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Ausgabe:

1896

Spalte:

489-492

Autor/Hrsg.:

Sellin, Ernst

Titel/Untertitel:

Beiträge zur israelitischen und jüdischen Religionsgeschichte. I. Hft.: Jahwes Verhältnis zum israelitischen Volk und Individuum nach israelitischer Vorstellung 1896

Rezensent:

Kraetzschmar, Richard

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Göttingen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 18 Mark.

fto. 19. 12. September 1896. 21. Jahrgang.

Sellin, Beiträge zur ifraelitifchen Religions-
gefchichte, I. Hft. (Kraetzfchmar).

Laue, Die Compofition des Buches Hiob
(Budde).

Wright, A Synopsis of the Gospels in Greek
(Schmiedel).

Gouffen, Studia theologica, fasc I: Apocalypsis
St. Johannis Apostoli versio sahidica (C.
Schmidt).

IT ru, .j ..1 jor Dreyer, Studien zur Methodenlehre und Er-

Hoerfchelmann Andreas Knopken, der Refor- ij^ua, (Elfenhans).

mator Rigas (BolTert). , Henke Die BerLcde Schüler höherer

Moritz, Die Wahl Rudolfs II, der Reichstag I.ehranftallten erklärt (Fay).

zu Regensburg 1576 und die Freiftellungs- 1 Barth, Die Syftematik der beiden evangelifchen
bewegung (Virck). Hauptkatechismen (Fay).

Carroll, The religious forces of the United
States (Eck).

Hashagen, Seelforgerliche Kreuzfahrten im
Kampf wider kräftige Irrthümer, t. Bd. Der
Knecht Chrifti (Drews).

Sellin. Priv.-Doz. Lic. Dr. Ernft, Beiträge zur israelitischen
und jüdischen Religionsgeschichte, i. Hft.-. Jahwes Verhältnis
zum israelitifchen Volk und Individuum nach
altisraelitifcher Vorftellung. Leipzig, Deichert Nachf.,
1896. (VIII, 240 S. gr. 8.) M. 4- —

Das vorliegende Buch ift auf demfelben Boden erwachten
wie Bredenkamp's Gefetz und Propheten
und König's Hauptprobleme der altisr. Religions-
gefch. und weift namentlich mit letztgenannter Schrift
enge Verwandtfchaft auf1), nicht nur nach Inhalt und
Tendenz, fofern es gleichfalls den böfen .Entwicklungstheoretikern
' auf at. religionsgefchichtlichem Gebiete den
Fehdehandfchuh hinwirft, fondern auch darin, dafs es an
einer gewiffen Schwerfälligkeit und Ungelenkheit in Anlage
und Ausdruck leidet. Wodurch es fich aber von
diefem fehr unvortheilhaft unterfcheidet und hingegen
mit Bredenkamp mehr berührt, ift Mangel an Sachlichkeit
in der Behandlung der Probleme und eine Art der
Polemik gegenüber den Gegnern, die das erlaubte Mafs
überfteigt. Das Wort Nöldeke's (At. Litt., S. 112) von
den »jungen Roftocker und Erlanger Heifsfpornen« hat
in Sellin eine neue Illuftration erfahren.

Die Aufgabe, die fich S. in diefer Arbeit geftellt hat,
ift: den Unterfchied, den die neuere at. Forfchung zwifchen
der fog. vorprophetifchen und prophetifchen Periode der
ifr. Religionsgefchichte, d. h. zwifchen der Volksreligion
des alten Israel und den fittlich-religiöfen Anfchauungen
der Schriftpropheten des 8. Jahrhunderts feftgeftellt hat,
nach Möglichkeit zu verwifchen und aus der Welt zu
fchaffen. Er fchlägt dazu in der Hauptfache einen
doppelten Weg ein. Von der Vorausfetzung ausgehend,
dafs die Propheten nichts anderes können gepredigt
haben, als was auch Glaube des Volkes gewefen fei,
gewinnt er die Möglichkeit, nun flottweg prophetifche
Auslagen im Sinne von Zeugnifsen des Volksglaubens
verwerthen zu können — fo passim. Und fodann ift er
beftrebt, den ganzen Unterfchied als einen nur mehr
fcheinbaren hinzuftellen, hervorgerufen durch äufsere
Umftände wie mangelhafte Befchaffenheit der Quellen,
verfchiedene Art der Schriftftellerei u. a. m. (S. 37 f.
in f. 135 ff. 150). Freilich gelingt es ihm auch fo nicht,
volle Harmonie zu erzielen, auch er kann einen gewiffen
Fortfehritt nicht leugnen, und fo kommt er zu dem End-
ergebnifse: Der Unterfchied zwifchen beiden Perioden ift
nicht qualitativ, fondern nur quantitativ, (S. 134 f.
138. 194 f. 205. 211. 219 f. 224. 230 ff.). Damit hat er des

