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Ausgabe:

1896

Spalte:

501-503

Autor/Hrsg.:

Moritz, Hugo

Titel/Untertitel:

Die Wahl Rudolfs II., der Reichstag zu Regensburg (1576) und die Freistellungsbewegung 1896

Rezensent:

Virck, H.

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 19.

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und fandte ihm den Brief vom 20. Oct. 1522 noch einmal
, da er ihn verloren glaubte, aber in neuer Redaction.
Denn jetzt berichtet er von zwei Predigern in Riga, indem
inzwifchen Tegetmayer berufen worden war. Ob
diefe Redaction fammt dem Begleitbrief wirklich abge-
fandt wurde, ift zweifelhaft. Wahrfcheinlich hat fie Lohmüller
als Concepte zurückbehalten, als endlich Luther
im Auguft 1523 den fogleich auch gedruckten Brief
fchrieb (Erlanger A. 53, 190). Nachdem Lohmüller 1536
in die Dienfte des Herzogs Albrecht von Preufsen getreten
war, kamen feine Papiere nach Königsberg. Liegen
die Dinge ho, dann hätte Enders den Brief nach Spalatin's
Abfchrift, refp. nach Kapp und die zweite Redaction in
einer Anmerkung geben müffen, ftatt umgekehrt. Sofort
aber leuchtet ein, dafs Lohmüller den Mann, welchen er
1522 Luther gegenüber Knopke genannt, jetzt nicht
Modeftinus nennen konnte, ohne eine Verwirrung anzurichten
. Diefe Namensform felbft aber ift höchft zweifelhaft
. Die Humaniften legten fich und Anderen claffifche
Namen nur bei, um die Eigennamen oder den Heimathnamen
aufzuputzen, nicht aber um fich oder Anderen
damit fittliche Eigenfchaften zu vindiciren. Bonnus,
Juftus Jonas, Wolfgang Severus fprechen hier deutlich.
Die Schlüffe Hoerfchelmann's, die er aus der Lesart
Modeftinus zieht, fallen völlig in fich felbft zufammen.
Jedem Schriftkundigen aber wird ohne Weiteres klar
fein, dafs Modeftinus nur ein Lefefehler für Knope-
kinus ift.

Unhaltbar ift auch die Annahme, dafs ,K. nicht
wohl fpäter als 1490 das Licht der Welt erblickt haben
werde' (S. 17). Die meilten Studenten kamen doch damals
mit 18 Jahren oder noch früher zur Univerfität.
K. dürfte alfo kaum vor 1493 geboren fein. H. weift
nach, dafs K. vor feiner Anftellung als Prediger in Riga
erft als Schüler, dann als Lehrer in Treptow war. Diefer
Aufenthalt läfst fich nicht ficher abgrenzen, wird aber
von H. doch wohl zu grofs mit der Zeit von 1517—1521
angenommen. Denn K. war, ehe er nach Treptow ging,
zwei Jahre Hilfsprediger feines Bruders Jakob in Riga.
Für diefe Stelle mufste er aber doch die Tonfur erhalten

wurde vor allem durch das Scheitern der auf die foge-
nannte Freiftellung d. h. ,die Erweiterung der religiöfen
Freiheit, beziehungsweife auf einen gröfseren Schutz des
evangelifchen Bekenntnifses' gerichteten Bemühungen der
Proteftanten benimmt. Wie dies gefchah, legt die obengenannte
, auf umfaffender Kenntnifs des gedruckten und
ungedruckten Materials beruhende, aufserordentlich forg-
fältige Arbeit von Moritz zum erften Mal im Zufammen-
hang dar. Da die Entfcheidung in diefer Frage auf das
Engfte mit der Wahl Rudolfs zum römifchen König und
den Verhandlungen wegen der Türkenhilfe auf dem
Regensburger Reichstage von 1576 verknüpft war, fo
nehmen diefe beiden Punkte naturgemäfs den gröfsten
Raum in der Darftellung ein. In der Einleitung wird
der Lefer über die Urfachen der Freiftellungsbewegung,
die kirchlich politifchen Parteien und die Ferdinandeifche
Declaration fowie die Freiftellung auf den hohen Stiftern
orientirt. Von diefen Abfchnitten ift der letzte befonders
lefenswerth. Die Auseinanderfetzungen des Verfaffers
über dieBedeutung und die rechtliche Gültigkeit derDeclara-
tion gehören nach dem Ermeffen des Referenten zu dem
beften, was bisher überhaupt darüber getagt ift. In der
eigentlichen Arbeit nimmt das meifte Intereffe die Darlegung
des Verhaltens der Kurfürften von Sachfen und von
der Pfalz in Anfpruch. Dafs die Politik des erfteren dem
proteftantifchen Intereffe durchaus zuwiderlief, hat man
ja auch vorher gewufst. In wie hohem Mafse das aber
der Fall war, erfahren wir mit völliger Klarheit doch
erft von Moritz. Kurfürft Auguft hat damals zuerft die
Wege eingefchlagen, die feine Nachfolger dann zu ihrem
und Deutfchlands Verderben auch fpäter fo oft gewandelt
find. Er hat nicht nur von Anfang an die Wahl
Rudolfs auf das Eifrigfte gefördert, er trägt auch allein
die Schuld, wenn die Proteftanten damals die Zugeftänd-
nifse nicht erlangten, deren fie zum Schutze ihres Bekenntnifses
bedurften. Seine Haltung war dabei nicht fo fehr,
wie es nach Ritter fcheinen könnte, durch das Wohl
des Reiches als vielmehr faft einzig durch feinen Egoismus
und feine perfönliche Feindfchaft zu dem Pfalzgrafen
benimmt. Diefe liefs ihn feine Pflichten gegenhaben
, alfo wenigftens 22 Jahre alt fein. Wenn er fich | über feinen Confeffionsverwandten bis zn dem Grade

