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Ausgabe:

1896 Nr. 21

Spalte:

544-546

Titel/Untertitel:

Schwartzkopff, Konnte Jesu irren? 1896

Rezensent:

Baldensperger, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 21.

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möge einer ihm gewordenen göttlichen Offenbarung
erkannte er, dafs fein Sterben zur Vollendung des göttlichen
Heilsplans und feines Berufes unumgänglich fei.
Was gegen die Stetigkeit und Festigkeit des Todesgedankens
Jefu auf Grund einiger Stellen vorgebracht zu
werden pflegt, wird entkräftet durch den Hinweis auf
die Unthunlichkeit einer logifchen Deutung und die Noth-
wendigkeit eines pfychologifchen Verftändnifses. Es
handle fleh nicht um Gedankenfchwankungen, fondern
um Gemüthserfchütterungen. — Die Auferftehungsweis-
fagungen deutet S., wie man es fchon vor ihm verfucht hat,
auf die zukünftige Reichserrichtung. Selbft der Termin
der 3 Tage fei von Jefus gebraucht worden im Sinne
einer kurzen Frift bis zu diefem Moment. Darum auch
könne die Auferftehungshoffnung nicht auf feinen Heimgang
zum Vater bezogen werden, weil er diefen fo-
gleich nach feinem Tode noch für denfelben Tag erwartete.
Intereffant find die bei diefer Gelegenheit gemachten
Bemerkungen über das Verhältnifs von Gehinnom und
Hades, z. Th. gegen Schwally. Worin liegt nun aber
der Unterfchied zwifchen der Auferftehung uud der

vorangehende Grabesauferftehung Chi ifti angenommen
hätte. Hingegen ift S. viel fefter hiftorifch fundirt, wenn
er Hofften entgegen ausführt (p. 67 f.), dafs für die
Jünger und die Apoftel die Auferftehung nur zu begreifen
war als ein Erwachen des Grabesleibes. Es genügt
nicht, nur in Bezug auf unfere heutige Chriftenheit
von einem .Rückftand der altjüdifchen Denkweife' (p.
82) zu reden, man mufs einen Schritt weiter thun und
einen folchen auch bei den neuteft. Schriftftellern anerkennen
.

Die Ausführungen des Verf. über das gegenwärtige
Gottesreich im Bewufstfein Jefu und über die efchatolo-
gifche Seite feiner Erwartung fchliefsen fleh den neueren
theologifchen Arbeiten über diefe Fragen an, ohne dafs
wichtigere neue Gefichtspunkte geltend gemacht werden.
Die Hoffnung Jefu auf eine Wiederkehr zur Reichserrichtung
wird feft behauptet mit einer ebenfo entfehiedenen
Abläge an die veralteten, dogmatifch beeinflufsten Erklärungen
, welche das Kommen des Meffias auf die Zer-
ftörung Jerufalems bezogen oder für ein fortlaufendes,
in der Gefchichte fich vollziehendes ausgaben. Befonderes

Farufie? Die erftere betrifft die Perfon, die andere die j Gewicht legt der Verf. auf die Thatfachen, dafs Jefus
Reichsfache. Als ob das perfönliche Moment nicht j feine Wiederkunft noch zu Lebzeiten feines Gefchlechtes
fchon durch den Eingang in den Himmel vorweggenommen 1 erwartete. Dafür macht er aufser den direct darauf hinwäre
! Da hat doch Weiffenbach's Conffruction den ] weifenden Stellen auch mit Recht die eigenthümliche Art
Vorzug der Confequenz. Und wenn nur der Zweck der geltend, wie der Meifter feine Jünger auf das bevorftehende

zwei Weisfagungsreihen verfchieden ift, nicht die Zeit ihres

Ereignifs vorbereitet. Birgt diefe Erwartung einen Irr-

Eintritts, wefshalb lautet die Zeitangabe in dem einen ! thum, fo fei derfelbe Jefu mit den Propheten gemein,

Fall ,innerhalb diefes Gefchlechtes' und im anderen fo ! wie auch wiederum das Nichtwiffen des genaueren Ter-

ftereotyp ,am dritten Tage'? Käme es Jefus hierbei auf mins eine durchgängige Schranke des prophetifchen

einen bis aufs Wort genauen und engen Anfchlufs an Wiffens darfteile. — Das Reich in feiner Vollendungs-

das A. T. an, fo müfste man auf pfychologifchem Stand- geftalt wird univerfalen Umfang haben, aber in theokra-

punkte fchliefsen, dafs er gerade in diefem Fall die tifcher Form. Eine Mifflon der Heiden habe der

fremden Worte in dem Sinne gebraucht habe, wie feine ; hiftorifche Jefus nicht in Ausficht genommen. Welches

