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Ausgabe:

1896 Nr. 15

Spalte:

402-405

Autor/Hrsg.:

Ritschl, Otto

Titel/Untertitel:

Albrecht Ritschls Leben. 2. Bd. 1864-1889 1896

Rezensent:

Weizsäcker, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 15.

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beiden Jahren drei Gelehrte fich mit folcher Prüfung
befchäftigt. Zwei von ihnen, ohne von Overbeck's Bemerkungen
zu wiffen oder wenigftens durch fie beein-
flufst zu fein: J. Huemer, der künftige Herausgeber der
Schrift im Wiener Corpus, der in einem Auffatz der
,Wiener Studien' (XVI, 1894, 121—158) der Frage näher
trat, und St. v. Sychowski, der fie im zweiten Heft
des zweiten Bandes der von Knöpfler u. A. herausgegebenen
,Kirchengefchichtlichen Studien' behandelte,
indem er gleichzeitig den Text des Schriftchens abdruckte
und mit eingehenden Notizen, auch über die
Autoren felbft und ihre Schriften, begleitete. Etwas
fpäter als die Genannten ift ein Schüler Overbeck's, J
Bernoulli, auf den Plan getreten, der im engen An-
fchlufs an den Hauptgedanken feines Lehrers in der
Ausführung felbftändige Wege gewandeilt ift. Sein Buch
ift eine erweiterte Licentiatenarbeit, in die, nachdem fie
ihren urfprünglichen Zweck erfüllt hatte, Winke und
Studien Overbeck's über den Katalog hineingearbeitet
find. Bernoulli hat fich wefentlich auf die erften 78
Capitel, d. h. auf die Erörterung des Verhältnifses zu
Eufebius, befchränkt; die Capitel 79 — 135 werden auf
wenigen Seiten in einem Anhang abgemacht. <

EinVergleich zwifchen v. Sychowski undBernoulli
— der Huemer'fche Auffatz darf neben den umfaffen-
deren Arbeiten füglich unberückfichtigt bleiben — fällt
auf den erften Blick nicht gerade zu Gunften des Letzteren
aus. Daran ift die Unüberfichtlichkeit der Anlage Schuld,
deren der Verfaffer übrigens fich wohl bewufst ift, ins-
befondere die, wie er felbft im Vorwort fagt, ,zerftückelte
Form der Darfteilung'. Die Motivirung feines Verfahrens
hat mir doch nicht eingeleuchtet: er meint, die Anlage
in Commentarform, die v. Sychowski bevorzugt hatte,
indem er zu jedem Capitel fofort die nöthigen Nachweife
gab, habe er verlaffen, weil die Vertheilung des
Stoffes in fachlichen Rubriken die wichtigen Punkte weit
beffer zur Geltung bringe. Ich bin durchaus feiner
Meinung und halte es auch für richtig, dafs ,die Kirchen-
gefchichte des Eufebius als Hauptquelle' im Zufammen-
hang erörtert wurde, was zu thun v. Sychowski übrigens
auch nicht unterlaffen hatte. Warum nun aber, davon
getrennt, die ,einzelnen Fälle' noch einmal umftändlich
erörtert werden mufsten, vermag ich nicht einzufehen,
noch weniger, warum viele diefer Fälle an anderen
Stellen wieder zur Erörterung gelangen. Das gute Regifter,
das genau angiebt, wo man zu fuchen hat, erleichtert
diefe Aufgabe zweifellos fehr; aber fchon feine Exiftenz
fpricht gegen die Anordnung des Stoffes, und fchon das
Suchen macht nervös: mir wenigftens ift es fo gegangen,
dafs ich bei häufiger Benutzung des Buches ftets wieder
habe lernen müffen, wie ich es benutzen foll. Auch
vermag ich die Empfindung nicht zu unterdrücken, dafs
die Unterfuchung eben dadurch unnöthig verbreitert
worden ift; dazu kommt eine gewiffe Umftändlichkeit
der Darfteilung, die in dem erften Abfchnitt (über das
Anfehen des Schriftftellerkatalogs bei der Wiffenfchaft)
befonders deutlich hervortritt.

Mit dem Inhalt kann man fich nur einverftanden
erklären. Hatte fchon v. Sychowski mit anerkennens-
werther Offenheit fich über die fchriftftellerifchen Qualitäten
des Heiligen geäufsert, fo geht ihm Bernoulli
noch ganz anders zu Leibe. Mag fein, dafs er dabei
zuweilen einen zu ftrengen, den abfoluten ftatt des relativen
Mafsftabes anlegt; im Grofsen und Ganzen wird es
doch dabei bleiben, dafs Hieronymus ,nichts weniger
als zum Literarhiftoriker' gefchaffen war, und jedenfalls
ift die kritiklofe Behandlung feines ,Zeugnifses', wie fie
bisher mit einigen wenigen Ausnahmen üblich war, nun
unmöglich geworden, vorausgefetzt, dafs die gelehrte
Trägheit fich entfchliefst, den Zopf wirklich abzufchneiden.
Intereffant und originell ift bei Bernoulli vor Allem
die Vergleichung des Hieronymus mit Sueton, deffen
nur in BruchtUicken und Ausdrücken auf uns gekommenes

