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Ausgabe:

1896 Nr. 14

Spalte:

379-383

Autor/Hrsg.:

Winter, J.

Titel/Untertitel:

Die jüdische Litteratur seit Abschluss des Kanons 1896

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 14.

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der Verfolgungszeit unter Decius: als ob die Rechnung
der Gelehrten um 400 für einen /Dilettanten' früherer
Zeit etwas bewiefe! S. 34 fr. wird eine pfeudoephräm'fche
Predigt ins 4. Jhdt. gerückt und ihre Abhängigkeit von
der Heracliusfage unmöglich gefunden, weil letztere doch
erft nach 629 entftehen konnte, die Predigt aber noch
nichts von einem Einbruch des Islam weifs, ,die Feinde
des Römerreichs find die Perfer'. Als ob das nicht gerade
für die Zeit des Heraclius mindeftens bis zum Tode
Muhammeds 632 am ausgezeichnetften pafste! — S. 60
und nachher öfter wird ein wichtiges Stück aus den
fibyllinifchen Büchern III 46 ff. befprochen und feine I
jüdifche Abftammung ficher genannt. Der Vers 63 ix
de Seßaoirjviüv ijt-ei BelLag /.tezonia&ev mufs durch wunderliche
Kunftftücke für die Zeit vor dem Kaifer
Auguftus gerettet werden. Die Hauptfache aber: nach
B. liegt hier die ältefte politifche Umdeutung der Sage
vom Antichriften vor, die Sibylle erwarte ihn aus dem
Gefchlecht der römifchen Herrfcher; e/. Eeßaairjvwv- von
den Nachkommen der Sebaften! Ich halte den chrift-
lichen Urfprung des Stückes für erwiefen fchon dadurch
, dafs es die von Beliar verführten Menfchen ein-
theilt in I) niazovg e/J.ey.rovg, 2) 'Eßgaiovg avöiiovg und
3) aXKovg avegag 01 ziveg oiijuo ■ö-eov loyov etgfy/.ovoav
d. h. in Chriften, Juden und Heiden. Ich fehe aber
auch in dem Sebaftener keinen politifch umgedeuteten
Antichriften aus römifchem Herrfchergefchlecht, fondern
fehr einfach den Simon Magus, der ja aus Samaria-
Sebafte flammte und auf deffen Treiben das .. . vexvag
OTTjOet xai Orjiiaza nolla noLz]aei ävd-giönoig wahrlich
beffer pafst als auf das Wüthen eines Kaifers. S. 118 ff.
weift B. fehr richtig auf die Verwandtfchaft zwifchen
der Simon-Magus-Sage und der Antichrifterwartung hin,
ohne fich indeffen unferer Stelle zu erinnern.

Doch ich breche hier ab; eine tief ergehende Aus-
einanderfetzung mit B. kann nutzbringend erft werden,
wenn er in dem verheifsenen gröfseren Werk oder fonft
in einer auf Einzelausführungen und Belege verzichtenden
Abhandlung klar und fcharf herausftellt, was nach feiner
Meinung der Inhalt der urfprünglich jüdifchen Anti-
chriftfage gewefen ift, wann diefe entftanden ift, welche
Züge, wann und aus welchen Motiven bei Chriften oder
fpäteren Juden fei es verändert, fei es neu eingefügt
worden find. Das Verdienft des vorliegenden Werkes
wird es bleiben, im Anfchlufs an Gunkel, aber weit
weniger einfeitig als Jener, uns erlöft zu haben von der
die Forfchung an der Apok. faft beherrfchenden Secir-
kritik; B. zeigt, dafs die neuteftamentliche Exgefe und
Kritik fehr zu ihrem Schaden fich in unferm Jahrhundert
von kirchengefchichtlichen Studien ganz fernzuhalten
gewöhnt hat; aufser reichen Belehrungen und
Anregungen im Einzelnen zeigt er uns trotz feiner
fcheinbaren Schwärmerei für die richtige /Methode', dafs
man auch im N. T. nicht blofs Methode und nicht blofs
Scharffinn und nicht blofs den Muth zu neuen Hypo-
thefen braucht, fondern gründliche Gelehrfamkeit.

Marburg. Ad. Jülicher.

Winter, Rabb. Dr. J., und Prof. Dr. Aug. Wünsche, Die
jüdische Litteratur feit Abschluss des Kanons. Eine
profaifche und poetifche Anthologie mit biographifchen
und litterargefchichtlichen Einleitungen, unter Mitwirkung
von Bacher, Bäck, Bloch, Fürft, Grünbaum,
Hamburger, Kaminka, Lewin, Rippner, Sulzbach u. A-
herausgegeben. 3 Bde. Trier, Sigm. Mayer, 1894—1896.
(gr. 8.) . M. 38. 50.