Tanze Zeit, feine Jünger, Paulus und die Gemeinde fie
verftanden. Die ganze Theorie des Verf. hängt aber an
der Vorausfetzung, dafs die verfchiedenen Formulirungen
völlig gleichwerthig feien, und zwar in der Weife, dafs
mindeftens einige Jahre bis zur Parufie verftreichen werden
. Ob dann der Verf. noch einen Irrthum mehr bei
Jefus conftatirenwill, mufs ihm allerdings überlaffen bleiben

die genaue Färbung diefes Reiches fei, ob irdifch oder
überirdifch, macht dem Verf. befondere Sorge. Aber
ein Abwägen der beiden Momente auf logifcher Wag-
fchale, wie es der Verf. übt, führt zu keinem Ziele. Es
hilft nur die hiftorifche Orientirung über das ganze Gebiet
des jüdifchen Meffianismus und feiner Entwickelung.
Erkennt man in dem metaphyfifchen Trieb die neuere

Denn feiner Meinung nach ift ja doch Chriftus gerade am j Strömung, der entgegen das alte prophetifche Ideal zur

dritten Tage feinen Jüngern, um ihrem Unverftändnifs entgegen
zu kommen, leibhaftig erfchienen. Das war allerdings
nicht fein erftes Vorhaben, fo dafs man wieder über diefe
merkwürdige Willfährigkeit zwiefpältigenUrtheilsfein kann.
Die Frage nach der Körperlichkeit der Chriftuserfchei-
nungen und nach dem leeren Grab wird ausführlich erörtert
. Bekennt fleh der Verf. zuletzt auch zu der Anfleht
von der leiblichen Auferftehung, fo thut er es doch
in einer folchen Weife, dafs feine Gefinnungsgenoffen
fleh dadurch viel weniger erbaut finden dürften, als die
Lefer aus dem feindlichen Lager. Er deckt die fchwachen
Seiten der hergebrachten Auffaffung fo fchonungslos
auf und ftellt die fchwerwiegenden Argumente der Gegner
in fo helles Licht, dafs auch Einer aus den Reihen der Letzteren
feine Sache kaum beffer machen könnte. Der Verf.
hält feft an der Leibhaftigkeit der Chriftuserfcheinungen,
aber die Entftehung des Auferftehungsglaubens bei den
Jüngern in Folge fubjectiver Erfcheinungen beftreitet
er nicht. Er glaubt zwar an das leere Grab, aber eine
Entwendung des Leichnams (nämlich aus Aberglauben
f. p. 73) fcheint ihm doch nicht undenkbar. Das leere
Grab fei auf keinen Fall Grund des Auferftehungsglaubens.
Die Grabesauferftehung habe nur gefchichtlich bedingten
Werth, denn eine objective Vifion hätte diefelbe Wirkung

Erde zurückdrängt, fo ergiebt fleh von felbft ein fchwe-
bendes Gefammtbild, und die übliche Frageftellung der
Modernen wird gegenftandslos. Einen ähnlichen Mangel
an zufammenhängender hiftorifcher Betrachtung müffen
wir conftatiren in dem atomiftifchen Verfahren, durch
welches die geiftige Auffaffung des Gottesreiches bei Jefus
flchergeftellt wird (f. p. 113 f.). Ueberhaupt ift die Ver-
mifchung von abftracten Möglichkeiten und hiftorifchen
Geflchtspunkten ein charakteriftifches Kennzeichen der
vorliegenden wiffenfehaftlichen Arbeit. Für etwaige weitere
Veröffentlichungen des Verf. möchte man wünfehen,
dafs hierin ein Wandel ftattfinde, fowie auch in feinem
conftanten Beftreben, die eigenen Refultate an den ein-
fchlägigen Lehren und Formeln der kirchlichen Ueber-
lieferung zu meffen.

Giefsen. Baldenfperger.

Schwartzkopff, Prof. Dr. Paul, Konnte Jesus irren? Unter
dem gefchichtlichen,dogmatifchen und pfychologifchen
Gefichtspunkte principiell beantwortet. Giefsen, Ricker,
1896. (VII, 102 S. gr. 8.) M. 1.—

Der Titel foll wohl pikant fein. Manchen wird er
gehabt. Ja die befondere Form der Auferftehung fei i unliebfam berühren. Dem Ref. fcheint er einem falfch

ganz werthlos, nur auf die Erhöhung Chrifti felbft komme ] verftandenen Intereffe an der Perfon Jefu feinen Urfprung
es an. Wir bezweifeln jedoch, dafs diefe letztere Con- i zu verdanken. Eine folche Zufpitzung des chriftologifchen

fequenz im Sinne der neuteft. Schriftfteller oder auch
nur des Apoftels Paulus fei. Es ift nicht zu erweifen,
dafs Derfelbe auch nur die Möglichkeit himmlifchen
Lebens, wie fie Phil. 1, 23 angedeutet wird, ohne die

Problems verräth, dafs des Verfaffers Denken fich in
den Kategorien der alten Kirchenlehre bewegt. Trotz
der Verficherung dafs die Unterfuchung unter ,dem ge-
fchichtlichen Gefichtspunkte' ftattfinden foll, ift der