aber 1520 durch einen Brief an Erasmus als begeifterten
Anhänger desfelben zu erkennen giebt, fo wird er das
nicht erft in Treptow geworden fein, fondern fchon vorher
auf einer dem Humanismus zugänglicheren Univerfität
, als Frankfurt es war. Hier gilt es alfo noch Lücken
auszufüllen.

Recht dankenswerth ift die Darfteilung der Gefchichte
der Kirchenordnung und des Gottesdienftes in Riga.
Wenn das letzte Viertel des Buches der Lehre K.'s in
feinem Commentar zum Römerbrief, befonders feinem
fiiefsenden Rechtfertigungsbegriff gewidmet ift, fo fragt
fich, ob ein Abdruck des kurzen, doch recht feiten gewordenen
Commentars im Anhang für die deutfchen und

vergeffen, dafs er fie fogar, wie Moritz zeigt, abficht-
lich täufchte. Im fchärfften Gegenfatz zu der Politik
Auguft's fteht das nur allzu fehr die proteftantifchen In-
tereffen in den Vordergrund fchiebende und das Wohl
des Reiches vernachläffigende Verhalten des Kurfürften
von der Pfalz. In der Beurtheilung feines Charakters
fteht Moritz mehr auf der Seite Ritter's als Kluckhohn's,
fein politifches Verhalten aber erfährt eine weit gerechtere
Beurtheilung, als wie fie ihm durch jenen zu theil wird.
Wie fehr die Haltung des Pfalzgrafen der ganzen damaligen
Lage des Proteftantismus entfprach, zeigt fich
befonders darin, dafs er hierdurch alsbald aus der Ifo-
lirung, in die er durch feinen Calvinismus gerathen war,

livländifchen Lefer nicht werthvoller gewefen wäre. Da | befreit wurde, und die Führung der Proteftanten von

und dort wäre gröfsere Genauigkeit erwünfcht. S. 24 1
Murmellius, S. 93 Z. 4 nicht nur. S. 91 Z. 4 v. u. halten
ftatt pflegen. Wer find die Schwarzhäupter S. 59, 65, 77?

Nabern (Württb.) G. Boffert.

Sachfen auf Pfalz überging. Im Vergleich zu diefen
tritt Kur- Brandenburg fehr in den Hintergrund; es er-
fcheint im Grofsen und Ganzen durchaus im Schlepptau
Sachfens. Von den proteftantifchen Fürften nimmt aufser
den genannten nur noch der Landgraf Wilhelm von
Heffen eine bedeutendere Stellung ein. Er fucht nach
Moritz, Dr. Hugo, Die Wahl Rudolfs II., der Reichstag zu Möglichkeit zwifchen Pfalz und Sachfen zu vermitteln
Regensburg (1576) und die Freistellungsbewegung. Mar- I und den Kurfürften Auguft, allerdings ohne Erfolg, auf

bürg, Elwert's Verl., 1895 .XXIV, 466 S. gr. 8.)

M. 12. —

Als Maximilian II. den Thron beftieg, fchien die Alleinherrfchaft
des Proteftantismus in Deutfchland gefichert zu
fein; als er ftarb, konnte kein Zweifel mehr darüber ob-

der Seite der Proteftanten feftzuhalten. Seine fchon von
Ritter hervorgehobene Rührigkeit, aber auch feine Aengft-
lichkeit und das Zurückfcheuen vor entfcheidenden Ent-
fchlüffen werden auch durch Moritzen's Darfteilung vollauf
beftätigt. — Eine ganz befondere Aufmerkfamkeit
widmet M. den Anftrengungen der Grafen um die Durchwalten
, dafs Deutfchland in abfehbarer Zeit ein gemifcht j führung der Freiftellung auf den hohen Stiftern. Wir

confeffionelles Land bleiben werde. In den 12 Jahren feiner erfahren die Gründe, die fie hierzu veranlafsten, die

Regierung ift über die Zukunft Deutfchlands in kirchlicher Pläne, die fie zur Erreichung diefes Zieles fafsten, die

Beziehung die Entfcheidung gefallen. Diefe Entwickelung 1 Bemühungen, durch welche fie den Kaifer und die Fürften