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Ausgabe:

1896 Nr. 21

Spalte:

548-553

Titel/Untertitel:

Text and studies. Contributions to biblical and patristic literature 1896

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 21.

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beitet; dort liegt fie alfo auch griechifch, wenn auch vielfach
umgemodelt und erweitert, vor. Die erfte und
wichtigfte Frage, die an den glücklichen Finder zu richten
ift, mufs alfo die fein, ob der Veronefer Palimpfeft auch
wirklich die Gruhdfchrift, die Didaskalia, und nicht die
Bearbeitung, die Konftitutionen, wiedergiebt. Zwar wäre
auch eine lateinifche Ueberfetzung der Konftitutionen
merkwürdig genug: bis jetzt nahm man an, dafs auch
fie dem Abendlande unbekannt geblieben wären; aber
da fie in vielen griechifchen Handfchriften und orienta-
lifchen Ueberfetzungen — ganz und in Auszügen — vorhanden
find, wäre der Werth einer lateinifchen Ueberfetzung
für die Textkritik vielleicht nur gering. Um
feinen Lefern ein eigenes Urtheil zu ermöglichen, hat
Hauler zwölf Seiten des Lateiners mitgeteilt, Blatt 98.
87- 33r- 97- 81. 85r. 86, die in der überarbeiteten Faffung
der Konftitutionen den Büchern 18—II 2, II 14. 21. 22.
57—59, V7, VI 7—12 entfprechen; einige davon waren
fchon von Studemund für das Wiener Corpus abge-
fchrieben, und die Abfchrift ftand Hauler zur Verfügung;
auch war der gröfste Theil des Palimpfeftes fchon durch
Reagentien lesbar gemacht. Ich habe den Lateiner, fo-
weit er vorliegt, mit einer deutfchen Ueberfetzung des
Syrers, die Herr Bibliothekar Dr. J. Flemrning in Bonn,
zum Theil fchon vor längerer Zeit, zum Zweck einer
Ausgabe hergeftellt hatte, und andrerfeits mit den Konftitutionen
verglichen. Mit voller Beftimmtheit ift zu
fagen, dafs wirklich die Didaskalia, und nicht die Konftitutionen
gefunden find. Die Charakteriftica des Bearbeiters
find fo reichlich und fo unverkennbar über den
Text der Konftitutionen ausgeftreut, dafs man fie fchon
bei einer gut gewählten Probe erkennen kann; davon
ift im Lateiner nichts zu finden, während er mit dem
Syrer fozufagen wörtlich ftimmt. Das hat auch der
Herausgeber klar erkannt. Er hat dem Texte der zwölf
Seiten eine ausführliche, paläographifche, fprachliche und
kritifche Abhandlung beigegeben, und beleuchtet die Bedeutung
des Fundes von allen Seiten. Die Handfchrift
ift möglicherweife in Verona felbft gefchrieben. Die
Ueberfetzung ift im Vulgärlatein abgefafst; Hauler vergleicht
die Sprache mit der der vorhieronymianifchen
Bibelüberfetzungen, und nimmt als ihre Entftehungszeit
das dritte oder vierte Jahrhundert an. Es liegt nahe,
an die Mitte des vierten Jahrhunderts zu denken. Zur
Zeit als Mailand die Pforten feiner Kirche nach dem
Often hin öffnete (man denke an Ambrofius und feinen
Vorgänger), als die orientalifche Liturgie in Oberitalien
eingeführt wurde, da mag auch die fyrifche Kirchenordnung
, die im ehemaligen kirchlichen Bereiche Mailands
gefunden ift, dort überfetzt fein.

Jetzt ift es aber an der Zeit, dafs die fyrifche Didaskalia
endlich einmal herausgegeben wird. Für die Ausgabe
flehen drei Hülfsmittel zur Verfügung: der Syrer,
der Lateiner und die Konftitutionen. Der Syrer giebt
die Didaskalia vollftändig, überfetzt aber weitfchweifig;
der Lateiner ift eine treue Ueberfetzung der Vorlage,
aber unvollftändig erhalten und fchwer zu entziffern. Die
Konftitutionen geben den Urtext, aber in fo intenfiver
Ueberarbeitung, dafs die Vorlage nur mit gröfster Vorficht
— wenn überhaupt — herauszufchälen ift. Wenn
diefe kritifche Vorarbeit gethan ift, dann wird man auch
an eine allfeitige theologifche Verwerthunggehen können;
und dabei wird man auszugehen haben von den feinen
Beobachtungen Harnacks, die leider Hauler unbekannt
geblieben find.

