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Ausgabe:

1896 Nr. 16

Spalte:

428-429

Autor/Hrsg.:

Lobstein, P.

Titel/Untertitel:

Die Lehre von der übernatürlichen Geburt Christi. Christologische Studien. 2., stark verm. Aufl 1896

Rezensent:

Schultz, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 16.

428

So wenig die Beurtheilung von Gregor's Perfönlich-
keit befriedigen kann, fo wenig die feines Verfahrens:
man verfteht das Letztere nur, wenn man es als durchaus
von politifchen Gefichtspunkten bedingt betrachtet.

Was fagt nun Martens über die Ziele Gregors?
Mit einem recht häfslichen Fremdwort bezeichnet er ihn
als den eigentlichen Schöpfer des hierokratifchen Syftems.
Gemeint ift damit, dafs Gregor in aller Folgerichtigkeit
den Gedanken der Unterordnung der Fürftengewalt unter
den päpftlichen Stuhl entwickelt und ihn zu verwirklichen
gefucht habe. Dagegen ift natürlich nichts einzuwenden.
Allein es dünkt mich, dafs Martens von diefem richtigen
Gedanken eine unrichtige Anwendung gemacht
hat. Denn thatfächtlich war das nächfte Ziel, das Gregor
nach feiner Erhebung ins Auge fafste, vielmehr die
Durchführung der päpftlichen Herrfchaft dem Epifkopat |
gegenüber. Erft dafs er hiebet den König als Gegner
fand, führte zum Kampf mit ihm, und in diefem Kampf
trat dann jenes letzte Ziel Gregors immer klarer und
beftimmter hervor. Bei Martens ift das fo wenig berück-
fichtigt, dafs er von der Erörterung der Erhebung Hildebrands
fofort zu der Darftellung feiner Conflicte mit
Heinrich IV übergeht. Die Folge ift, dafs der Lefer ein
unrichtiges Bild von dem Verlauf feines Pontificats erhält
. Die Verfchiebung der richtigen Zeichnung wird
dadurch noch vermehrt, dafs Gregors Verhalten gegen
Deutfchland ifolirt dargeftellt ift. Im richtigen Licht
würde er erft erfcheinen, wenn fein Verhalten gegen die
nicht deutfche Welt als Parallele daneben träte. Aber
während im erften Buch der Conflict Gregors mit Heinrich
als fein ganzes Pontificat erfüllend erfcheint, wird
erft im dritten beiläufig davon gefprochen, wie er fich
gegen Philipp von Frankreich, Wilhelm von England
und die Normannen verhielt.

Ich mufste gegen die Auffaffung und Darfteilung
von Martens in den entfcheidenden Punkten Bedenken
erheben. Doch kann das nicht hindern, dafs ich bereitwillig
anerkenne, dafs fein Werk bedeutende Vorzüge 1
befitzt: überall zeigt er fichere und felbftändige Kenntnifs
der Quellen, eine Menge einzelner Punkte wird fcharf-
finnig und gelehrt unterfucht. Nirgends wird mit Worten
gefpielt, fondern überall klar und benimmt geredet.
Aber alle diefe Vorzüge im Einzelnen können den Mangel
des Ganzen nicht erfetzen: eine Biographie mufs mehr
fein als eine Kette fcharffinniger Einzelunterfuchungen.
Auch nach Martens' Werk ift die grofse und lohnende ]
Aufgabe, eine Biographie Gregors VII zu fchreiben,
noch ungelöft.

Leipzig. Hauck.

Sacerdote, Guftave, Deux Index expurgatoires de livres
hebreux. Verfailles, Cerf et Cie., 1895. (31 S. 8.)

Die Angabe in meinem Buche über den Index I, 51,
die Inquifition habe es feit Clemens VIII. grundfätzlich
abgelehnt, jüdifche Bücher zu expurgiren, habe ich in
der Theol. L.-Z. 1891, 405 berichtigt, nachdem A. Berliner
einen eigenen, freilich nur handfchriftlichen Index
expurgatorius für etwa 500 jüdifche Bücher, Zikuk, bekannt
gemacht hatte, der 1596 von einem Pater Domini-
cus von Jerufalem zu Mantua vollendet, 1626 von dem
Kapuziner Renatus von Modena erweitert wurde und
noch in mehreren Exemplaren vorhanden ift. In der
vorliegenden Abhandlung von G. Sacerdote, die aus der
Revue des etudes juives t. XXX abgedruckt ift, werden
zwei ähnliche bisher unbekannte Indices befchrieben, die
der Verfaffer in römifchen Bibliotheken aufgefunden hat.
Der eine, von dem Pater Laurentius Franguelle, einem getauften
Juden, in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts I
verfafst, ift ähnlich wie der von Berliner befchriebene
eingerichtet, umfafst aber nur 33 Bücher. Der andere
ift kein eigentlicher Index, fondern nur eine Vorarbeit
für einen folchen, eine Zufammenftellung von kritifchen

