verf. zu I K 17, 1 vorgefchlagene
Emendation bereits von Stade (im Lexikon von Siegfried-
Stade f. v. aTDin) gemacht worden ift. — S. 194 ift bei
der Befprechung von IT die Stelle Hi. 19, 27 unbeachtet
geblieben. — S. 200.' Zu Koheleth machen wir noch

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faffer und gleichzeitig auch Eerdmans), nicht alfo, wie
man gewöhnlich meint, als Meffiastitel zu nehmen fei.
Mindeftens beweifen die bezüglichen Stellen, dafs ,das
Bild des Mefliasmenfchen' (S. 45) aus Daniel flammt
(vgl. auch S. 92). Auch im Griechischen ift der von LXX
geprägte Ausdruck allerdings zunächft nichts weiter als
Umfchreibung für av&Qwnng. Der fehr verdienftvolle
dritte Abfchnitt (,Menfchenfohnl im Griechifchen: S. 51
—80), welcher das nachweift, bringt eine intereffante
Gefchichte des Terminus in der altkirchlichen Literatur
mit dem Refultate, dafs derfelbe als Meffiastitel nach
den neuteftamentlichen Gefchichtsbüchern erft wieder
theils in den ignatianifchen Briefen, theils bei Marcion
und andern Gnoftikern auftaucht und für Irenaus und
Tertullian als dogmatifcher Ausdruck zur Bezeichnung
der menfehlichen Natur in Chriftus dient. Sollten die
oben dargelegten Refultate des Verfaffers ebenfo unum-
ftöfslich fein, fo wäre auch die im vierten Abfchnitt
(.Menfchenfohn' in der Verkündigung Jefu und bei den
Synoptikern; S. 81—95) gezogene Confequenz unvermeidlich
, dafs Jefus eine aramäifche Formel, die nun
einmal keine Einzelperfönlichheit bezeichnen darf, auch

aufmerkfam auf P. Haupt, the book of ecclesiastes, Phzla- nicht als Selbftbezeichnung gebraucht haben kann. In

delphia 189p

Jena. C. Siegfried.

Uetz mann, Hans, Der Menschensohn. Ein Beitrag zur
neuteftamentlichen Theologie. Freiburg i. B., J. C. B.
Mohr, 1896. (VIII, 95 S. gr. 8.) M. 2 -

Die auf Anregung Grafe's gefchriebene Abhandlung
giebt in ihrem erften Abfchnitt (Einleitung: S. 1—19) eine
Ueberficht über die bekannteften Verfuche, den Terminus
6 i'ihgzoi üi Oqwzcov zu erklären, welche dem Verf. freilich
angefichts der neuerdings in den Vordergrund getretenen
Frage nach dem aramäifchen Aequivalent veraltet fchei-

nen. Damit bekennt er fich alfo zu dem allgemeinen bezeichnung des Herrn' (S. 93).

Refultat von A. Meyer's Buch über Jefu Mutterfprache', 1 Bei aller Anerkennung für die fcharffinnige und ge

der That kann man bei einer ganzen Reihe von Stellen
mit der allein nachweisbaren Bedeutung von barnasch
als Gattungsname auskommen. Die Thatfache, dafs der
entfprechende griechifche Ausdruck aus einer einfachen
Umfchreibung für uvö-gconng zu einer Bezeichnung des
Meffias geworden ift, würde ihre einfachfte Erklärung
dann in der Hypothefe finden, dafs fich fchon frühe im
Hinblick auf Dan. 7, 13 eine apokalyptifche Redeweife
bildete, in welcher Jefus als der in der Wolke des
Himmels kommende Meffias erfchien. So in den apo-
kalyptifchen Stücken Marc. 13, 26 = Matth. 24, 27, 30
(37» 39. 44) = Luc. 21) 27 (36). ,Da nun diefe Offenbarungen
den Charakter von Herrenreden trugen, wurde
Menfchenfohn aus einer Bezeichnung zu einer Selbft-

