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Ausgabe:

1896 Nr. 13

Spalte:

352-354

Autor/Hrsg.:

Riehm, G.

Titel/Untertitel:

Christentum und Naturwissenschaft. Apologetischer Vortrag 1896

Rezensent:

Reischle, Max

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 13.

352

es find junge Anfiedelungen flüchtiger Griechen und
Albanefen aus dem vorigen Jahrhundert. Wer heute die j
Arbeiten der Italohelienen aus der Zeit vom 6.—15. Jahrhundert
ftudiren will, mufs nicht nach Roffano, Cotrone,
Lecce oder Otranto gehen, fondern in die Bibliotheken
von Rom, Paris, Meffina u. f. w.

Aufser der öffentlichen gelehrten Literatur befitzen
die katholifchen Kirchen noch zwei fo zu fagen verborgene
Literaturgattungen von unfchätzbarem Einflufs — die
asketifche und die liturgifche. Die liturgifche wirkt —
nicht nur in den orientalifchen Kirchen, aber in ihnen
am ftärkften •— mit der fanften Gewalt einer Naturkraft:
wer die Liturgie beftimmt, beflimmt die Kirche, ja man
kann fagen, nur das beftimmt dauernd die Kirche, was
in die Liturgie übergegangen ift. Diefe ftereotypen Anrufungen
und Gebete, diefe Feftordnungen und Riten,
über die fleh der Einzelne fo leicht hinwegzufetzen meint
und die ihm überlebt, verfteinert und öde erfcheinen,
find doch überall lebendig, drängen fleh bewufst oder
unbewufst in das Gemüth ein, verknüpfen fleh mit dem
täglichen Leben, den Jahreszeiten, der Volksfitte, dem
Patriotismus, formire'n den Geift der Frömmigkeit und
offenbaren fleh, wenn fie angegriffen werden, plötzlich
als die ftärkften Mächte der Kirchen. Diefe vergriffenen
Formelbücher und Kalender find Baufteine und Kitt
zugleich. Kein Wunder, dafs die römifche Kirche in
ihrem energifchen Beftreben, die orientalifchen Kirchen
zu gewinnen, die Kalender nicht aufser Acht läfst. Diefes
zweckmäfsig angelegte, forgfältig ausgeführte, jede Polemik
vermeidende ,Kalendariüm Mannale' ift gewifs ein
wirkfameres Mittel der Propaganda, als Encykliken oder
gar Controversfchriften. Hier ift aufserdem das Gebiet,
auf welchem die römifche Kirche eine grofse Weitherzigkeit
-— mindeftens für unbeftimmte Zeit, wenn nicht für
immer — zu beweifen vermag. Auch hat der Verfaffer
dafür geforgt, dafs ,Parther, Meder und Elamiter' den
Kalender in den ihnen vertrauten Schriftzügen finden.
Auch fie können angefichts der Gabe, die ihnen ein
Römer hier reicht, ausrufen: ,Wie hören wir denn ein
Jeglicher feine Sprache, darinnen wir geboren find'!

Von dem erflten Bande, die Einleitung und die unbeweglichen
Fefte enthaltend, liegt nun die zweite Auflage
vor. Der Umfang ift gegen die erfte um 50 Seiten ge-
wachfen. Abgefehen von einigen Umftellungen ift die
Anlage des Werks diefelbe geblieben; aber überall ift
die verbeffernde Hand des Verfaffers bemerkbar: Die
Literatur der letzten 15 Jahre ift in grofsem Umfange i
herbeigezogen, die katholifche wahrfcheinlich vollftändig, j
doch befi.tze ich darüber kein Urtheil; handelt es fich
doch um eine Literatur, die nur zum kleinften Theil in
unfere Bibliotheken kommt.

Den Haupttheil des Buchs nimmt der Commentar
zum Kalender ein (S.41—374). Er hat felbftändige wiffen-
fchaftliche Bedeutung, ganz unabhängig vom Liturgifchen;
denn hier werden fortlaufend dankenswerthe Nachweife
in Bezug auf die Quellen für die Identificirung und Kennt-
nifs der Heiligen u. f. w. gegeben, und ein Heiligenlexikon
am Schlufs (S. 514—533) erleichtert den Gebrauch. Bar-
denhewer's treffliche Patrologie ift in der neuen Auflage
durchweg benutzt. S. 517 ift wohl durch Verfehen
zu ,Carpus' die S. 301 weggefallen. S. 305 ift bemerkens-
werth (z. 22. Octob.), dafs im Cod. Syr. Vat.nr. 20 Abercius
als Bifchof von Mabug bezeichnet wird. Es ift das natürlich
eine Verwechfelung: aus Hieropolis wurde Hierapolis,
und das phrygifche Hierapolis wurde dann mit dem
fyrifchen vertaufcht. Zu S. 119 (Märtyrer von Sebafte)
wären Bo n w et f ch's Abhandlung i.d.Neuen kirchl.Zeitfchr.
III, 12 S. 978 ff. und meine Arbeit über das Regenwunder
z. Z. M. Aurel's zu vermerken gewefen (Sitzungsber. d.
K. Pr. Akad. d. Wiffenfch. 1894 S. 835 ff.). Bei Hippolyt
(S. 86) bemerkt der Verf., fein Bifchofsfitz fei heute noch
fo unbekannt, wie z. Z. des Hieronymus, keinesfalls fei
er römifcher Gegenbifchof gewefen, auch nicht der

