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Ausgabe:

1896 Nr. 1

Spalte:

350-352

Autor/Hrsg.:

Nilles, Nic.

Titel/Untertitel:

Kalendarium Manuale utriusque ecclesiae orientalis et occidentalis Academiis clericorum accomodatum auspiciis commissarii Apostolici auctius atque emendatius iterum edidit. Tomus I 1896

Rezensent:

Harnack, Adolf

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349

Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 13.

haben); aber es mufs mit der Möglichkeit, ja Wahr-
fcheinlichkeit chrifllicher Ueberarbeitung gerechnet werden
. Ungewifs bleibt daher, ob manche Sittenfprüche,
welche Mark an die Grundgedanken des Evangeliums
erinnern, dem jüdifchen Verfaffer oder einem chriftlichen
Ueberarbeiter angehören. Chriftlichen Eindruck macht
namentlich die Polemik gegen die Wiedervergeltung
50, 4. 66, 6. Anderes, was auf diefer Linie liegt, geht
doch nicht über die Moral des Siraciden hinaus, wie die
Empfehlung des Almofengebens (50, 5. 51, 1—2) und
der Wohlthätigkeit (63, 1). — Für den jüdifchen Ur-
fprung des Ganzen fprechen auch die hebräifchen
Monatsnamen (Sivan 48, 2. 68, 1. 3; Thevad, d. h.
rat: 48, 2), die Empfehlung des dreimaligen täglichen
Tempelbefuch.es (51, 4: ,des Morgens und Mittags und
am Abend ift es gut, in das Haus des Herrn zu gehen
um des Ruhmes eures Schöpfers willen'), und die Verfluchung
deffen, .welcher umkehrt die Feftfetzungen
feiner Vorfahren' (52, 10).

Wenn das Ganze jüdifchen Urfprungs ift, dann find
auch gewiffe Grenzen für die Abfaffungszeit gegeben.
Später als gegen Ende des erften oder am Anfang des
zweiten chriftlichen Jahrhunderts find jüdifche Schriften,
fo viel wir wiffen, nicht mehr von der chriftlichen Kirche
als Erbauungsfchriften recipirt worden. Dies wird alfo
der terminus ad quem für die Abfaffungszeit unferer
Schrift fein. Es kommt dazu, dafs auf die Zerftörung
des Tempels nirgends hingewiefen wird, obwohl von
Opfern die Rede ift. Sehr willkommen wäre es, wenn
fich die Benützung unferes Buches in anderen jüdifchen
oder altchriftlichen Schriften nachweifen liefse. Charles
(und nach ihm auch Bonwetfch) hat eine folche in den
Teftamenten der zwölf Partriarchen angenommen.
Ich glaube entfehieden mit Unrecht. In diefen Teftamenten
wird von Symeon c. 5, Levi c. 14, Juda c. 18,
Dan. c. 5, Naphthali c. 4, Benjamin c. 9 erwähnt, fie
hätten in der Schrift Henoch's gelefen, dafs ihre Nachkommen
(alfo die der zwölf Söhne Jakob's) in fchwere
Sünden verfallen werden. Dies foll fich auf unfer
flavifches Henochbuch beziehen, weil hier c. 34 von
Gott dem Henoch eröffnet wird, dafs feine Zeitgenoffen
(alfo die Leute vor der Sündfluth) in Götzendienft und
Unzucht verfunken feien. Da die Zeitgenoffen Henoch's
durch die Sündfluth vertilgt wurden, fo kann der Verf.
der lest. XU Patr. die Klage über deren begangene
Sünden doch kaum als eine Weiffagung auf die künftigen
Sünden der Nachkommen Jakobs aufgefafst
haben. Es müfste wenigftens die wörtliche Ueberein-
ftimmung eine fehr ftarke fein, wenn wir zur Annahme
einer folchen Beziehung berechtigt fein follten. Die ver-
hältnifsmäfsig ftärkfte Parallele ift aber: Henoch slav. 34,
2—3: ,Sie haben angefangen eitle Götter anzubeten und
haben verlaffen meine Einzigkeit. Und fie haben die
ganze Erde zufammenfahren gemacht durch Ungerechtigkeiten
und Thaten des Unrechts und fchlechter Unzucht,
welches ift Einer mit dem Andern fodomitifch (wörtlich:
in den hintern Durchgang), und allen andern unreinen
Uebelthaten, welche fchändlich ift auszufprechen. Und
deshalb führe ich die Sintfluth auf die Erde und bringe
alle um, und die ganze Erde wird in grofsen Schlamm
zerftört werden'; und Test. Naphthali c. 4: 'Aviyvwv^ iv
yq(«/Tj ccyla 'Evwy, bei xaiye xai viteig dno<szrasovE ann
Kvgiov, noQEvöfuvoi xaza näoav novrjgiav s-trvwv, xai
/roirjoezE xaza näaav dvofiLav Zodöiiiov. Kai i?iä^Ei yulv