Göttingen. Hans Achelis.

ts and studies. Contributions to biblical and patristic
literature. Edited by J. Armitage Robinson B. D.
Vol. IV. Nr. 2. London, C. J. Clay & Sons, 1896.
(gr. 8.) 9 s-

Coptic apocryphal gospels. Translations together with the texts of
some of fhem. By Forbes Robinson M. A. (XXX, 264 S.)

In Aegypten fcheint das Chriftenthum von Anfang
an eine eigenartige Färbung angenommen zu haben.
Stärker als anderswo macht fich hier ein gnoftifch-
doketifches Element auch innerhalb des officiellen
Chriftenthums geltend. Man denke nur an den Titel:
svayyl.tuov /.ai Aiyvjixictvg für eine ganz enkratitifch
gefärbte Evangelienfchrift, an den grofskirchlichen
Gnoftiker Clemens, von der eigentlich gnoftifchen Original-
literatur, wie fie uns nur koptifch in der Pistis Sophia und
im Codex Brucianus erhalten ift, ganz zu fchweigen.
Unterirdifch ift diefe Strömung fortgefloffen, bis fie in
der monophyfitifchen Bewegung wieder ans Licht treten
konnte: Aphthartodoketen heifsen bezeichnenderweife
die Julianiften. In dem Grabe eines ägyptifchen Chriften
fand fich das Petrusevangelium mit feinen unleugbar
doketifchen Anklängen, die Petrusapokalypfe mit ihren
der orphifchen und ägyptifchen Religion entlehnten Jen-
feitsbildern. Aus der officiellen kirchlichen Literatur
heraus läfst fich dies kaum verftehen; um fo erklärlicher
wird es, wenn wir die fogenannten Apokryphen zu
Rathe ziehen, welche als die eigentliche geiftliche Nahrung
des Volkes, als Erbauungs- und Unterhaltungsliteratur
zugleich, hier von entfcheidender Bedeutung find. Durch
die alte Gleichung: apokryph = haeretifch = nicht
mafsgebend = zu meiden, geleitet, hat man diefe Literatur
vielfach unterfchätzt und über Gebühr vernachläffigt.
Ein Blick auf den abendländifchen Katholicismus genügt
jedoch zu zeigen, wie mächtig die von diefen urfprünglich
vielleicht wirklich einmal gnoftifchen Schriften ausgegangenen
Impulfe fortwirken. Und für Aegypten fcheint
dies in noch höherem Mafse zu gelten. Finden wir doch
hier, wie Robinfon fein .heraushebt, die apokryphen Erzählungen
als einen Hauptbeftandtheil der Predigten
derart verwandt, dafs z. B. in einer unter dem Namen
eines Abba Theodofios, Erzbifchofs von Alexandrien,
öftolayrprjg yoiavocpÖQog [gemeint fein kann nur der mono-
phyfitifche Gegenpatriarch 536—567/8, den wir erft
neuerdings durch Budge's St. Michael the Archangel als
Schriftfteller kennen gelernt haben] gehenden Predigt
aus deffen letztem Lebensjahr plötzlich nach der Einleitung
des Redners das autoptifche ,Wir' des Petrus
und Johannes eintritt (Assumpt. Mar. boh. II, 2 p. 93).

Die Refte der erhaltenen Literatur fcheinen beträchtlich
; auch ift fchon viel Mühe auf fie verwandt worden:
Zoega in feinem grundlegenden Katalog, Revillout Apo-
cryphes coptes du N. T. 1873, vor allem Lagarde in feinen
Aegyptiaca 1883 und Guidi in den Rendiconti della R.
Accademia dei Lincei haben Texte publicirt. Immerhin
konnte der Bruder des hochverdienten Herausgebers der
Texts and Studies, Forbes Robinfon, M. A., am Christ
College, noch eine reiche Nachlefe halten, und wir be-
grüfsen dankbar feine Arbeit, in der er uns theils Neues
in koptifchem Text mit englifcher Ueberfetzung bringt,
theils bereits genügend (von Lagarde und Guidi) Publi-
cirtes durch Ueberfetzung allgemein zugänglich macht.

Das Urtheil über die fprachliche Seite überlaffen
wir der hierfür competenten Philologie. Die Textaus-
} gäbe macht in Allem den Eindruck höchfter Akribie, die
es fich nicht hat verdriefsen laffen, auch die gering-
fügigften Fineffen der im Koptifchen ftark hervortretenden
Zeichenfetzung (Punkte, Striche u. f. w.) zu beachten
und möglichft genau wiederzugeben. Welche Bedeutung
das haben kann, zeigt ein Verfehen Lagarde's, das
Robinfon anmerkt: IHC ,eile' ftattfflC Jefus'. Vor allem
wird die koptifche Sprachwiffenfchaft aus diefen genauen
Angaben ihren Nutzen ziehen können. Betreffs der