Buch de viris inlustribus ihm als Vorbild gedient hat.
Die grofse Sorgfalt und Genauigkeit, mit der die Unterfuchung
in all ihren Einzelheiten geführt ift, entfchädigt
uns zudem für die erwähnten formellen Mängel. Der
Druck ift fo fplendid, wie wir es bei derartigen Arbeiten
nicht gewöhnt find; leider find mehr Druckfehler flehen
geblieben (und nicht ganz unbedeutende) als das Ver-
zeichnifs vermerkt.

Seiner Unterfuchung hat Bernoulli einen Abdruck
der erften 78 Capitel vorangefchickt, wobei nach einer
ingeniöfen und für ähnliche Fälle empfehlenswerthen
Methode durch verfchiedenartige Unterftreichung die
Herkunft der einzelnen Stücke für das Auge deutlich gemacht
ift. Diefer Abdruck ift auf Grund neuer hand-
fchriftlicher Studien angefertigt worden. Gleichzeitig hat
B. die ganze Schrift fammt der Fortfetzung des Genna-
dius in der vom Ref. geleiteten Sammlung kirchen- und
dogmengefchichtlicher Quellenfchriften herausgegeben.
Die Ausgabe, für die die vier älteften Handfchriften
(Codd. Vatic, Regin. 2077; Par. lat. 12161; Veron 22 und
Vercell) neu verglichen find, foll und wird hoffentlich die
fchlechte Herding'fche verdrängen; die in Ausficht flehende
kritifcheAusgabe will fie nicht überflüffigmachen. Dankenswerth
ift die Beigabe von 2 Facfimiles der römifchen
Handfchrift.

Sehr willkommen war eine Unterfuchung über die
griechifche Ueberfetzung der Viri inlustres, betreffs deren
die landläufigen Angaben fehr zu vvünfchen übrig laffen.
Ref. vermag aber fo wenig wie v. Dobfchütz (Lit.
Centralbl. Nr. 42) zuzugeben, dafs die Wentzel'fche
Arbeit die Fragen, die in erfter Linie von Intereffe find,
erfchöpft hat, ja ihnen auch nur nachgegangen ift. Ge-
wifs ift es an fich intereffant, nachgewiefen zu fehen,
dafs Suidas und Photius ihre Kenntnifs der Ueberfetzung
einer um die Mitte des 9. Jahrhunderts entftandenen
kirchlichen Bearbeitung der Schrift nlva^xwv iv naideia
ovoLiaoxCjv des Hefychius llluftris verdanken; wichtiger
wäre es doch gewefen und nach dem Titel durfte man
es erwarten, wenn der Verf. dem Urfprung der Ueberfetzung
und den damit zufammenhängenden Fragen feine
Aufmerkfamkeit gefchenkt hätte. Nach den bisherigen
Verhandlungen ift es faft naiv zu behaupten, dafs an
der Echtheit der Ueberfetzung nicht gezweifelt werden
könne, weil — Suidas und Photius Stücke davon in ihre
Schriften aufgenommen haben: ganz abgefehen davon,
dafs Wentzel zwifchen der Frage nach der Echtheit und
der andern nach der Urheberfchaft des Sophronius nicht
unterfcheidet. Inzwifchen hat Bernoulli in diefer
Zeitung (1895, Sp. 475 f.) darauf hingewiefen, dafs die
Züricher Stadtbibliothek die Handfchrift befitzt, aus der
Erasmus die Ueberfetzung herausgegeben hat. Man
wird fie uns hoffentlich bald im Druck zugänglich
machen.

Giefsen. Q. Krüger.

Ritsehl, Otto, Albrecht Ritschis Leben. 2. Bd. 1864—1889.
Freiburg i;B., J. B. C. Mohr, 1896. (VII, 544 S. m.
Bildnis, gr. 8.) M. 12. _

Diefer zweite Band von Ritfchl's Leben beginnt mit
dem reiferen Mannesalter und mit dem Antritt der
Profeffur in Göttingen; er begreift die Höhe des Lebens
bis zu dem Niedergang der körperlichen Kraft und dem
Ende. Wenn fchon die frühere Zeit eine durchaus fletige
gleichmafsige Entwicklung zeigt, fo fehen wir auch hier
nur die in fich gefchloffene Kraft und Art, aber auch
die unermüdliche Arbeit, beftändige Vermehrung des
geiftigen Befitzes in ficherem Fortfehritt der Aneignung
und Darftellung. Das biographifche Verfahren des Ver-
faffers ift das gleiche wie im erften Band: Erzählung, fo
viel als es nöthig ift, überwiegend Wiedergabe 'der
1 Quellen; Albrecht Ritfehl fpricht felbft zu uns in der