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Ausgabe:

1896 Nr. 14

Spalte:

370-375

Titel/Untertitel:

Studia Sinaitica. No. V. Apocrypha Sinaitica. I 1896

Rezensent:

Ryssel, Viktor

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 14.

370

abend Abend bis Montag früh gefchloffen zu halten —;
S. 22, in einem der oft wiederholten Protefte wider die
moderne, Gottes Gebote auflöfende Gefetzgebung, ftellt
Sch. ,die Wiederverheirathung' zwifchen die Ehefcheidung
und die ftaatlich controllirte Unzucht als mit der Irrlehre
von nothwendigen Uebeln genützt. Der Stich ins
Pietiftifche, der fich auch fonft bei ihm offenbart, tritt
da crafs hervor. Dogmatifch ift er keiner der Extremen,
auf chriftologifche /Formeln' ift er bereit zu verzichten,
und wenn er S. 141 beim Gleichnifs von den Pfunden
conftatirt, wahrfcheinlich habe Lukas uns den Eingang
zu diefem Gleichnifse ,am treueften aufbewahrt', fo kann
er kein Anhänger der Verbalinfpiration fein.

Wenn ich noch ein Wort hinzufüge über Schmidt's
Stellung zu dem Problem der Gleichnifsauslegung, foweit
fie fich aus Predigten erkennen läfst, fo will ich nicht
von einzelnen Mifsgriffen reden, — die Annahme, dafs
der Finder des Schatzes Matth. 13, 44 ein Knecht des
Ackerbefitzers gewefen fei, erfcheint doch precär; der
Knecht hätte dann zum Minderten fehr illoyal gehandelt,
und feine Lobpreifung auf S. 9 erweckt Bedenken —■
fondern von der principiellen Auffaffung des Wefens der
Gleichnifse. Da finde ich fehr erfreulich, dafs im Vorwort
der Verf. für die Gleichnifse in Jugendunterricht, Predigt
und Seelforge, felbft auf Kotten der Katechismen, einen
Hauptplatz fordert, auch dafs er die Einwendung be-
ftreitet, die Gleichnifse bewegten fich mehr blofs im
Vorhofe des Heiligthums; dafs fie nichts von der Perfon
Chrifti melden, gelte doch nur, fofern es fich um directe
Ausfagen handelt. Allein in der Auslegung werden die
Gleichnifse doch mehr und mehr für Schm. zu künftlich
conttruirten Offenbarungen über Chriftus; nicht blofs im
Gleichnifs von den böten Weingärtnern ift der Sohn
kein anderer als Jefus, er ift auch der Säemann, er ift das
Senfkorn, er ift der Edle, der Lc. 19, 11 die Erde verläfst,
um von feinem Vater im Himmel mit der Weltherrfchaft
belehnt zu werden: in einem Artikel der Chrifti. Welt
1896, 99 ff. ruft Schm. fchon im Gegenfatz zu der Meinung
, dafs über den Herrn felbft fo wenig in den Gleich-
nifsen zu finden fei, aus, ,und doch hat der Herr fich
gerade in ihnen als der Meffias offenbart'; die Einwendung
, dafs in den Gleichnifsbildern Lc. 15, vor allem
dem des Vaters Gott felbft gemeint fei, weift er mit der
doch recht abgegriffenen Thefe zurück, wenn irgendwo
fo gelte hier das Wort: Ich und der Vater find eins.
Ob das noch Erklärung ,aus der urfprünglichen Situation
heraus' ift, dünkt mir recht zweifelhaft, und auch fonft
fcheint mir der Verf. mehr Kunft im Eintragen als im Auslegen
zu bethätigen; die Lampen Matth. 25, 1 ff. find
die chriftlichen Formen, Kirche und Abendmahl, die
brennenden Lampen der Glanz der Herzensreinheit,
das Entfchlafen aller 10 Jungfrauen bildet ,eine Zeit der
Abfpannung' ab, bei der Einem nicht klar wird, ob fie
mehr als erfreulich oder als betrübend genommen werden
foll; das den thörichten Jungfrauen mangelnde Oel ift der
Geift Gottes resp. Licht, Geift, Kraft und Troft; und,
was allein genügt, die Zahlen werden geprefst: ,Fünf unter
diefen Brautjungfern, alfo die Hälfte feiner Gemeinde,
erklärt der Herr für thöricht', ,auch fie werden zur
Hälfte verloren gehen'.

