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Ausgabe:

1896 Nr. 23

Spalte:

594-599

Autor/Hrsg.:

Meyer, Ph.

Titel/Untertitel:

Die Haupturkunden für die Geschichte der Athosklöster 1896

Rezensent:

Gelzer, Heinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 23.

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Judenchriften gewefen feien (vgl. dagegen Mangold, j
Römerbrief 96 u. Jülicher, Einleitung 76). Ungenügend
ift auch der Verfuch, das Prinzip 15,20 mit der That-
fache unferes Briefes und des geplanten Befuchs in Rom
dadurch auszugleichen, dafs nach act. 28,22 das Chriften-
thum dort nicht officiell und fyftematifch gepredigt worden
wäre und nur eine kleine, meift aus Fremden gebildete
Gemeinde beftanden hätte (vgl. vielmehr meine Chronologie
217 f., Einheitlichkkit 93 k). Aufserdem wird dabei
bereits vorausgefetzt, dafs Cap. 16 nach Rom gerichtet
war, obwohl doch die Gründe gegen diefe Annahme
nicht fo fchwach find, wie die Verf. meinen. Nicht nur
Aquila und Prisca weifen nachEphefus, wo wir fie vorher
und nachher (über II. Tim. 4, 19 vgl. Einheitlichkeit 154 k)
finden, nicht nur Epänetus heifst anaoyj) rrjg Aoiag «ig
Xoiaznr, fondern auch Andronicus und Junias müffen im
Often Paulus' Mitgefangene gewefen fein, Urbanus fein
Mitarbeiter, die Mutter des Rufus feine Pflegerin, ja auch
Ampliatus, Stachys u. Perlis, die befonders als feine
Geliebten bezeichnet werden, find wohl dort mit ihm
zufammen gewefen: kurz, ,man mufs eine Art von Völkerwanderung
aus den paulinifchen Gemeinden des Oftens
nach Rom vorausfetzen, um lo viele Freunde des Apoftels
in Rom begreiflich zu finden' (Jülicher 73). Dagegen
beweifen die fchon von Lightfoot (Philippians 169ff.)
ins Feld geführten Infchriften namentlich aus den
Columbarien für Mitglieder des kaiferlichen Haushalts
fchlechterdings gar nichts; denn die meinen dort vorfind-
lichen Namen kommen auch in Kleinafien und auf den
griechifchen Infein vor, nämlich aufser den fchon vonLip-
fius und den Verf. aufgeführten noch Andronikos, Apelles,
Ariftobulos,Tryphaina, Rufus, Julia, Nereus, 01ymp(i)odo-
ros. Endlich um die (neuerdings auch von Riggenbach,
NJdTh 1892,499 fr. geltend gemachte) römifche Tradition
über Aquila u. Nereus für werthlos zu halten, bedarf es
wirklich nicht an cxcess of scepticism: auch die Heraus-
geber felbft erklären ja diefe Beweife fchliefslich für
nicht zwingend. Desgleichen paffen nun einmal V. 17 ff.
nicht zum übrigen Brief, fofern Paulus dort nirgends fo
von folchen Gegnern redet. Die Doxologie aber wird,
wenngleich fie ihrem Inhalt nach (trotz des Zufammen-
treffens fo vieler in der deutero-paulinifchen Literatur
vorkommenden Ausdrüke auf engem Raum) echt fein
könnte, doch wohl dadurch als fpäter erwiefen, dafs fie
in den verwandten beiden Codices F u. G, fowie einem
Bobbienfis fehlt und auch in der Vorlage von D Sedulius
gefehlt haben dürfte. Denn an fich liefse fich das ja
zwar auch fo erklären, dafs von diefen mehrere oder,
da die letzten beiden Capitel keinen befonderen
Text bieten, nur eine Handfchrift benutzt wurde, die
die Doxologie hinter 14,23 enthielt, während die Ab-
fchreiber daran Anftofs nahmen oder wufsten, dafs fie
andere Codices am Schlufs lafen: aber wenn nun auch 1
deshalb der eine vergeffen konnte, fie wenigftens am
Schlufs nachzubringen, fo ift doch daffelbe Verfehen bei
ihnen allen kaum anzunehmen. Vielmehr werden fie fie
entweder überhaupt nicht gekannt oder abfichtlich weg-
gelaffen haben, dies aber kaum unter dem Einflufs Mar-
cion's, der den Brief mit 14,23 überhaupt fchlofs, fondern
wegen der fpätern Entftehung jener Verfe. Auch ihre
Einfügung hinter 14,23 fcheint mir nicht auf jenen oder
eine angeblich durch die Inhaltsangabe von am und fuld
bezeugte gleiche oder ähnliche Recenfion zurückzugehen,
fondern die durch Hort erwiefene Gewohnheit, die Verfe
hinter der dort fchliefsenden Perikope vorzulefen.

