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Ausgabe:

1896

Spalte:

525-526

Autor/Hrsg.:

Nirschl, Jos.

Titel/Untertitel:

Das Grab der heiligen Jungfrau Maria 1896

Rezensent:

Achelis, Hans

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 20.

526

gleichgültig. Wenn aber Bernoulli bei .Zahn,
Brieger, Schultze, Seeck u. A.' derartige apolo-
getifche Umwandlungen fürchtet, fo lefe er die ficher
davon ganz freien Bemerkungen von Boiffier im erften
Capitel feiner Fin de paganisme. Im Allgemeinen mag
Burckhardt's Urtheil ja richtig fein, dafs ein genialer
Menfch, dem der Ehrgeiz und die Herrfchfucht keine
ruhige Stunde gönnen, ganz wefentlich unreligiös ift.
Aber auf den einzelnen Fall findet folches Urtheil doch
immer nur nach genauer Unterfuchung des Thatbeftandes
Anwendung, die in derartigen Fragen fehr erfchwert ift,
ganz abgefehen davon, dafs Religion und Religion nicht
dasfelbe ift. Natürlich war Konftantin kein ,ChrifV nach
rechtem Verftande; aber die Quellen Rheinen mir viel
weniger an die Hand zu geben, in ihm jenen esprit pra-
tique et calculateur zu fehen, der er nach Burckhardt
gewefen ift, als dafs er abergläubifch im hohen Grade
war. Ein Geilt wie Friedrich der Grofse, der mit vollem
Bewufstfein Jeden nach feiner Facon feiig werden laffen
wollte und über die Religion fehr felbftändige und vornehme
Gedanken hatte, war er ficher nicht.

Eine andere Differenz betrifft den Vorfitz zu Nicäa.
Dafs nicht Hofius und nicht die Vertreter des Textes
präfidirten, ift oft nachgewiefen, zuletzt von P. Wolff
in einem guten Auffatz über ,die tiqosÖqoi auf der Synode
zu Nicäa' (Zeitfchr. f. k. Wiff. u. k. L. 10, 1889, 137—151).
Hier hätte Bernoulli auch treffende Bemerkungen über
die weiteren Fragen finden können. Er tritt auf Grund
von Sozom. 1, 19 für Eufebius von Cäfarea ein und
meint den Ausdruck 7rgo£ö«ot durch .Bureau' erklären
zu dürfen. Ich halte aus den von Wolff ausführlich
entwickelten Gründen für wahrfcheinlicher, dafs Eufta-
thius von Antiochien und Alexander von Alexandrien
präfidirten, will aber jenem zugeben, dafs wir ohne Vermehrung
des Materials hier nie ganz klar fehen werden.
Bernoulli's Ausführungen über die Lifte bei Sokr. 1,
13 vermag ich mir, trotz Gelzer's anfcheinender Zu-
ftimmung (briefliche Aeufserung bei Bern. 35) nicht
ohne Weiteres anzueignen. Es wird vielleicht Gelegenheit
fein, darauf zurückzukommen, wenn einmal Gelzer's
Ausgabe der Patres nicdeni vorliegt.

Die aufser der Glaubensfrage zu Nicäa verhandelten
Themata find wahrfcheinlich aus Zeitmangel leider fehr
kurz, zu kurz weggekommen. Seeck hat daraufhin in
feinem Auffatz über das Nicänifche Konzil (Zeitfchr. f.
Kirchengefch. XVII, 1) das Urtheil gefällt, die Arbeit
von B. habe unfere Kenntnifs nicht um einen Schritt
weitergeführt. Diefen Mafsftab würde ich an eine folche
Vorlefung überhaupt nicht anlegen. S. 4, 18 ift wohl:
Die Träger diefer drei Geiftesmächte ftatt: die drei
Träger diefer G. zu lefen.

Giefsen. G. Krüger.

Nirfchl, Domdech. Dr. Jof., Das Grab der heiligen Jungfrau
Maria. Eine hiftorifch-kritifche Studie. Mainz,
Kirchheim, 1896. (XII, 118 S. gr. 8.) M. 1.80.

Dr. theol. Jofeph Nirfchl, von 1879 —1892 o. ö. Pro-
feffor der Kirchengefchichte an der Univerfität Würzburg,
feitdem Domdechant dafelbft, den Kirchenhiftorikern bekannt
vor Allem durch fein .Lehrbuch der Patrologie
und Patrifiik' (3 Bde., Mainz 1881—85), unterfucht in
diefer Studie die Tradition über die Begräbnifsftätte der
Mutter des Herrn. Ueber Zweck und Veranlaffung feiner
Schrift, die er als .hiftorifch-kritifche Studie' bezeichnet,
fpncht er fich im Vorwort aus: ,Ueber das Grab
der heiligen Jungfrau Maria beftehen zwei Meinungen.
Nach der einen Meinung befindet es fich, aber noch
unentdeckt und unbekannt, auf einem Berge bei Ephefus
in Kleinafien, nach der anderen im Thale Jofaphat bei
Jerufalem, in der Grabkirche der Mutter Gottes dafelbft.
L>ie Hauptvertreterin der erfteren Meinung in neuerer