Ein anderes Bedenken gegen Schm. Stellung zu den
Gleichnifsen werden wohl auch Solche, die gleich ihm
eine Deutung einzelner Züge in den Bildreden für noth-
wendig halten, mit mir theilen. In dem eben erwähnten
Artikel der Chrifti. Welt erklärt Schm., in der Vorrede
zu dem uns hier befchäftigenden Buche ,den Grund zu
einer einheitlichen und organifchen Betrachtung der
Gleichnifse gelegt' zu haben; er redet da von dem Evangelium
der Gleichnifse, das er für identifch mit dem
paulinifchen ausgiebt, und in feinem neueften Schema
der erfehnten organifchen Auslegung der Gleichnifse
wagt er die 3 Gleichnifse aus Luc. 15 als die zu nennen,
die ,den Ausgangspunkt der ganzen chriftlichen Lehre

bilden'. Mit folchen Uebertreibungen gefährdet er die
Wirkung feiner fonft fehr begründeten Mahnungen aufs
Aeufserfte; es ift gewifs verdienftlich, einen Vorfchlag
darüber zu machen, in welcher Reihenfolge man etwa
im Religionsunterricht, auch dem auf der Kanzel ertheilten.
die Gleichnifse Jefu benutzen könne, um unter Heranziehung
anderer Schriftworte, z. B. aus der Bergpredigt
die Grundgedanken des Chriftenthums zu veranfchau-
lichen und einzuprägen; aber auch mit dem gelungenften
Verfuche diefer Art löft man nur eine praktifche Frage;
die Gleichnifse felber bedürfen folcher .Eintheilung' nicht;
fie können dadurch nichts gewinnen, eher verlieren;
Jefus hat fie nicht als Beftandtheile eines grofsen Ganzen
gefprochen, und fie find uns nicht als folche überliefert
worden — follten nicht viele, die er gefprochen, ver-
geffen worden fein, undhaben dadurch die aufbewahrten an
Brauchbarkeit verloren? Schmidt verfteigt fich zu dem
Ruf: ,Wie tief fleht unfer Chriftenthum unter diefen Forderungen
des Herrn! Geben wir den Gleichnifsen die
Stellung, die ihnen gebührt, fo thun wir damit einen
wefentlichen Schritt zur Befferung'. Er verwechfelt da
den Werth einer von ihm vorgefchlagenen Eintheilung
der — richtiger: — einiger Gleichnifse mit dem allerdings
kaum hoch genug zu fchätzenden Werth der Gleich-
niffe selber. Von diefen ift jedes am beften ganz für
fich oder zufammen mit dem durch die Ueberlieferung
als zugehörig bezeugten zu betrachten; in welcher
Reihenfolge man fie betrachtet, ift, da es nie gelingen
wird, die Zeitfolge, in der fie gefprochen worden find,
zu fixiren, zunächft gleichgültig, in Wahrheit ift der darauf
verwandte Eifer gefährlich, weil er felbft bei den be-
deutendften Männern dazu geführt hat, die Gleichnifse
oder Einzelnes an ihnen zu preffen, bis aus der Gefamtheit
ein Gedankenfyftem herauskommt. Nichts berechtigt
uns das zu erwarten, eher könnte man noch fagen, dafs
in jedem Gleichnifse das ganze Chriftenthum flecke. Der
Prediger mag eine Serie von Predigten über Gleichnifs-
texte nach einem vorher durchdachten Plan, wie ,A das
Kommen, B der König, C die Bürger des Reichs', fich
ausarbeiten; fo lange aber der Sinn faft jedes einzelnen
Gleichnifses noch umftritten ift und über die Methode
der Auslegung nicht einmal etwas feftfteht, darf man
nicht von irgend einer neuen Eintheilung der Gleichnifse
fich Erfolge für die Förderung der Wiffenfchaft ver-
fprechen; es pflegt fich meift bitter zu rächen, wenn man
fich die eigentliche Aufgabe falfch ftellt.

Marburg. Ad. Jülich er.

Studia Sinaitica No. V. Apocrypha Sinaitica. L Anaphora
Pilati, 3 recensions (in Syriac and Arabic). II. Re-
cognitions of Clement, 2 recensions. III. Martyrdom
of Clement. IV. The preaching of Peter. V. Martyrdom
of James, son of Alphaeus. VI. Preaching of
Simon, son of Cleophas. VII. Martyrdom of Simon
son of Cleophas, in Arabic. Edited and translated into
English, by Margaret Dunlop Gibson, M. R. A. S.
London, Clay & Sons, 1896. (XX, 66 u. 14 u. 69 S.
Lex.-8.) 7 s. 6 d.

Den erften vier Heften der Studia Sinaitica, die Ref.
in Nr. 13 des Jahrganges 1895 diefer Zeitfchrift befprochen
hat, ift jetzt das fünfte Heft gefolgt. Es enthält Materialien
zur Literatur der neuteftamentlichen Apokryphen.
Am wichtigften find davon die drei Recenfionen der
Anaphora' und ,Paradosis des Pilatus', eine fyrifche und
zwei arabifche, und die beiden arabifchen Recenfionen
der Recognitionen des Clemens, an deren eine fich das
,Martyrium des Clemens' anfchliefst. Rein legendären
Charakter tragen die noch übrigen kleinen arabifchen
Stücke an fich: die .Predigt des Petrus', das .Martyrium
des Jakobus, Sohnes des Alphäus' und die .Predigt'