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Ausgabe:

1896 Nr. 18

Spalte:

468-470

Autor/Hrsg.:

Sepp, Johann Nepomuk

Titel/Untertitel:

Neue hochwichtige Entdeckungen auf der zweiten Palästinafahrt 1896

Rezensent:

Furrer, Konrad

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 18.

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wie fo oft bei fpäteren Bauten einem durch Ueberkragung
hergeftellten falfchen Gewölbe), den die Baugefchichte
kennt. So tritt uns hier die wirklich ältefte Cultur Baby-
loniens lebendig entgegen. Wir erhalten einen Einblick
in die unabfehbaren Zeiträume, welche vor der Epoche
liegen, wo uns Staat und Cultur unter Sargon bereits in
voller Ausbildung, in den feiten Formen entgegentreten,
in denen fie von da an mehr als drei Jahrtaufende fich
weiter bewegt haben. Mit Recht fagt Haynes: ,wir müffen
aufhören das Adjectiv,ältefte' auf die Zeit Sargon's oder
überhaupt auf irgend eine Epoche anzuwenden, die der fort-
gefchrittenen Civilifation feiner Zeit auf ein Jahrtaufend
nahe liegt'. Denn wenn wir gegenwärtig eine verhältnifs-
mäfsig fo primitive Cultur wie die trojanifche Jahrtaufende
hindurch verfolgen und mit Sicherheit behaupten
können, dafs die tiefiten Schichten im Hügel von Troja
mindeltens bis an das Jahr 3000 v. Chr. heranreichen, fo
kann es keinem Zweifel unterliegen, dafs die Vorftufen
der damals fchon hochentwickelten babylonifchen Cultur
uns mindeltens noch einmal fo hoch hinaufführen. Und
jetzt wiffen wir, dafs die Ueberrefte diefer Entwickelung
nicht verloren find — während uns das Nilthal trotz allen
Suchens noch immer nichts von der gleichartigen Entwickelung
liefern will, die zweifellos auch hier fleh vollzogen
hat, bis die gewaltige Höhe der Pyramidenzeit
erreicht war.

Aber auch infehriftliche Zeugnilse aus einer weit über
Sargon hinausreichenden Zeit haben die Ausgrabungen
geliefert. Am Tempelwall befindet fich ein grofser unter-
irdifcher Keller, der von Sargon angelegt, von Urgur
umgebaut ilt und als Tempelarchiv gedient hat — eine
völlig gleichartige Anlage hat de Sarzec 1894 in Tello
gefunden, deren Inhalt, ca. 30000 Thontafeln, leider
nach der Entdeckung zerftreut worden iff. Das Archiv
von Nippur ift dagegen bereits gegen Ende des dritten
Jahrtaufends v. Chr. ausgeraubt worden, vermuthlich von
den elamitifchen Eroberern. Von Kudurnanchundi ift
überliefert, dafs er die Tempel von Sumer und Akkad
ausplünderte und ihre Koftbarkeiten nach Sufa fchleppte.
Was werthvoll war, wurde weggeführt, das übrige, Tafeln
und namentlich Steinvafen, auf dem Tempelhof zerfchlagen.
Aus diefen Scherben hat Hilprecht mit bewunderungswürdiger
Ausdauer die Texte hergeftellt, von denen im
Eingang diefer Befprechung die Rede war.

Von den älteften diefer Infchriften erweift Hilprecht
durch zwingende paläographifche Gründe, dafs fie älter
find, als die älteften Infchriften und Denkmäler von Tello
— darunter die berühmte Geierftele — und dafs diefe wie
jene beträchtlich älter find als Sargon und Naramfin
in Uebereinftimmung mit den Ergebnifsen, zu denen
Heuzey in feinen Arbeiten über die älteften Monumente
von Tello gelangt war. Bisher waren feine Anfätze vielfach
beftritten; jetzt haben fie eine kichere Beftätigung
gefunden. Man fieht, wie die franzöfifchen und ameri-
kanifchen Ausgrabungen in Tello und Nippur fich gegen-
feitig ergänzen und dadurch ein ficheres Fundament für
die ältefte Gefchichte des Landes ergeben.

Von diefer älteften Gefchichte verfucht Hilprecht
zum Schlufs ein Bild zu entwerfen. Eingehender behandelt
er namentlich die Kämpfe zwifchen dem alt-
babylonifchen Reich Kengi (=Sumer), deffen Hauptftadt
nach feiner Annahme Uruk (Erech), deffen religöfe
Metropole Nippur gewefen ift, und den Herrfchern {patesi)
von Kifch, von denen in diefen älteften Texten viel die
Rede ift. Diefe Herrfcher von Kifch gebieten zugleich über
die ,wilden Schaaren' der Stadt Ban. Schliefslich unterwirft
der fchon genannte König, deffen Name Lugalzaggisi
gefchrieben wird — die wirkliche Ausfprache ift natürlich
ganz unbekannt —, das babylonifche Land und

