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Ausgabe:

1896

Spalte:

22-23

Autor/Hrsg.:

Zimmer, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Grundlegung der praktischen Theologie 1896

Rezensent:

Reischle, Max

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 1.

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lution für alle lapsi proclamirt worden war, hat bei den
complicirten Verhältnifsen jener Zeit doch nicht den jede
Schwierigkeit ausnahmslos befeitigenden Charakter, dafs
nicht noch mancher afnkanifche Bifchof um 255 ganz
ehrlich von feiner Verlegenheit betreffs Behandlung der
Verwundeten hätte klagen können; da wir zunächft keine
Veranlaffung haben, über das Jahr 253/4 herabzugehen,
fteht unter diefem Gefichtspunkte Korn kaum günftiger
als Afrika — was man für 257/8 allerdings zugeftehen
müfste. Der Hauptpunkt fodann, weshalb aus dem übrigen
Abendlande nur Rom übrig bleiben foll, wird m.
E. viel zu rafch erledigt; auf die Gefahr hin, unter das
Verdict S. 26 zu fallen, dafs ich nicht zu lefen verftehe,
bekenne ich, aus dem Tractate wohl zu vernehmen, dafs
Novatian noch lebt und von dem Verf. als perfönlicher
Feind im Gegenfatz zu früherer Verehrung gefafst wird,
aber nicht, dafs Novatian und der Schreiber auf dem
Boden ein und derfelben Stadt mit einander ringen.
Von römifchem Primatsgefühl nehme ich in der Streit-
fchrift keine Aeufserung wahr, aus dem Satze 55,27 ff.
eher das Gegentheil; denn ein Nachfolger Petri hatte
keinen Grund, die Gleichberechtigung der übrigen Jünger
mit Petrus ausdrücklich zu betonen; übrigens fcheint es
mir, als ftelle er fich da gewiffermafsen in Gegenfatz zu
Petrus, das per nos dürfte auf gleicher Linie mit dem
sed et ceteris discipidis suis liegen. Steht aber die Ab-
faffung durch einen römifchen Bifchof nicht uner-
fchütterlich tieft, fo ift alles weitere Suchen nach dem
Namen des Autors werthlos; die Sache des Sixtus könnte
er(t wieder gewinnen, wenn die Vergleichung anderer
ficher bezeugter Schriften des Mannes mit dem fraglichen
Tractate — fo liegt es bei Novatian und der Zuweifung
pfeudocyprianifcher Abhandlungen an ihn — eine Ver-
wandtfchaft verriethe; da keine Zeile von Sixtus uns
bisher bekannt ift, er möglicherweife gar kein homo lite-
rntus war, fällt diefe Unterftützung fort. Auch im Einzelnen
würde ich Manches an Hrn.'s Behauptungen zu
beanftanden haben. Z. B. S. 22 wird dem römifchen
Stephanus in feiner Politik ein gewiffes Entgegenkommen
gegen die Novatianer untergefchoben; was Hrn. als Beleg
dafür beibringt aus Cyprian's ep. 68, erklärt fich m. E.
einfach aus dem dringenden Wunfche Cyprian's, dem
Stephanus feine Verpflichtung, den novatianifirenden
Bifchof Marcianus von Arelate abzufetzen, lebendig ein-
zufchärfen; und die Worte ep. 68,5 kann man ,fchon
hart an die Drohung mit einem Bruch heranftreifend'
doch nur dann finden, wenn man bei dem letztgenannten
diversa senticus an Stephanus denkt und nicht, was
ficher Cyprian's Meinung war, an den empörerifchen
Bifchof von Arles. — Oder S. 25 Anm. wird auch aus
dem Satze 54, 14—16 gefolgert, dafs unfere Schrift aus
Rom flammt: ,aufserhalb Roms mufste der Ausdruck
von der cathedra, die den Presbytern übergeben gewefen,
unklar fein'. Ich bezweifle flark, dafs in dem cathcdrae
sibi traditae a Deo rcnuntiatur darauf angefpielt werden
foll, dafs während der ^monatlichen Sedisvacanz nach
dem Tode des Fabianus die Presbyter unter Novatian's
Fuhrung das Bisthum Rom verwaltet haben, aber gefetzt,
es wäre fo. darf man denn in der Literatur immer nur
auf klare Ausdrücke rechnen? Könnte nicht ein Autor,
den wir den Schriftltellern erften Ranges ficher nicht
zurechnen werden, eine feinem Gefchmack befonders gut
zufagende Breviloquenz angewendet haben, ohne viel
darüber zu reflectiren, ob man ihn allgemein verliehen
würde: aus Harnack's Vorausfetzung würde wiederum
folgen, dafs Sixtus mit feinem Tractat gegen Novatian
nur innerhalb Roms verftanden zu werden beabfichtigte.