indem er daffelbe zugleich auf einem einzelnen Punkt
zu ergänzen, zu verbeffern und zu erhärten unternimmt;
diefer eine Punkt betrifft den dem v'iög rov ävtrpwzr.ov
formell entfprechenden Ausdruck barnasch (das Com-
pofitum ,Sohn des Menfchen' im Aramäifchen durchaus
das Simplex ,Menfch' vertretend), worin er ,ein viel zu
alltägliches, abgefchliffenes Wort' erkennt, um etwa in
der Ueberfetzung ,der Menfch' als Ausdruck des vollen
Menfchbewufstfeins Jefu (Uloth, Lagarde, Wellhaufen)
gelten zu können (S. 26f., 81 f.), während es articulirt
im Sinne eines Erfatzes für ,Ich' (theilweife Meyer) kaum
nachzuweifen und in der Bedeutung Jemand' (theilweife
Meyer) vollends unverträglich ift mit dem meffianifch-apo-
kalyptifchen Gehalt der Hauptftellen, welche den Ausdruck
bieten (S. 27k, 82h). ,Es ift vielmehr fchlechterdings unmöglich
, in den Worten von der Wiederkunft, der Herrlichkeit
und dem Leidenmüffen des Menfchenfohnes
etwas anders zu fehen, als Auslagen über Jefus felbft
und zwar fpeciell über feine meffianifche Würde' (S. 85).
Nun kann aber unferm Verfaffer zufolge barnascha fo
wenig ein Meffiastitel fein, wie eine Selbftbezeichnung.
Ich bin nicht im Stande, der zu folchem Refultat führen

lehrte Leiftung, welche ein noch im akademifchen Studium
begriffener junger Mann zu bieten vermochte, glaube ich
doch nicht, dafs damit das letzte Wort gefprochen ift.
Ich habe die Krifis, welche damit und fchon vorher mit
Wellhaufen's Auftreten auf diefem Punct unferer neuteftamentlichen
Forfchung eingetreten ift, in meinem
.Lehrbuch der neuteftamentlichen Theologie' I, S. 256f.,
263f. anerkannt, dabei aber es für mindeftens vorläufig
geboten erachtet, die Selbftbezeichnung als Menfchenfohn
als hiftorifch zu behandeln. Und zwar dies darum, weil
weder die Annahme eines Ueberfetzungsfehlers (Wellhaufen
), noch die des Hereindringens einer apokalyp-
tifchen Redeweife in die Evangelien (Lietzmann) dem
aus letzteren erkennbar werdendenThatbeftand des Lebens
Jefu gerecht zu werden vermag. Die richtige Confequenz
aus der Annahme eines fo coloffalen Mifsverftändniffes
wäre die völlige Befeitigung des meffianifchen Elementes
aus dem Leben Jefu. Darüber liefse fich allerdings reden
(vgl. das genannte Lehrbuch S. 248f.). Ich glaube aber
Gründe zu haben, wenn ich mich nicht dazu entfchliefsen
kann (S. 242, 28of., 325!.). Wird die Gefchichtlichkeit
der meffianifchen Anfprüche Jefu einmal zugegeben, fo

den sprachlichen Unterfuchung des zweiten Abfchnittes j ift nichts gewiffer, als dafs er damit felbft im engeren
.Menfchenfohn' im Aramäifchen (S. 30—50) eine felbftän- j Jüngerkreife abfichtlich erft verhältnifsmäfsig fpät herdige
Prüfung angedeihen laffen zu können. Alles wird j vorgetreten ift, und die Möglichkeit einer fo lange ge

darauf ankommen, ob und inwieweit die hier aufgebo
tenen Mittel zureichen, um den galiläifchen Sprachgebrauch
zur Zeit Jefu (S. 38: ,die farblofefte und un-
beftimmtefte Bezeichnung des menfehlichen Individuums)
zweifellos feftzuftellen. Und ebenfo wenig fcheint mir
angefichts des S. 421. erfchöpfend und richtig dargelegten
Thatbeftandes die Frage fchon vollkommen entfehieden
zu fein, ob auch in den Bilderreden des Henoch der
.Menfchenfohn' nur einfach gleich Menfch (fo unfer Verübten
Zurückhaltung fowohl, wie der dem nationalen
Ideale abfagenden Form des endlich enthüllten Meffia-
nismus hängt fo ganz an dem erft einer Entlchleierung
bedürfenden Ausdruck .Menfchenfohn' (S. 259!., 263!.),
dafs man fich den Gang des Lebens Jefu geradezu im
Widerfpruche mit der evangelifchen Berichterftattung,
ganz auf eigene Hand conftruiren müffte, um die fchliefs-
liche Entfaltung des meffianifchen Paniers unter Umgehung
der fraglichen Selbftbezeichnung überhaupt noch