Verfaffer der Philofophumena; er beruft fich hierfür auf
Grifar's Abhandlung; allein die ftarken Argumente für
die Abfaffung der Philofophumena durch Hippolyt find
bisher nicht erfchüttert. S. 213 und LVI kommt der Verf.
auf den von Bafilius genannten Märtyrer Athenogenes
zu fprechen, dem derfelbe Bafilius einen Hymnus beilegt,
welcher die richtige Lehre vom h. Geift enthalte. Dafs
Athenogenes der Dichter des Liedes fei: ©cfig IXagev,
welches ebenfalls die richtige Lehre enthalte, fagt Bafilius
nicht (gegen Ni lies p. LVI). Ich habe in meiner Literatur-
gefchichte den Athenogenes überfehen, aber in den noch
ungedruckten Nachträgen bemerkt, dafs fich über feine
Zeit nichts ausmachen läfst (aus der Zeit Julian's ift er
allerdings fchwerlich), dafs fein Hymnus nicht bekannt
ift, dafs die Identificirung mit Athenagoras ein thörichter
Einfall ift, und dafs fich in der Vita Euthymii VII, 21
(de Boor p. 23) die Nachricht findet: ... iv tfj xäXovftivi]
'Eletpaviivt] nvij] iv fj zat Evv.tt'iQiov idowai MHiqroyivovg
tov leQOfictQTVQng.

Berlin. A. Harnack.

1. Steude, Sem.-Oberlehr. Lic. E.G., Christentum und
Naturwissenschaft. Ein Beitrag zur Apologetik. Güters
loh, Bertelsmann, 1895. (191 S. 8.) M. 2.40; geb. M. 3.—

2. Riehm, Oberlehr. Dr. G., Christentum und Naturwissenschaft
. Apologetifcher Vortrag, gehalten im Zweigverein
des Evangelifchen Bundes zu Berlin am 4. Novbr.
1895. Leipzig, Hinrichs, 1896. (31 S. gr. 8.) M.—.50

3. Steiger, Pfr.A.,Theologie und Naturwissenschaft. Vortrag,
gehalten an der 52. Jahresverfammlung der fchweiz.
reformirten Predigergefellfchaft in Herisau den 27. Aug.
1895. Bafel, Schwabe, 1896. (27 S. gr. 8.) M. —.80

Drei Brochüren mit faft gleichlautendem Titel! Man
fleht, wie lebhaft das Gefühl davon ift, dafs in der prak-
tifchen Apologie des Chriftenthums die Auseinander-
fetzung mit der Naturwiffenfchaft die gröfste Wichtigkeit
hat. Das Gefühl ift wohlberechtigt. Zwar kann
die eigentlich fyftematifche Apologetik, fofern fie die
letzten tragenden Gründe der chriftlichen Wahrheitsüberzeugung
darlegt, nur eine fecundäre Aufgabe oder
eine Vorarbeit darin erblicken, dafs der Boden für den
chriftlichen Glauben gegenüber der Naturwiffenfchaft freigemacht
werde, und zwar vor allem auf Grund princi-
pieller erkenntnifs-theoretifcher Erörterungen; aber in
der populären Vertheidigung des Chriftenthums darf bei
dem heutigen Stand der Volksanfchauungen eine recht
eingehende Auseinanderfetzung mit der Naturwiffenfchaft,
und zwar mit einer Reihe von einzelnen concreten Reful-
taten und Hypothefen nicht fehlen, wenn fie freilich auch
hier fchliefslich nur Glaubenshindernifse wegräumen, alfo
dem Glauben nur den Weg bereiten kann.

1. Steude, der wohlbekannte Apologet, hat in feiner
Schrift vier Artikel, die er in den Lemme'fchen Jahrbüchern
für deutfehe Theologie' (II. III. IV) veröffentlicht
hatte, zufammengeftellt und durch ein Schlufscapitel
verbunden. Cap. I, ,Der biblifche Schöpfungsbericht',
zeigt, dafs diefer fchon nach der Stellung, die er in der
Schrift einnimmt, nicht gefetzlich bindend fein kann, dafs
; thatfächlich die heutige Chriftenheit durch Aufnahme eines
ganz andern Weltbildes in Widerfpruch mit ihm getreten
ift, und dafs alle Ausgleichsverfuche zwifchen der heutigen
Naturanfchauung und der von Gen. 1 fcheitern.
I Dies Zugeftändnifs bringt den Gewinn, dafs nun erft der
! religiöfe Gehalt und auch der kosmologifche Tieffinn der
Erzählung ganz zur Geltung kommt, dafs die Chriften
von einem unerträglichen Joch befreit und die Gegner
einer ihrer Hauptwaffen beraubt werden. — Cap. II, ,Der
Schöpfungs- und Erhaltungsbegriff', fammelt die Ausfagen
Jefu über Gottes Verhältnifs zur Welt und prüft dann