i) Vergl. auch die der Arbeit zu Grunde liegende Abhandlung von
Sellin, betitelt ,Das Hauptproblem der altifr. Religionsgefch.' in Neue
Kirchl. Ztfchr. 1894.

Räthfels Löfung gefunden und zugleich einen tiefen
Graben zwifchen fich und den ,Gegnern', zu denen er
fich von vorn herein in einen gefliffentlich fcharfen
Gegenfatz zu ftellen beliebt, gezogen.

Mufs fchon die Formulirung des Refultates bei dem
Nichtlaien fchwere Bedenken hervorrufen, fo noch mehr
die Art, wie S. zu demfelben gekommen ift. — Das
Buch zerfällt, von Einleitung und Schlufs abgefehen, in
2 Theile, deren erfter Jahwes Verhältnifs zu dem Volke
Ifrael nach altifr. Vorftellung' behandelt. Er ift in 4, an
Umfang fehr ungleiche Capitel (das längfte 61, das
kürzefte knapp 4 S.) getheilt, von denen fich das erfte
mit dem Erweife befchäftigt, ,dafs das alte Ifrael fein
Verh. zu Jahwe bereits als durch eine Anfangsthat des-
felben gefetztes, fittlich bedingtes und auf Zeit lösbares
aufgefafst hat'. Diefe Anfchauungen findet S. nun zu-
nächft (§ 1) wie bei Arnos und Hofea, fo nicht anders
bei den vorprophetifchen Gottesmännern (Micha b. Jimla,
Elia, Elifa u. a.) Wie aber fleht es bei diefen mit der
fittlichen Bedingtheit? S. argumentirt aus der Begründung
ihrer Drohweisfagungen. Aber 2 Kg. 87ff. fehlt, wie
er felbft zugeben mufs, eine folche völlig; die Thränen
Elifa's ändern daran nichts. Ebenfo fehlt fie 1 Kg. 22 5 «.
1 Kg. i817f. zur Erklärung heranzuziehen, wie S. thut,
ift nur mit Vorbehalt möglich, da diefe Verfe einer
anderen Quelle zugehören, aber es fei. Was ift danach
der Grund der Verwerfung Ahab's? ,Dafs er Jahwe {sie!)
verlaffen hat und den Baalen nachgewandelt ift', — alfo
eine religiöfe Begründung und keine fittliche! Und fo
verhält es fich bei faft allen angeführten Fällen. Das
tlttta 1 Kg. 1818, auf das S. fo grofses Gewicht legt (S.
23- 33) und worunter er beftimmte fittliche Forderungen
Gottes an fein Volk verfteht, ift überhaupt nicht urfprüng-
lich, vergl. LXX B. Luc, ebenfowenig das -QT 2 Sam.
12 9, vergl. LXX Luc. und w. 10. 14 des MT.; in den
fonft noch angeführten Stellen ift -fin lediglich eine
fpecielle prophetifche Weifung. Zu tTnn 2T3> vergl. mein
Buch über die ßundesvorft. im A. Teft. S. 144 ff. 250;
die Phrafe ift nach Inhalt und Form deuteronomifch!
Von geoffenbarten fittlichen Bundesforderungen als der
Grundlage des relig. Verh. weifs alfo die vorprophetifche
Zeit auch in ihren prophetifchen Vertretern noch nichts.
In den wenigen Fällen, wo bei jenen Gottesmännern die
Motivirung ihrer Drohung eine fittliche ift (Elia 1 Kg. 2119,
Nathan), handelt es fich nur um die elementarften
Forderungen des natürlichen Rechtes, die im Intereffe
des Beftandes der Gemeinfchaft, deren Hüter Jahwe ift,
aufrecht erhalten werden müffen, sc. um die Beftrafung
von Mord in idealer Concurrenz mit Diebftahl und Ehebruch
. Haben aber die Schriftpropheten nicht wefentlich
höhere fittliche Forderungen geftellt? — Noch charakte-

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