Doch ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als |
ob ich durch diefe Ausfüllungen das dem vorliegenden
Commentar oben gefpendete Lob irgendwie einfchränken
wollte. Ich hebe daher ausdrücklich hervor, dafs man i
auch da, wo man ihm nicht zunimmt, immer wird von ihm |
lernen können, und hoffe, dafs er auch in Deutfchland die
Beachtung und Anerkennung findet, die er ohne Zweifel j
verdient. Wenn fich auch die übrigen Bände auf der- |

felben Höhe halten, fo wird das Unternehmen noch in
einem weiteren Sinn, als es die Herausgeber meinten,
eine internationale Bedeutung gewinnen, nicht nur für
Grofsbritannien und Nordamerika, fondern für alle chrift-
lichen Nationen der Welt.

Halle a. S. Carl Clemen.

Meyer, Studiendir. Ph., Die Haupturkunden für die Geschichte
der Athosklöster, gröfstentheils zum erften Male hrsg.
und mit Einleitungen versehen. Leipzig, Hinrichs, 1894.
(VIII, 303 S. gr. 8.) M. 10. -

Verfaffer, ohne Frage einer der gründlichsten Kenner
des heutigen orthodoxen Kirchenthums undMönchswefens,
hat in dem vorliegenden Buche aufserordentlich werthvolle
Beiträge zu einer Gefchichte der fo eigenartigen und
für die gefammte hellenifche Kulturentwickelung bedeutungsvollen
Mönchsrepublik des Hagion Oros gegeben.
Der erfle Theil des Buches S. 1—99 giebt einen geschicht-
lichenVerfuch über die Athosklöfler, der zweite S. 101 —269
giebt, was derVerf. ,die Urkunden' nennt, dazu textkritifche
Bemerkungen S. 270—279, ein reichhaltiges Namen- und
Sachregifter zu den Urkunden S. 280—301, Nachträge
und Verbefferungen S. 302—303.

Mit diefen ,Urkunden' hat es nun zum Theil feine
eigene Bewandtnifs. Sie entflammen grofsentheils den
Handfchriftenfchätzen des Ibererklofters ('//fijowi'), wo man
offenbar dem Vf. äufserft liberal entgegengekommen ift.
Dort hat er auch Urkunde IX und XII, zwei Chryfobullen
der Kaifer Andronikos und Manuel Palaeologos nach den
Originalen copieren dürfen. Die übrigen Aktenftücke gehören
theils der modernen Epoche an (XVI.Jahrhundert
und jünger), theils find die dem Vf. vorliegenden Originale
ganz junge Copialbücher, in welche gelehrte und
für ihr geiftliches Heim intereffirte Hagioriten ihnen
werthvoll ericheinende Stücke eintrugen. So entflammen
Nr. I-V dem Codex 754 (saec. XVI), VI, VIII, X, XI dem
Codex382 (saec. XV?) des Ibererklofters. VII ift einer 1874
begonnenen Handfchrift entnommen. Natürlich foll damit
gegen den verdienten Herausgeber kein Tadel aus-
gefprochen werden. Jeder, der mit den Verhältniffen
näher vertraut ift, wird ihm nur Dank wiffen, dafs er
diefe Texte auch nach den modernen Copien von oft
zweifelhafter Zuverläffigkeit edirt hat. Werthvolle Originalurkunden
werden in den griechifchen Klöftern, ,wie
gefangene TeufelchenS verfperrt, und kein profanes Auge
erblickt fie. Diefe Ängftlichkeit ift nicht ohne Grund.
Im Orient haben alle Verhältniffe faft keine Veränderung
erlitten. Vorfchriften einer echten Urkunde des XI.
und XII. Jahrhunderts können noch für heutige Befitz-
verhältniffe von grofser Bedeutung fein. Im XVI. und
XVII. Jahrhundert haben die Griechen per fas et nefas
zahlreiches Eigenthum anderer Nationen occupirt; allein
Anwendung des ftrengen urkundlichen Rechtes würde
die heutigen Nutzniefser wider alle Billigkeit finanziell
fchwer treffen. Vielleicht denken fie auch mit dem
Bifchöfl. Baslerifchen Kanzler Duret: Jede Catalogifirung
ift der Anfang der Säkularifirung/ Genug, fie haben
Grund, die Urkunden geheim zu halten, und unter diefen
Umftänden kann man für die Veröffentlichung der Copien
nur dankbar fein. Ganz aus dem Urkundengenus
heraus fallen die Nummern VI und VIII, memorialartige
Aufzeichnungen Späterer über hiftorifch wichtige Vorgänge
und rechtlich bedeutfame Verhältniffe, beide von
geringem gefchichtlichem Werthe.

Es ift nicht eben ein fehr erfreulicher Eindruck,
den man aus der gefchichtlichen Darfteilung des hagiori-
tifchen Klofterlebens erhält. Namentlich mufs auch der
warme Freund der orthodoxen Kirche zugeben, wie unendlich
viel tiefer das geiftige Niveau des morgenländi-
fchen Mönchsthums fleht, als das des abendländifchen.
In diefen zahlreichen, Jahrhunderte lang blühenden,