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Ausgabe:

1896 Nr. 20

Spalte:

529-533

Autor/Hrsg.:

Strauss, Dav. Friedr.

Titel/Untertitel:

Ausgewählte Briefe. Hrsg. u. erl. von Ed. Zeller 1896

Rezensent:

Eck, Samuel

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 20.

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er hier .bekennt'. Fifcher felbft zieht das Bekenntnifs
nicht mit in Betracht. Und doch hätte es auch für
ihn Intereffe haben können. Es ift ein unzweifelhaft
orthodoxes Bekenntnifs; eine gewiffe interconfeffionelle
Haltung, die Abt Emery bemerkt hat, verräth den
Anglikaner. Wenn man fich erinnert, dafs Bacon die
Religion im Bilde einem Spiele vergleicht, welches feine
Regeln für fich habe, Regeln, die vielleicht willkürlich
feien, die aber der anerkennen müffe, der an dem Spiel
theilnehmen wolle, dafs er weiter ausführt, im Spiele
komme es doch darauf an und fei es thunlich, die
kritiklos hinzunehmenden Regeln vernunftmäfsig zu be-
thätigen, in ihrer eigenen Logik zu verwerthen, der
wird an dem Bekenntnifs bemerken, dafs er felbft der
Logik der Offenbarung in der That nachgedacht und
ein Refultat gewonnen hat, welches ein gutes Verftändnifs
dafür verräth. Man mag Bacon's Charakter beurtheilen,
wie man will — das Bekenntnifs beweift durch feine
keineswegs blofs conventionelle, fondern perfönlich freie
und zweifellos nachdenkliche, verftändige Art, dafs er
an dem chriftlichen Glauben innerlich gehangen hat.
Giefsen. F. Kattenbufch.

Straufs, Dav. Friedr., Ausgewählte Briefe. Hrsg. und erläutert
von Ed. Zeller. Mit 1 Porträt in Lichtdruck.
Bonn, Straufs, 1895. (XIII, 586 S. gr. 8.)

M. 8.—; geb. M. 10.—
Unermüdlich kommt Eduard Zeller feinen Freundespflichten
nach. Dem Gedächtnifs von D. F. Straufs hat
Niemand fo treu gedient wie er. Allem Früheren, —
von mancherlei Anzeigen abgefehen, der kurzen Biographie
von 1874, den Einleitungen zu den Gefammelten
Schriften 1876 ff. —, reiht fich diefe Brieffammlung an.
Zeller giebt im Vorwort an, dafs diefe Auswahl den
vierten Theil des brieflichen Nachlaffes bilde. Diefer
letzten Sichtung find aber andere vorausgegangen.
Einem Brief an Rapp zufolge (vom 15. Febr. 1857 —
S. 363 vgl. auch S. 433) hat diefer die an ihn gerichteten
Briefe — fie bilden in der vorliegenden Sammlung mehr
als l/s des Ganzen: 243 von 608; vgl. dazu S. 252 u.
Gef. bchr. X, 305 — ,bereits expurgirt'. Nach Hausrath
, Straufs II, 348 ferner hat Straufs felbft im Jahr
1S6667, während der Abfaffung der erften Abtheilung
der Literarifchen Denkwürdigkeiten feine Briefe den
Hinterbliebenen feiner Freunde zum Theil abgefordert
und nur nach einer Sichtung zurückgegeben. Ergiebt fich
daraus, dafs diefe Veröffentlichung nicht gegen Erwarten
und Abficht des Verfaffers der Briefe gefchieht, fo bleibt
auch trotz den vorbeugenden Bemerkungen Zeller's im
Vorwort fraglich, wie weit noch der Charakter voller Intimität
an der Sammlung haftet. Sie ift auch vom
Herausgeber nicht als Urkundenfammlung gemeint, fondern
, wie namentlich die Beziehung auf die erhofften
Leferinnen beweift, als ein literarifches Kunftwerk für
den weiten Kreis von gebildeten', an den fich Straufs'
Feder längft zu wenden gewöhnt hatte. Alle glänzenden
äufseren Vorzüge, die der .geborene Stylmenfch' (S. 361)
feinen Schriften zu verleihen wufste, treten felbftver-
ftändlich auch in diefen Briefen hervor. Sie bilden eine
um fo anziehendere leichte Leetüre, als der ftete Wechfel
in der Perfon der Adreffaten wie in den behandelten
Gegenftänden jede Ermüdung fernhält, während er zugleich
die Fähigkeit des Verfaffers bewundern läfst, diefer
Mannigfaltigkeit feine Feder anzupaffen. Hingegen ift die
eigentlich kirchengefchichtliche Ausbeute doch geringer,
als man erwarten möchte. Das erklärt fich zum Iheil
daraus, dafs die reichlichen Mittheilungen, die Hausrath
aus dem brieflichen Nachlafs geboten hat, naturgemäfs
gerade in diefer Beziehung das Meifte vorweggenommen
haben. Indeffen bleibt immer noch genug übrig. Ich
kann im Folgenden nur hervorheben, was mir von fpe-
ciellem Intereffe erfchienen ift.