1) Zur Orientirung bemerke ich, dafs der bekannte Herrfcher von
Tello, Gudea, von dem wir die berühmten Statuen befitzen, Zeitgenoffe
Urgur's und feines Sohnes Dungi, alfo mehrere Jahrhunderte jünger als
Sargon ift.

gründet ein grofses vom Mittelmeer, ,dem oberen Meer',
bis zum perfifchen Golf, ,dem unteren Meer des Tigris und
Euphrat' reichendes Reich. Er nennt fich ,König von
Uruk, König der Welt (,der Gefammtheit', lugal kalama),
patesi von Ban' und daneben Priefter verfchi edener baby-
lonifcher Götter. Es ift alfo der erfte Grofskönig, den
die Gefchichte kennt, lange vor Sargon von Agade.
Den Sturz diefer Fremdherrfchaft fcheint dann die Geierftele
von Tello zu verherrlichen. Nach Hilprecht's Anficht
wären Lugalzaggisi und feine Schaaren Semiten
gewefen, und feine grofse Infchrift femitifch (affyrifch)
zu lefen. [Haben wir dann aber irgend eine Gewähr, dafs
nicht alle anderen Infchriften auch femitifch zu lefen find?
Wie es fcheint, bringen alfo auch diefe älteften Texte kein
Mittel zur Löfung des Sumerierräthfels.] Kifch ift an
der Nordgrenze Babyloniens zu fuchen und war auch
früher fchon dem Namen nach bekannt. Wo aber lag
der Ban gefchriebene Ort? Hilprecht glaubt ihn
in Charrän in Mefopotamien fuchen zu müffen, während
er von Kifch den in letzter Zeit viel umftrittenen Königstitel
sar kissati, nach der gewöhnlichen Ueberfetzung
,König der Schaaren', ableiten möchte.

In diefen und manchen anderen Folgerungen ift
natürlich noch fehr vieles nnficher und hypothetifch.
Doch ift es weder an diefer Stelle zuläffig, noch dem
Referenten möglich, darauf näher einzugehen; die Dis-
cuffion darüber mufs den Fachmännern überlaffen bleiben.
Auch wenn manches noch lange dunkel bleiben follte
— der kichere Gewinn ift bereits umfangreich und gewaltig
genug. Und fo fchliefsen wir mit dem wärmften
Dank an den Herausgeber, der uns in unermüdlicher
Ausdauer das Material zugänglich gemacht hat, an die
umfichtigen und energifchen Leiter der Ausgrabungen,
vor allem J. H. Haynes, deffen Bericht über die Ausgrabungen
und Befchreibung der Fundobjecte wir mit
grofser Spannung entgegenfehen, aber auch an die hochherzigen
Männer, welche durch ihre Opferwilligkeit die
Ausgrabungen möglich gemacht haben und fich nun fo
reich belohnt fehen.

Halle a. S. Eduard Meyer.

Sepp, Prof. Dr., Neue hochwichtige Entdeckungen auf der
zweiten Palästinafahrt. Erwerbung Kapharnaum's für
das kath. Deutfchland und des Johanniterfpitals für
Preufsen. München, Literar. Inftitut Dr. Huttier, 1896.
(X, 368 u. 292 S. m. Abbildgn. u. 2 Karten, gr. 8.)

M. 12. —

Der ehrwürdige achtzigjährige Altmeifter der Paläftina-
forfchung, Dr. N. Sepp, bietet uns nochmals in einem
umfangreichen Werke das Ergebnifs langjähriger und
vielumfaffender Studien an. Ihm gebührt ein Haupt-
verdienft, in katholifchen Kreifen das Intereffe für die
wiffenfehaftliche Wiedergewinnung des h. Landes geweckt
und gepflegt zu haben. Das vorliegende Werk zeigt,
dafs er am fpäten Lebensabend von dem Reichthum
und der Frifche feines Geiftes, von feiner lebhaften
Phantafie, von der Wärme feines Gemüthes nichts verloren
hat.

Kein einziger der uns bekannten Paläftinaforfcher
hat feine Studien auf fo breiter Grundlage angelegt wie
Sepp. Er ift nicht nur Bibelgeograph, fondern er geht
der Gefchichte des Landes nach von der Urzeit bis auf
heute. Er ift Folklorift und fucht mit ganz befonderer
Vorliebe fein reiches Wiffen über Paläftina für die allgemeine
Religionsgefchichte fruchtbar zu machen. Mit
treuer Anhänglichkeit an feine Kirche verbindet er eine
fo grofse wiffenfehaftliche Unbefangenheit, dafs confer-
vative Leute gelegentlich wohl meinen könnten, fein
Glaube fei unter die Räuber gefallen und die hätten den-
felben halb ausgezogen. Doch würde Sepp ängftliche
Kritiker beruhigen mit dem Spruch, den er unter fein