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Ausgabe:

1896 Nr. 16

Spalte:

429-432

Autor/Hrsg.:

Salmond, Stewart D. E.

Titel/Untertitel:

The christian doctrine of immortality 1896

Rezensent:

Clemen, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 16.

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Und nach folchen Zielen flrebt die neuere Theologie,
die alfo den wahren Glaubensgedanken der Reformatoren
entfpricht, indem fie die von ihnen übernommenen hergebrachten
Formeln aufgiebt und durch neue zu erfetzen
fucht. — Die kleine Schrift ift klar und überzeugend ge-
fchrieben,— für Nichttheologen vielleicht etwas zu wenig
von Sprache und Denkweife der Schule frei gemacht.

Göttingen. Schultz.

Salmond, Prof. Stewart D. E., M. A., D. D., The Christian
doctrine of immortality. Edinburgh, T. & T. Clark, 1895.
(XII, 703 S. gr. 8.) Geb. 14 s.

Die Lehre von den letzten Dingen fleht in England
(und Amerika) ganz anders im Vordergrund des theo-
logifchen Intereffes, als in Deutfchland und anderwärts.
Von der einen Seite wird noch immer bei jeder Gelegenheit
die alte Anfchauung namentlich von den Höllen-
ftrafen in ihrer ganzen Schärfe vertreten, von der andern
her ift fie in verfchiedener Beziehung ausdrücklich cor-
rigirt worden. Robertfon fuchte aus der Lehre vom
Fegefeuer einen Wahrheitskern herauszufchälen und lehrte
eine Weiterentwicklung nach dem Tode; Maurice bezweifelte
die Ewigkeit der Höllenftrafen und mufste
defshalb feine Profeffur an King's College in London
aufgeben. Noch gröfser war die Aufregung, als fich 1877
Farrar in fünf Weftminfterpredigten, die 1891 unter dem
Titel ,Ewige Hoffnung' auch deutfch erfchienen, zu der-
felben Anfchauung bekannte, fo grofs, dafs auch der
achtzigjährige Pufey es für nöthig hielt, öffentlich gegen
jene Neuerung aufzutreten. Aber felbft er gab zu, dafs
die Verdammnifs der Mehrzahl aller Menfchen keine
katholifche Lehre und der Glaube an wirkliche Höllenftrafen
eine individuelle Meinung fei, die man annehmen
oder verwerfen könnte. Noch weiter gingen in ihren
Conceffionen andere, die fich in der Contemporary Review
zu der Frage äufserten, und deren Auffätze jetzt
in einem Sammelband unter dem Titel 7/ie Wider Hope
(1S90) vorliegen. Man kann danach neben den Altgläubigen
, die freilich auch von einander abweichen,
namentlich drei Richtungen unterfcheiden: die Conditio-
naliften, die Univerfaliften und (wenn ich das Wort bilden
darf) die Probationiflen. Die erfteren, zu denen in England
namentlich E. White und J. B. Heard gehören,
laffen die Unfterblichkeit erft von Chriftus mitgetheilt
werden; die Univerfaliften, die nicht nur eine eigene
Denomination bilden, fondern auch unter Baptiften,
Congregationaliften und Presbyterianern Anhänger haben,
lehren die Larger Hope (übrigens ein durch Tennyfon's
In Memoriam aufgebrachter Ausdruck); die meiften aber
glauben wenigftens an eine Fortentwicklung nach dem
Tode (futnrc probation), eine Anfchauung, die in Amerika
als Andover-position bezeichnet zu werden pflegt und vor
einigen Jahren innerhalb der älteften dortigen Miffions-
gefellfchaft eine fchwere Krifis herbeiführte (vgl. allg.
Miffions-Zeitfchrift 1894, 47 £). Bei diefer Lage der Dinge
erklärt fich in England das Erfcheinen eines fo umfangreichen
Werkes über die Lehre von der Unfterblichkeit,
wie des vorliegenden, hervorgegangen aus den Cunning-
liam Lectures an dem Free Church College in Edinburgh
für 1894.

Es enthält indefs weniger, als man nach dem Titel
erwarten könnte. 1t does not undcrtake to examine the
belief in immortality in its relations either to science or
to speculation . . . Tht present inquiry limits itself to the
qnestion: What is the witness of Scripture on the subject?
The words of Christ are to me the highest authority,
beyond I seek 110 othcr (VII f.). Gleichwohl fchickt der
Verf. nicht nur eine Unterfuchung der altteftamentlichen, (
fondern auch der heidnifchen Vorbereitung des chrift-
lichen Unfterblichkeitsglaubens voraus.

