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Ausgabe: | 1896 Nr. 18 |
Spalte: | 479-480 |
Autor/Hrsg.: | Valois, Noël |
Titel/Untertitel: | La France et le grand schisme d‘Occident 1896 |
Rezensent: | Cartellieri, Alexander |
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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 18.
480
Raum, crarp' aus Dt. 6, 9 ift S. 56 zweimal durch: I
,Du follft fie fchreiben' und wiederum zweimal durch:
,Ihr follt fie fchreiben' wiedergegeben! Auf S. 20 überfetzt
G. Pf. 30, 7 ,Denn einen Augenblick ift er [Gott]
in feinem Zorn, lebenslänglich (!) in feinem Wohlwollen
'. Man kann fich daraus leicht einen Begriff
machen, wie es erft dem Talmud felbft ergeht, wenn
das A. T. fo behandelt wird. Manches, was eine cor-
recte Ueberfetzung hätte klar machen können, ift unver-
ftändlich geblieben, fodafs man zu dem Schluffe genöthigt
ift, dafs der Ueberfetzer felbft nicht überall über den
Gang der Discuffion und das eigentliche Wefen der
erörteren Probleme im Klaren ift.
Ein guter Talmudtext und eine genaue Ueberfetzung
find ein wichtiges Defideratum. Die von G. geleiftete
Arbeit ift aber nicht geeignet, die Lücke auszufüllen.
Leipzig. I. I. Kahan.
Valois, Noel, La France et le grand schisme d'Occident.
Tome I et II. Paris, A. Picard et fils, 1896. (XXX,
407 u. 516 S. gr. 8.)
Es ift franzöfifche Gefchichte, was der Verfaffer in
feinem grofs angelegten Werke geben will. Er vergegenwärtigt
fich die enge Verbindung des allerchriftlichften
Königs und des Statthalters Chrifti während der Jahrhunderte
. Von diefem Gefichtspunkt aus tritt er an das
Schisma heran, nicht um irgend eine vorgefafste Meinung
zu beweifen, fondern um die Thatfachen darzuftellen,
die fich aus der gewaltigen Fülle der urfprünglichen
Quellen ergeben. Die fchier erdrückende Maffe des
archivalifchen Stoffes bringt es mit fich, dafs die Leetüre
nicht leicht ift. Dafür find die Rückblicke und Ausblicke
des Verfaffers befonders zu fchätzen. Wichtiges
dürfte er kaum übergangen haben. Wenck's lehrreicher
Auffatz über Konrad von Geinhaufen und Fefter's Bernhard
1 konnten wohl nicht mehr benutzt werden. Einige
kleine Nachträge aus ungedruckten Materialien werden
fich künftig aus des Berichterftatters Regelten der
Bifchöfe von Conftanz ergeben. So dankbar man die
bequeme Inhaltsüberficht und das Namensverzeichnifs
hinnimmt, fo vermifst man doch ein Verzeichnifs der 1
benutzten Werke und — vielleicht ein idealer Wunfeh
— eine Karte, die den Machtbereich beider Päpfte ver-
anfchaulichen würde. Verfaffer fchildert den Zeitraum,
in dem Frankreich dem Papfte in Avignon anhing. Es
wäre uns nicht möglich, den reichen Inhalt feines Werkes
in einer kurzen Anzeige erkennen zu laffen. Wir müffen
uns darauf befchränken, die wefentlichen Ergebnifse hervorzuheben
. Er beginnt mit der unheilvollen Doppelwahl
des Jahres 1378. Am 8. April 1378 wurde unter
dem Druck des lärmenden Pöbels in Rom ein Italiener,
Bartholomäus Prignano, Erzbifchof von Bari, als Urban VI
gewählt, am 20. September darauf in Fondi ein Franzofe,
Cardinal Robert von Genf, als Papft Clemens VII. Die
Frage, wer von beiden der rechtmäfsige Papft fei, ift
feitdem in Flufs geblieben. Der Eifer der Zeitgenoffen,
die Erhebungen der Concilsfreunde, der Scharffinn fpäterer
Gelehrter haben fie vergeblich zu löfen verfucht. Die
römifche Ueberlieferung neigte dem römifchen Papfte zu.
Aber eine klare Entfcheidung der Kirche ift niemals
erfolgt. Auch Valois glaubt die Frage nicht mit einem I
entweder — oder beantworten zu können, weil er es als
Hiftoriker nicht darf, weil Recht und Unrecht hüben und
drüben gefunden werden, weil die Zeitgenoffen durch j
ihr Gewiffen fowohl auf die eine als auf die andere
Seite getrieben wurden, je nach den Nachrichten, die
ihnen zukamen. Diefe weife Zurückhaltung in Ranke's
Sinn ift nicht ein Mangel, fondern ein Vorzug des Buches.