Zeit ift die gottfelige Auguftinernonne Anna Katharina
Emmerich in Dülmen (f 1824), für letztere fpricht die
altehrwürdige conftante Tradition der Kirche von Jerufalem
. Die vorliegende Studie, die im .Katholik' (1894
S. 385—4C9 und 1895, S. 154 ff.) erfchienen ift, wurde
gefchrieben, um jene Meinung als unhiftorifch zu er-
weifen und diefe zu rechtfertigen'. Da aber gerade jetzt
neue Volksausgaben derVifionen der Emmerich erfchienen
find, deren Erfolg zeigt, dafs ihre Beliebtheit einen
neuen Auffchwung genommen hat, hatte Nirfchl fcharfe
Angriffe erfahren rnüffen; und fo .erfcheint hier jener
erfte Theil in einer etwas erweiterten Geftalt und die
ganze Studie als ein eigenes Schriftchen'.

Nirfchl fucht alfo die Jerufalemifche Localtradition
über das Mariengrab gegen die Verehrer der Emmerich
zu vertheidigen; feine Studie zerfällt demnach in zwei
Theile: I. Das Mariengrab zu Ephefus (das unecht fein
foll); II. Das Mariengrab zu Jerufalem (das echt fein foll).
Die äufserft behutfame Polemik gegen die Vifionen der
Emmerich als hiftorifche Quelle, welche den erften Theil
ausmacht, gehört nicht hierher; von Intereffe ift vielleicht
die Nachricht, dafs in den Jahren 1890—92 mehrere geift-
liche Commiffionen die Umgegend von Ephefus unterfucht
haben, und wenigftens das Haus Maria's, fo wie es
die Emmerich bezeichnet hatte, gefunden zu haben meinen
; und für Nirfchl ift es bezeichnend, dafs er als letzten
Trumpf gegen die Emmerich die Offenbarungen der
Maria von Agreda ausfpielt, die fich mit dem Mariengrab
in Jerufalem befchäftigt hatten. Aber auch der
zweite Theil zeichnet fich durch eine in unfrer Zeit
feltene Harmlofigkeit der Kritik aus, die durch den pa-
negyrifch-erbaulichen Ton, in den fie gekleidet ift, nicht
erträglicher wird. Nirfchl disputirt über das Alter und
das Todesjahr Maria's: fie ift im Jahre 45 im Alter von
60 Jahren geftorben; er (teilt fie als die geiftige Urheberin
des Lucasevangeliums hin: aus ihrem Munde ftammt
die Kindheitsgefchichte; aus der fpäteren Tradition über
ihr Lebensende fchält er als .hiftorifchen Kern' ,drei
Thatfachen' heraus: ,1) Maria verfchied in Anwefenheit
der Apoftel in Jerufalem eines natürlichen Todes; 2) ihr
heiliger Leib wurde von den Apofteln im Thale Jofaphat
in Gethfemane am Fufse des Oelberges feierlich beigefetzt
; 3) als am dritten Tage das Grab geöffnet wurde,
fand man es leer, weil der Leib der Gottesgebärerin in
dasParadies verfetzt worden war'. Die Beifpiele mögen genügen
. Werthvoll ift von dem Allen nur die Sammlung
von Zeugnifsen über das Mariengrab; wenigftens find fie
m.W. noch nicht in diefer Vollftändigkeit zufammengeftellt.
Das Mariengrab, von dem hier die Rede ift, liegt im Kidronthal
neben dem Garten Gethfemane. Es ift eine künftliche
Höhle, die durch eine lange Treppe von ca. 5,0 Stufen
mit der Erdoberfläche in Verbindung fleht Die Höhle
ift ca. 30 Meter lang und ca. 6 Meter breit, und hat die
Form einer Kreuzkirche mit doppelter Choranlage; das
fchöne oberirdifche Portal trägt die Architektur der
Kreuzfahrerzeit. Das ältefte Zeugnifs für die Exiftenz
des Grabes ift der dem Apoftel Johannes beigelegte
Liber de dormitione Mariae, der nach Benrath (Theol.
Stud. u. Krit. 1886 S. 31) aus dem Ende des vierten
Jahrhunderts ftammt.

Die drei Abbildungen find entnommen aus: Johann
Nepomuk Sepp, Jerufalem und das heilige Land (Bd. 1,
Schaffhaufen 1863), und wenigltens der Grundrifs ift
werthlos; der im Baedeker (3. Aufl. 1891 S. 91) ift weit
beffer; auch die beiden andern hätten jetzt, wo es fo
viel beffere Abbildungen giebt, nicht wiederholt werden
follen.

Göttingen. Hans Achelis.