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Ausgabe:

1896 Nr. 19

Spalte:

498-499

Autor/Hrsg.:

Goussen, Henry

Titel/Untertitel:

Studia theologica. Fasc. I 1896

Rezensent:

Schmidt, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 19.

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gehörige Anmerkung und nicht auch oft zu einer Anmerkung
die zugehörige Textftelle fuchen müfste!
Warum ferner theilt der Verf. die an fich recht nützlichen
Parallelen innerhalb desfelben Evangeliums (und
eventuell feiner Nachbarn) in den Anmerkungen fo
tropfenvveife mit, dafs er z. B. die Wendung, Jefus habe
die Gedanken der Leute durchfchaut, bei Luc. 6, 8 nur
mit Marc. 2, 8 und Parallelen belegt, gleich auf der
nächften Seite bei Matth. 12, 25, was hierin nicht einge-
fchloffen ift, ebenfalls nur mit denfelben Stellen, ohne
Luc. 6, 8 zu erwähnen, und bei Luc. 9, 47, was ebenfalls
noch nicht angeführt war, zwar Luc. 6, 8, aber
nicht Matth. 12, 25 hinzufügt? Warum werden folche
Verweifungen manchmal zu jeder der entfprechenden
Stellen gegeben und meift nur zu Einer? Wenn bereits
S. 7 genau gefagt ift, wie oft kniottjv, ecpeorwQ u. f. w.
bei Lucas und Paulus vorkommen, wozu S. 69 die Notiz,
fie feien bei beiden häufig? Aufserdem ift der Text von
Weftcott und Hort mit Vernachläffigung aller Varianten
(nur 4 Stellen ausgenommen) zu Grunde gelegt; man
erfährt nicht einmal, wie der längere Text der Abendmahlsworte
bei Lucas 22, 19 f. lautet.

Seine Evangelientheorie hat der Verf. ausgeführt in
einem Buche, das er gefpreizter Weife auf dem Titel
des vorliegenden nennt, indem er zu feinem Namen hinzufügt
: author of ,tlie comßositio?i of the four gospelsK
Ref. glaubt trotz feiner Unbekanntfchaft mit demfelben
hinreichendes Material zu befitzen, um die Theorie als
völlig haltlos zu erkennen, nämlich in der Einleitung des
vorliegenden Buches. Das mündlich griechifch fixirte
und von den Erzählern fyftematifch auswendig gelernte
Urevangelium des Marcus, auf den aramäifchen Mit-
theilungen des Petrus beruhend, umfafste ungefähr erft
zwei Drittel des heutigen Marcus, als es um 46 nach
Chr. zum Gebrauch in den paulinifchen Gemeinden nach
dem Werten gebracht wurde. Deshalb fehlt bei Lucas
fo vieles, was heute bei Marcus fteht. Aus den Logia kamen
dem Lucas in Philippi immer nur einzelne Stücke durch
Reifende oder Briefe zu, jedoch, weil meift direct, mit
weniger Verftümmelung als die durch vieler Mund hindurchgegangene
Marcustradition. Andres brachten ihm
unabhängige Ohrenzeugen, deren Erzählung von der des
Matthäus bedeutend abwich (Luc. 6, 17—26. 19, 11—27);
wieder Anderes kam ihm aramäifch zu und deshalb
weicht feine Ueberfetzung von der in Paläftina verbreiteten
ab (Luc. 12, 57—59. 14, 5. 6, 43 f. 12, 11.
51—53. 14, 26) u. f. w. Ins Licht tritt der fragmen-
tarifche Charakter der fynoptifchen Ueberlieferung jedoch
erft durch Vergleichung mit Johannes. Nach den Synoptikern
und Paulus würde man glauben, dafs das Abendmahl
in Jefu letzter Nacht und zwar am Schlufs des
Paffamahls geftiftet worden fei. Aber laut dem 4. Evangelium
war Jefu letztes Mahl gar kein Paffa und mufs
das Abendmahl wegen des 6. Capitels fchon viel früher
üblich gewefen fein. Sonft hätten auch die Emmaus-
jünger, die doch bei Jefu letztem Mahl nicht zugegen
gewefen waren, ihn nicht am Brotbrechen erkennen
können. Alfo mufs diefes von Jefus (in facramentaler
Bedeutung) jedenfalls an dem erften Ofterfeft feiner
öffentlichen Wirkfamkeit eingeführt worden fein. Marcus
war durch die engen Grenzen, die er fich felbft gefleckt
hatte, gezwungen, diefes erfte Abendmahl mit dem
letzten in eins zufammenzuziehen, was nicht überrafchen-
der ift als fein ganzes Syftem der Anordnung der evan-
gelifchen Gefchichte. Bei der letzten Feier kann immerhin
etwas mehr Weihe und neue Worte hinzugekommen
fein, z. B.: ,dies thut zu meinem Gedächtnifsk Haec
hactenus.