Nach einigen allgemeinen Vorbemerkungen, die namentlich
in methodologifcher Hinficht höchft lefenswerth

find, befpricht S. alfo zunächft die indifchen Vorftellungen,
dabei freilich wohl die Verhältnifse zur Zeit der Ent-
ftehung des Buddhismus nicht ganz richtig fchildernd
und weiterhin zwifchen feinen verfchiedenen Entwicklungs-
phafen (und dem Jainismus) nicht genügend unterfchei-
dend. Vortrefflich ift dagegen die Erörterung der ägyp-
tifchen, affyrifch-babylonifchen und befonders der perfl-
fchen Zukunftserwartungen, für die der Verfaffer überall
die beften und neueften Quellen zu Grunde legt. Am
meiften dürfte ihm endlich die Schilderung des griechi-
fchenUnfterblichkeitsglaubens gelungen fein, um fo mehr,
als er hier die verfchiedenen Stufen desfelben fchärfer
auseinander halten konnte, als es fonft möglich ift. Alles
in allem ftellt alfo diefes erfte Buch nicht nur der Ge-
lehrfamkeit, fondern namentlich auch dem Urtheil und
der Darftellungsgabe des Verf. 's das allergünftigfte Zeug-
nifs aus.

Nicht ganz auf diefer Höhe hält fich der zweite
Theil, der die altteftamentliche Vorbereitung behandelt.
Zwar die methodifchen Grundfätze des Verf. find auch
hier wieder vortrefflich, aber die Ausführung entfpricht
ihnen nicht immer. Oder lieft er nicht doch das alte
Teftament vom chriftlichen Standpunkt aus (namentlich
549), wenn er immer wieder betont, der Glaube an Gott
hätte ein Leben nach dem Tode gefordert? Beim altteftamentlichen
Unfterblichkeitsglauben handelt es fich
eben im Allgemeinen .durchaus nicht um eine religiöfe
Lehre, fondern um eine volksthümliche Vorftellung'
(Schultz, Altteftamentliche Theologie 5. Aufl. S. 554), ja
nach Smend (Altteftamentliche Religionsgefchichte 507)
hätte die jüdifche Ehrfurcht vor dem Einen, der allein
ewig war, dem Aufkommen der Auferftehungshoffnung
vielmehr entgegengewirkt. Sagt doch auch S. felbft: In
Sheol there is no enjoyment of divine things, no remcm-
brance of God, no adoration of His name (203) und weiterhin
: There is no clear and certain indication that rezeard
and pnnishment pass over into Sheol, für less that Sheol
is their proper scene (211). Aber wie kann dann der
Glaube daran eine religiöfe Wurzel haben? Auch die
Lehre vom Menfchen führte nicht mit Nothwendigkeit
darauf; der Tod .erfcheint auch im alten Teftament
einerfeits als eine fo natürliche Aeufserung der Vergänglichkeit
aller finnlichen Wefen, dafs er zu keiner be-
fondernreligiöfen Auffaffungherausfordert'(Schultz 548).
S. hätte eben hier neben der Gleichförmigkeit und Beftän-
digkeit der altteftamentlichen Religion auch ihre Mannigfaltigkeit
und Veränderlichkeit berückfichtigen müffen,
wie er das ja mit Bezug auf die Efchatologie wenigftens
verfucht. Er findet fie nämlich in den poetifchen und
prophetifchen Büchern weiter gebildet, tritt aber auch
hier vielfach fchon mit chriftlichem Empfinden an die
Quellen heran. An fich liegt in Pf. 16 u. 17 wohl nicht
einmal die Ahnung eines ewigen Lebens in der Gemein-
fchaft Gottes, wie auch Pf. 49 u. 73 möglicher Weife
gar nicht hierher gehören und Hiob 19 nur die Rechtfertigung
, aber nicht die Auferweckung des unfchuldigen
Gerechten erwartet wird. Das ift wohl erft Jef. 26 und
ficher Dan. 12, aber kaum bei Kohelet der Fall; der
Verf. hat auch hier, wenngleich vorfichtig und verftän-
dig, doch zu viel eingetragen. Vielleicht foll das Schlufs-
urtheil auf S. 271 das Vorhergehende nachträglich wieder
einfchränken; dann müfste bei einer zweiten Auflage
lieber diefer ganze Theil umgearbeitet werden.

Auch der Ueberblick über die Literatur des Judenthums
, der jetzt im vierten Buche folgt, würde paffender
zu Anfang des dritten, über die Lehre Jefu handelnden
flehen, von der S. zugiebt, dafs fie formell befonders
in diefen Fragen der jüdifchen Apokalyptik nahefteht.
Ob feine Anfchauung von der Reichsgottesidee Jefu haltbar
fei, kann ich hier nicht unterfuchen; die Frage nach
der Wiederkunftserwartung wird faft ebenfo, wie gleichzeitig
von Schwartzkopff (Die Weisfagungen Jefu
Chrifti von feinem Tode, feiner Auferftehung und Wieder-