Bemerkungen zu Stellen in 27 hebräifchen Büchern, meift
rabbinifchen Commentaren, deren Expurgation beantragt
oder in Ausficht genommen war. Diefe Bemerkungen
find 1578—1583 von neben Cenforen, getauften Juden,
verfafst und von dem damaligen Magister Sacri Palatii
und dem P. Bellarmin, dem fpäteren Cardinal, durchge-
fehen worden. Zu einer Befchlufsfaffung der Index-Con-
gregation fcheint es nicht gekommen zu fein. — Nach
den vom Verfaffer gefammelten Notizen (S. 26) haben
die Indices expurgatorii bei hebräifchen Büchern eine ausgedehnte
Anwendung nicht gefunden. Im allgemeinen
überliefs man es den jüdifchen Befitzern felbft, die Expurgation
ihrer Bücher vorzunehmen, und die dabei geübte
Controle der kirchlichen Cenfurbehörde war in der
Regel fehr lax. Viele Bücher, die der Verfaffer gefehen
hat, tragen den Vermerk, fie feien revidirt, in denen
nichts oder faft nichts corrigirt ift, meift wohl aus Un-
wiffenheit oder Nachläffigkeit, mitunter nach S. 28 weil
fich die Cenfurbeamten beftechen liefsen.

Bonn. Reufch.

1. Lobstein, Prof. P., Die Lehre von der übernatürlichen
Geburt Christi. Chriftologifche Studien. 2. ftark vermehrte
Aufl. Freiburg i. B., J. C. B. Mohr, 1896.
(III, 65 S. gr. 8.) M. 1.60

2. Lobstein, Prof. P., Die altkirchliche Christologie und der
evangelische Heilsglaube. (Hefte zur ,Chriftlichen Welt'
Nr. 24.) Leipzig, Grunow, 1896. (36 S. gr. 8.) M. —.40

Die erfte Schrift bietet eine mit Rückficht auf die
neueften theologifchen und kirchlichen Verhandlungen
über die Bedeutung der Lehre von der Jungfraugeburt
erweiterte Neubearbeitung der zuerft in franzöfifcher
Sprache 1890 herausgegebenen etudes christologiques des
Verfaffers, die in diefer Zeitfchrift 1891 Nr. 14 von
Kaftan zur Befprechung gebracht und von Arendt auch
in die deutfche Sprache übertragen find. Wir freuen uns,
dem mit ebenfoviel Pietät und religiöfer Wärme wie
wiffenfchaftlicher Umficht und Gründlichkeit gefchriebe-
nen Auffatze in diefer neuen Geftalt zu begegnen, und
können die Ueberzeugung ausdrücken, dafs er die hifto-
rifche Unficherheit und dogmatifche Werthlofigkeit des
traditionellen Dogma ebenfo richtig zum Ausdrucke gebracht
hat, wie er den unvergänglichen religiöfen in ihm
niedergelegten Inhalt zur Geltung kommen läfst. Auch
der pofitive Verfuch, diefen Inhalt zu formuliren und
feine Ausgeftaltung zu den vorliegenden Erzählungen zu
erklären, fcheint mir durchaus gelungen, wenn er fich
auch natürlich auf dem Boden fchon früher vorge-
fchlagener Löningen bewegt.

In dem ,Hefte zur Chriftlichen Welt' macht Lob-
ftein den Verfuch, weitere Kreife von Gebildeten davon
Zu überzeugen, dafs die Weiterbildung des chriftolo-
gifchen Dogma im Sinne der neueren Theologie eine im
Wefen des evangelifchen Glaubens begründete Noth-
wendigkeit, alfo eine kirchliche Glaubenspflicht ift. Er
fchlägt dazu den dogmengefchichtlichen Weg ein. Die
auf dem Grunde hellenifcher Gedankenbildungen ent-
ftandenen Ergebnifse der altkirchlichen Chriftologie find
von den Reformatoren allerdings mit voller Ueberzeugung
übernommen, ja neubelebt. Aber in dem refor-
matorifchen Glaubensprincip und in der neuen religiös-
ethifchen Schätzung des Heils ift eine Umbildung der
Lehre von Gott und von dem Heilswerke Chrifti enthalten
, die eine fundamentale Veränderung der Voraus-
fetzungen des chriftologifchen Dogma in fich fchliefst. So
mufs die evangelifche Frömmigkeit bei ernfter Schrifttreue
und in lebendiger Weiterentwicklung ihrer eigenen Grundgedanken
auch in der Chriftologie nothwendig auf Ziele
hinführen, die fich mit den alten Formeln nicht decken,
fondern Neugeftaltungen des wirklichen Glaubens an die
Bedeutung des Erlöfers im Geifte der Reformation find.