Zürich. Paul W. Schmiedel.

Guussen, Henr., Studia theologica. Fase. I. Apocalypsis
St. Johannis Apostoli versio sahidica. Accedunt pauca
fragmenta genuina diatessaronica. Leipzig, Harraffo-
witz, 1895. (VII, VII, 67 autogr. S. gr. 8.) M. 9. -

Der Verf. legt uns in diefem erften Fase, feiner
theologifchen Studien den koptifchen Text der Apoka-
lypfe Joh. in fahidifcher Verlion vor, u. z. auf Grund
einer alten Pergamenthandfchrift, die leider, wie es fo
oft gefchieht, von den Arabern getheilt und an ver-
fchiedene Mufeen verkauft ift. Der gröfste Theil wurde
von der Berliner Königl. Bibliothek, ein kleinerer Theil
vom Britifchen Mufeum erworben; aber es fehlen noch
eine Reihe Blätter, die vielleicht fpäter auftauchen werden
; ein anderes Stück ift für immer bei der Confervirung
des Ms. verloren gegangen, da das Ganze durch Asphalt
zu einem Klumpen zufammengeballt war und bei
derSprödigkeit des Pergamentes manche Blätter in kleine
Fetzen zerbrachen. Der Asphalt weift darauf hin, dafs
die Handfchrift in einem Grabe gefunden wurde; auch
ftammt fie nicht ex regione Thebana, wie der Verf. an-
giebt, fondern wahrfcheinlich aus Achmim. Neben diefem
Ms. hat der Verf. zur Conftituirung des Textes und zur
Ergänzung der nicht vorhandenen Partien die fchon
früher von anderen Gelehrten gelegentlich veröffentlichten
Fragmente herangezogen.

Die Befchreibung des Ms. auf S. II ift wenig eingehend
, ebenfowenig wird das Alter desfelben auf Grund
der fprachlichen Eigenthümlichkeiten und anderer Merkmale
zu fixiren gefucht. Auch hat der Verf. fich nicht
der Mühe unterzogen, diefe alte Verfion mit der uns aus
den übrigen Fragmenten bekannten zu vergleichen.
Würde er dies gethan haben, fo hätte er ficherlich nur
den Text diefer Verfion, fo weit er erhalten, abgedruckt
und unten in den Anmerkungen die Abweichungen angegeben
refp. die Texte am Schluffe in extenso abgedruckt
. Jetzt ift es bei der Leetüre ganz unmöglich die
Texte zu unterfcheiden, da oft mitten im Satze ein
anderes Fragment beginnt. Eine Vermifchung war um
fo weniger angängig, als unfer Ms. die übrigen an Alter
um 4 bis 5 Jahrhunderte übertrifft und eine ganz andere
griechifche Vorlage gehabt hat. Noch viel mehr ift der
Text dadurch entftellt worden, dafs der Verf. ihn ohne
Befinnen mit Hülfe der anderen ergänzt und corrigirt
hat. Auf diefe Weife kann die Edition für diejenigen
Theologen, welche der koptifchen Sprache nicht mächtig
find, grofse Verwirrung anrichten.

Auch der Abdruck des Textes felbft läfst viel zu
wünfehen übrig. Seite für Seite begegnet man kleineren
und gröfseren Ungenauigkeiten im Drucke und Verfehen
bei den Ergänzungen, von deren Aufzählung an diefer
Stelle der Ref. glaubt abftehen zu können. Der neu-
teftamentliche Textkritiker wird wohl am meiften fein
Augenmerk auf den delectus lectionum lenken, den der
Verf. S. III bis VI abgedruckt hat. Leider wird auch
diefer wenig befriedigen. Denn der Verf. hat es ganz
unterlaffen, den Werth der Handfchrift für die Textge-
fchichte und -Kritik der Apokalypfe zu unterfuchen; ftatt
deffen liefert er nur einen delectus lectionum, der lebhaft
an die Arbeiten von Amelineau erinnert. Hier hätte
doch der Verf. Gelegenheit gehabt, das Intereffe der
Textkritiker für die koptifchen Verfionen wieder wachzurufen
und ihre Ebenbürtigkeit mit der fyrifchen Verfion
an das Licht zu ftellen. Diefe Arbeit zeigt nur zu deutlich
, wie viel wir noch von den englifchen Bearbeitern
des fyrifchen Textes zu lernen haben. Der Verf., welcher
in den verfchiedenen orientalifchen Sprachen bewandert
ift, hätte ficherlich die Fähigkeit zu einer wirklich
wiffenfehaftlichen Behandlung des Textes gehabt, aber
es gewinnt den Anfchein, als hätte er nur fchnell feine
Arbeit zum Abfchlufs bringen wollen. Der Ref. hofft
fpäter die Zeit zu finden, den Text felbft nebft eingehen-