Inhalt. 1. Band.: Gefchichte der jiidifch-helleniftifchen und tal-
mudifchen Litteratur, zugleich eine Anthologie für Schule und Haus,
bearb. von Winter und Wünfche. (XIII, 696 S.) 1894. — 2. Bd.: Gefchichte
der rabbinifchen Litteratur während des Mittelalters und ihrer

Nachblüthe in der neueren Zeit, bearb. von Bacher, Bäck, Bloch,
Hamburger, Kaminka. (X, 794 S.) 1894. — 3. Bd.: Gefchichte der
poetifchen, kabbaliftifchen, hiftorifchen und neuzeitlichen Litteratur
der Juden, bearb. von Sulzbach, Bloch, Lewin, Ackermann, Grünbaum
, Bäck, Kayferling. (XII, 923 S.) 1896.

Die erften Lieferungen diefes umfaffenden Werkes
find 1891 erfchienen. Nach fünf Jahren liegt es nun
vollendet vor. Es ift ein grofsartiger Plan, deffen Verwirklichung
hier verfucht wird: eine Chreftomathie
der gefammten jüdifchen Literatur feit Ab-
fchlufs des Kanons, alle Völker und Sprachen, alle
Literaturgattungen während eines Zeitraums von zwei
Jahrtaufenden umfpannend. Die Texte werden durchweg
in deutfcher Ueberfetzung vorgelegt. Den einzelnen
Abfchnitten gehen kurze Einleitungen voraus. Die
Herausgeber verfichern (Bd. I S. IX), dafs fie fich der
Gefahr wohl bewufst waren, ,in Einfeitigkeit zu verfallen
und nur Blumen und Perlen zu bieten', und dafs fie diefe
Gefahr zu vermeiden gefucht haben. ,Nicht fchön zu
färben, fondern den Geift, der in der jüdifchen Literatur
herrfcht, der Wahrheit gemäfs zu kennzeichnen, war die
leitende Abficht'. Diefe Abficht foll unfererfeits nicht
bezweifelt werden. Dafs aber die Herausgeber der von
ihnen felbft empfundenen Gefahr ganz entgangen find,
möchte ich nicht behaupten. Es giebt doch kein ganz
treffendes Bild von der talmudifchen Literatur, wenn aus
ihr vorwiegend haggadifche Stücke ausgewählt werden;
denn das eigentliche Wefen des Talmud ift die gefetz-
liche Discuffion, d. h. die Halacha. Aus der Mifchna,
die ja nur fehr wenig Haggada enthält, werden allerdings
viel halachifche Stücke geboten. Aber man thut
den Verfaffern nicht Unrecht, wenn man fagt, dafs fie
folche Abfchnitte vermieden haben, welche durch das
Uebermafs kleinlicher, theils komifcher, theils fittlich bedenklicher
Cafuiftik das moderne Bewufstfein befon-
ders verletzen.

Der erfte Band ift gröfstentheils von den Herausgebern
Winter und Wünfche felbft bearbeitet. Nur
die Stücke aus Mechilta, Sifra, Sifre, Tanchuma und
Jelamdenu (S. 377—432) find von Fürft beigefteuert. Die
zahlreichen Stücke, welche Wünfche fchon in feinen
früheren Publicationen, namentlich in feiner Bibliotlicca
rabbinica überfetzt hatte, find hieraus mit gelegentlichen
Verbefferungen entnommen, wie überhaupt da, wo bereits
Ueberfetzungen vorhanden waren, diefe benützt
wurden. — Den Anfang des Bandes macht die jüdifch-
helleniftifche Literatur. Es werden Proben aus dem
1. Makkabäerbuch, Jefus Sirach, Gefchichte vom Bei
und Drachen, Philo, Jofephus, Arifteas, den Sibyllinen
mitgetheilt. Die Proben find freilich im Vergleich zu
dem gefammten Umfang der betreffenden Werke, refp.
der Hinterlaffenfchaft des betreffenden Autors fo kurz,
dafs der Lefer, der nur hierauf angewiefen ift, kaum
eine deutliche Vorftellung von den Werken felbft bekommt
. Auch ift die Einreihung des 1. Makkabäer-
buches und des Jefus Sirach unter die Kategorie der
helleniftifchen Literatur nicht gerade glücklich. Endlich
fieht man nicht ein, weshalb andere unferer fog. Apokryphen
, wie Judith und Tobit, 2. Makkabäerbuch und
Weisheit Salomonis übergangen find. — Auf die hel-
leniftifche Literatur folgen die Targumim: Onkelos und
Jerufchalmi, Jonathan zu den Propheten und das Tar-
gum zu den Hagiographen. Alles Bisherige umfafst nur

S- 5-79- „ J ■

Die Hauptmaffe des Bandes nimmt die Chreftomathie
aus der talmudifch- midrafchifchen Literatur
ein. Die Raum-Vertheilung ift folgende: Mifchna
S. 87—142, Tofephtha S. 143—177, jerufalemifche Gemara
S. 178—229, babylonifche Gemara S. 230—371, Mechiltha
S. 377—388, Sifra S. 390—398, Sifre S.398—410, Tanchuma,
in feinen drei verfchiedenen Recenfionen, S. 411—432, Pe-
fikta desRabKahanaS.433—445, Pefikta rabbathi S. 445 —
462, Pefikta futarta S. 462—485, Midrafch rabba zum Pen-