Als ein Freundfchaftsdenkmal kann man diefe Brieffammlung
in erfter Linie würdigen. Denn es ift zunächft
der aus der Märklinbiographie bekannte Kreis, der, von
Tübingen her eng verbunden, mit feinen Anfchauungen,
Stimmungen und Schickfalen, Arbeiten und Erfolgen den
Rahmen bildet, in dem Straufs hier eigenhändig das
Bild feines Lebens zeichnet. Als Adreffaten erfcheinen
Anfangs ausfchliefslich die Württemberger: Straufs'Bruder
Wilhelm, Vifcher und Zeller, Märklin, die Pfarrer
Käferle und Rapp, der Mufiker Kauftmann und der
Goetheforfcher Schöll, letzterer erft feit 1848. Ihnen reihen
fich erft verhältnifsmäfsig fpät Gervinus, Kuno Fifcher,
der Kunfthiftoriker Julius Müller an. Je ein Brief ift an
F. Chr. Baur (19. Aug. 36) und an Ernft Häckel (24. Aug.
73) gerichtet. Kein Unbefangener wird fich dem Eindruck
entziehen, welche Fülle von Geift und Leben in diefen
Namen vereinigt ift. Es ift ein Kreis von fehr beftimmter
Phyfiognomie. ,Auerbach' — fchreibt Straufs S. 509 —
,ift ein poetifch-populärer Miflionär unfrer Weltanfchau-
ung, die ihm Herzensfache ift'. Man könnte an die bekannten
Wir (S. 541 und Gef. Sehr. VI, 3. 277) denken,
die im alten und neuen Glauben ihre halbmyftifche Rolle
fpielen. Und jedenfalls empfängt man aus diefem Buche
eine fehr lebendige Anfchauung davon, wie fich die Vor-
ftellung von jener Jetzt unlichtbaren Gemeinde der Zukunft
' (S. 892) in Straufs' Kopf gebildet und feftgefetzt
hat. Aber zugleich ift man ernannt zu beobachten, wie
das praktifche Programm, das Straufs fchliefslich für
diefe Gemeinde aufftellt — ,wie ordnen wir unfer Leben?'
— fo einfeitig wie möglich aus feinen eignen Lebens-
fchickfalen herausgewachfen ift und kaum einem Einzigen
der Freunde zu wirklicher Befriedigung gereicht haben
kann. Im Grunde auch ihm felber nicht. Es wird fich
zeigen, warum?

Zunächft alfo: die Wir find Adepten einer neuen
Weltanfchauung. Aber Straufs unterfcheidet fich von
den Freunden deutlich durch die Leichtigkeit, mit der
er fich diefe erwirbt, die fcheinbare Sicherheit, mit der
er fich in ihrem Befitze weifs. Es ift geradezu auffallend,
wie von einem Kampf um die Weltanfchauung nirgends'
in diefen Briefen etwas zu lefen ift. Ich fage mit Bedacht
: nirgends. Der Briefwechfel beginnt 1830 mit Erörterungen
über Begriff und Vorftellung, durch die
Straufs dem Freunde Märklin (vgl. Gef. Sehr. X, 229 ff.)
die praktifche Noth wegzudisputiren fucht, welche feine
Flegel'fchen Schulanfchauungen ihm im Kirchenamt bereiten
. Märklin ift unficher, die doppelte Wahrheit quält
ihn. Straufs fitzt feft im Hegel'fchen Sattel. Es macht
fich kein Schwanken bemerklich. Alle etwa denkbare
Unehrlichkeit' redet er dem Freunde durch die hiftori-
fche Nothwendigkeit aus, in diefem Zwiefpalte zu fein.
Im Jahre 1846 aber trägt Straufs das Hegel'fche Syftem
nur noch ,wie einen wackligen Zahn im Munde' (S. 177).
Jetzt ift Feuerbach's /Theorie die Wahrheit für diefe Zeit'
(S. 184 vgl. Gef. Sehr. X, 289:1851; V, 181:1865; k
14:1866). Man weifs freilich, was zwifchen 1830 und
1846 liegt. Aber eben Straufs ift auch hier wieder fertig.
Der Uebergang von Hegel zu Feuerbach hat fich unmerklich
vollzogen. Zeller wird — in einem Brief an
Märklin — hart angefahren für einen Auffatz über Religion
gegen Feuerbach, der Straufs vorkam, ,wie die
Flattich-Süskindifchen Auffätze gegen Kant'. Man fieht,
gegen den neuen Propheten, wie einft gegen Hegel, gilt
kein Widerfpruch. Endlich 1869 ift zu den beiden Genannten
der dritte hinzugekommen. ,Erft Darwin befreit
uns vom Schöpfungsbegriff' (S. 506 vgl. Gef. Sehr.
VI, 119). Damit ift der Uebergang zum Materialismus
des alten und neuen Glaubens vollzogen. Und merkwürdig
, wieder hinkt einer der Freunde nach. Es ift
zwar eine arge Uebertreibung, wenn man Vifcher's Kritik
(Krit. Gänge N. F. H. 6) als eine principielle Abfage be-
j handelt. Wer Straufs' letzte Schrift in einem Athemzug
I mit Kant's Religion innerhalb der Grenzen der blofsen