Merkwürdig ift die bisher wenig bekannte Thatfache,
dafs das Schisma nicht etwa mit der Wahl Urban's anfing
. Im Gegentheil wurde diefer bis in den Juli 1378 i
hinein in Frankreich anerkannt. Nicht eben das Eingreifen
des Königs, fondern die Zuverficht, dafs er ihnen
den Rücken decke, führte fchliefslich die Cardinäle zu
der Wahl Clemens'. Wenn wir mit Valois die Partei-
ftellung der einzelnen Fürften und Völker überfehen, fo
erfcheinen clementiftifch: Frankreich in erfter Linie.
Savoien, Schottland, nach anfänglicher Zurückhaltung
Caftilien und Aragon, eine Anzahl niederrheinifcher
Fürften, vor allem, was Deutfchland betrifft, der durch
eine hohe Geldfumme gewonnene Herzog Leopold III
von Oefterreich, deffen Einflufs am Oberrhein fehr bedeutend
war. Auf Seite Urban's find zu nennen: England
, Ungarn, König Wenzel, die Kurfürften von Köln,
Trier und der Pfalz, Herzog Stephan'von Baiern. Von
einer Trennung nach Nationaliäten kann nicht die Rede
fein, fondern die kirchlichen Meinungsverfchiedenheiten
erzeugten eine neue Parteigruppirung, die natürlich auch
andere ältere Gegenfätze in fich aufnahm. Der Gang
der Entwicklung wurde dadurch beftimmt, dafs am 16.
Sept. 1380 König Karl V von Frankreich ftarb. Hier
beginnt Valois feinen zweiten Hauptabfchnitt. Und das
mit vollem Recht, da der Tod des alten Königs, eines
Meifters in der Behandlung der Menfchen, in Frankreich
Wirren zeitigte, die fich auch in kirchlicher Hinficht zum
Schaden des Landes ftark fühlbar machten. Karl VI,
fein Sohn, war bei feiner Thronbefteigung ein nervös
kränklicher Knabe. Wir wiffen, dafs er fpäter dem
Wahnfinn anheimfiel. Damals beherrfchten ihn feine,
überdies unter einander uneinigen Oheime, die Herzöge
von Anjou, Berri, Burgund und Bourbon. Der kriegs-
gefchichtlich fehr intereffante Vorftofs, den Ludwig I von
Anjou als Vertreter Frankreichs und des franzöfifchen
Papftes nach Unteritalien unternahm, fcheiterte infolge
feines vorzeitigen Todes am 21. Sept. 1384. Damit kam
der Kampf der feindlichen Päpfte zum Stillftand. Immer
lauter erhoben diejenigen ihre Stimme, die um jeden
Preis die Einheit der Kirche wiederhergeftellt wiffen
wollten, vor allem die Univerfität Paris, trotz aller Be-
fchränkungen, die ihr auferlegt wurden. Der Tod
Urban's VI am 15. October 1389 änderte zunächft freilich
an der Sachlage nichts. Aber fein Nachfolger, Peter
Tomacelli, Cardinal von Neapel, der fich Bonifaz IX
nannte, war ein gewandterer Politiker und gewann den
verlorenen Boden allmählich wieder. Die öffentliche
Meinung machte fich in heftigen Flugfchriften Luft.
Valois hat diefen eine befonders eindringende Aufmerk-
famkeit gewidmet. Wir wiffen ihm Dank dafür. Denn
treu und lebensvoll fpiegeln fich darin die Stimmungen
der Zeitgenoffen: der conciliare Gedanke tritt nach und
nach in den Vordergrund. Als Clemens VII am 16. September
1394 durch einen Schlaganfall hinweggerafft
wurde, war ganz Frankreich fchismamüde, und das Be-
wufstfein der einen und allgemeinen Kirche ftärker denn
je. Das bedeutete, wie Valois fagt, nicht das Ende des
Schismas, wohl aber das Ende einer befonderen Art
Gallikanismus: Frankreich lief Gefahr, das Papftthum in
feinen Armen zu erdrücken. Nun aber wurde zugleich
mit dem franzöfifchen Papfte das franzöfifch avignonefifche
Papftthum begraben. —
In 4 Beilagen {Iiclaircisscments) handelt Valois
1) über zwei ungedruckte Gedichte vom März 1381; 2)
über die Parteinahme Aragons für Clemens VII; 3) über
den Nachlafs des Cardinais Gerard; höchft wichtige
Acten, deren Benutzung der Befitzer Herr Poidebard
dem Verfaffer freundlichft geftattet hat; 4) über eine
deutfehe Gefandtfchaft nach Paris im März 1381. Wenn
wir bisher Deutfchland kaum erwähnt haben, fo liegt
dies daran, dafs das Reich unter einem fo fchwachen
Oberhaupte wie Wenzel nicht thatkräftig in die grofsen
Fragen der Chriftenheit eingriff. Jene Gefandtfchaft ging
freilich von ihm aus und führte eine drohende Sprache.
Aber das war auch alles. Zu Thaten konnte fich die
ängftliche Politik des Lützelburgers nicht aufraffen.
Karlsruhe. Alex. Cartellieri.