Den ungemeinen Werth der Unterlüchung Harnack's,
mit der ich mich an anderem Orte noch eingehender
auseinanderzufetzen hoffe, möchte ich durch folche Einwendungen
nicht herabfetzen; es bleibt fein Verdienft, |
zum erften Male fich gründlich mit dem antinovatianifchen
Tractat befchäftigt, ihn in die kirchliche Literatur der Zeit |

fachgemäfs eingereiht und dabei eine Menge feinfinniger
Anregungen gegeben zu haben. Dafs noch nicht alle
Arbeit gethan ift, mag zum Schlufs bei einem Punkte
angedeutet werden: in der Zufammenftellung der in
unferm Tractat vorfindlichen Bibelcitate S. 54 f. bringt
Hrn. erhebliche Ergänzungen zu den Noten in Hartel's
Ausgabe; trotzdem ift aucli bei ihm, von Kleinigkeiten
zu gefchweigen, nachzutragen Ps. 1, 1 . . . 54, 25, Ps.
6,6... 66, 26, Prov. 3, 34 . . . 62, 24, Sirach 10, 21 . .
63. I. Jes. 43, 26 . . . 69, 7, Jes. 46, 8b. . . 59, 11, Ps. 9,7.
11 und Ezech. 8, 30 find zu ftreichen, und Micha 8 in 7,
Sachar. 9 in 11, Matth. 24, 19 in 29 und Joh. 10, 12 in 11
zu verbeffern; dafs von Ezech. 34 ein römifcher Text
aus Cyprian cp. 8, 1 bekannt ift. mufste erwähnt werden,
um fo mehr als diefer dem Texte des vermeintlichen
Sixtus keineswegs ähnlich fieht. Für Joel 2, 13 b wird
auf S. 61 das Zeugnifs Cyprian's in ep. 55, 22 uberfehen,
für Ezech. 33, 10 ff. neben de laps. 36 das gleichlautende
Citat de bon. pat. 4.

Marburg i. H. Ad. Jülicher.

A confession of faith by an unorthodox believer. London,
Macmillan & Co., 1895. (194 S. 8.)

Die moderne englifche Philofophie ift, auch in ihren
bedeutendften Erzeugnifsen. ein eigentümlicher Elekti-
zismus; aber noch weit mehr werden in der populär-
philofophifchen Tagesliteratur die verfchiedenften Standpunkte
mit einander verquickt. Ein befonders eclatantes
Beifpiel davon liefert das vorliegende Glaubensbekenntnifs
eines unorthodoxen Gläubigen, der in 27 mehr oder minder
ausführlich erläuterten Paragraphen folgende Anflehten
über Religion und Sittlichkeit entwickelt.

Es giebt kein Uebernatürliches, fondern nur Natürliches
. Wir erkennen es, wenn unfre Erkenntnifs davon
mit der aller andern übereinftimmt oder übereinzuftimmen
beginnt. So muffen wir auch an Gott glauben, nur nicht
an einen übernatürlichen Gott. Er ift vielmehr identifch
mit dem .geiftigen Pol des Univerfums, m. a. W. die Reinheit
und Vollendung des Geiftes im Menfchen'. Deshalb
ift er, wie diefer, Schöpfer und Erhalter; er ilt ferner
einer; er ift ewig (d. h. über die Zeit erhaben); er ift
vollkommene Gerechtigkeit (denn Gerechtigkeit ift der
Triumph des Geiftes über das Fleifch); er ift endlich per-
fönlich (wenngleich nicht in demfelben Sinne, wie wir).
Als der reine Geift im Menfchen wird er am betten durch
die betten oder geiftigften Menfchen offenbart. Das ftimmt
mit der chriftlichen Anfchauung und führt zugleicii zur
Ethik weiter. Wir müffen dem Geift leben und dem
Fleifch abfterben; Utilitarismus ift eine falfche Philofophie
und Altruismus ein falfches Ideal. Schliefslich die Un-
fterbliciikeit folgt nicht nur aus der Natur unferes Geiftes,
fondern vor allem aus dem tiefgewurzelten Inftinct und
Gefühl des Menfchen, die einen Grund haben müffen.

Es ift wohl überflüffig, diefe Ausführungen im einzelnen
oder allgemeinen zu kritifiren. Dafs fie manches
Intereffante enthalten und dafs die Perfönlichkeit des
Verf.'s unfere Achtung verdient, foll ja nicht geleugnet
werden; aber warum er jetzt fchon feine .Theologie'
nicht nur abgefchloffen, fondern auch veröffentlicht hat,
vermag ich fchlechterdings nicht einzuleiten. Die vorzügliche
Ausftattung und den mufterhaften Druck hätte
manche andere Arbeit eher verdient.

Halle a. S. Carl Clemen.

Zimmer, Friedr., Die Grundlegung der praktischen Theologie.

Berlin, Reuther & Reichard, 1895. (79S.gr. 8.) M. 1. —

Der bekannte Herausgeber der ,Handbibliothek der
praktifchen Theologie1 will in der vorliegenden Schrift,
i befonders in Auseinanderfetzung mit E. Chr. Achelis,
1 die Principienfragen der praktifchen Theologie aufs neue
| durcharbeiten: Fälfchlich wähnt man, damit einen Fort-