Kvgiog aiyitahooiav......tiog av ctvalaiot] Kvgiog

ndvzag vitäg. Ich glaube nicht, dafs der Wortlaut beider
Stellen geeignet ift, die an fich höchft unwahrfcheinliche
Bezugnahme wahrfcheinlich zu machen. In den Teftamenten
der zwölf Patriarchen wird aber noch an drei
anderen Stellen auf die Schrift Henoch's Bezug genommen.
Levi c. 10: 6 yäg oixoe, bv uv ixlü-rrzai Kvgiog, legor-
oafajti xlr^otzai'., y.aüwg negtiyEi ßlßlng 'Eviby toi
diy.aiov. Levi c. 16: Kai vvv i'yvoiv iv ßißllcp 'Enby, bzi

eßöoiir'y.nvza fßdouäöag nlavnd-^oeo&e. Sebulon c. 3:
iv ygaep/j vbuov 'Evcby yiyganzai, zöv wa) O-ilovia dva-
azr}oai anigfia zqp aoaXam avzov, vnokvtrr'jaeatrai zb
inödr/fia, xai iiinzveatrai sig zb ngöaionov {— Deut. 25,
7—9). Von allem, was hier erwähnt wird, ift, fo viel
ich fehe, im flavifchen Henoch nicht die Rede. Ich
j halte es daher für ausgefchloffen, dafs die Citate in den
Test. XII Patr. auf diefen fich beziehen. Gegen die Be-
kanntfehaft der Test, mit Henoch slav. fprechen auch
die Ausführungen über die Heben Himmel. Im flavifchen
Henoch wird fehr ausführlich gefchildert, was in
jedem der fieben Himmel vorhanden ift. Eine ähnliche,
wenn auch viel kürzere Befchreibung findet fich Test.
Levi c. 2—3. Wenn erfterer die Vorlage für letzteres
gebildet hätte, fo müfsten doch die Hauptpunkte über-
einftimmend angegeben fein. Aber die Befchreibun" ift
nicht in einem einzigen Punkte parallel; der Inhalt aller
fieben Himmel wird Test. Lev. 3 abweichend von Henoch
slav. angegeben.

In der patriftifchen Literatur haben die Herausgeber
eine Bezugnahme auf unfern Henoch bei Clemens Alex,
und Origenes nachzuweifen verfucht. Mir fcheinen auch
hier die Parallelen nicht der Art, dafs fie eine folche
Bezugnahme wahrfcheinlich machten. Ich mufs aber
hier auf eine nähere Unterfuchung verzichten und
fchliefse mit dem wärmften Danke für das Gebotene.

Göttingen. E. Schürer.

Nilles, Prof. D. Nie, S. J., Kalendarium Manuale utriusque
ecclesiae orientalis et occidentalis Academiis clericorum
aecomodatum auspieiis commissarii Apostolici auetius
atque emendatius iterum edidit. Tomus I. Innsbruck,
F. Rauch, 1896. (LXXII, 536 S. m. 1 Farbe ndr. u. 1
Karte, gr. 8.) M. 7. 50

Die erfte Auflage habe ich in diefer Zeitung 1880
Col. 635 f. und 1882 Col. 213 befprochen und die Anlage
des Werkes gefchildert. Ich habe es feitdem häufig benutzt
und es flets als einen zuverläffigen, aus den Originalquellen
gefchöpften Rathgeber erprobt. Schwerlich
giebt es einen zweiten Gelehrten, der in diefen Dingen,
d. h. in der Feftordnung fämmtlicher katholifcher Kirchenj
fowohl aus eigener Anfchauung wie aus den einfchla-
genden Büchern, Zeitfchriften, Zeitungen und Kalendern
der Vergangenheit und Gegenwart fo bewandert ift, wie
der Verfaffer. Die Feftordnung fämmtlicher katholifcher
Kirchen — das will etwas fagen; denn fo einftimmig
die Grundzüge diefer Ordnung find, fo verfchieden find
doch die Details. Auch handelt es fich nicht nur um
den lateinifchen und orientalifchen Ritus, fondern der
letztere zerfällt bekanntlich in den griechifchen, fyrifchen,
koptifchen und armenifchen; von diefen zerfällt der
griechifche wieder in den gr. purns, gr. melchita, gr.
slavns {gr. ruthenus und gr. bulgaricus), gr. rumenus; der
fyrifche in den syr. purns, syr. chaldaens (syr. chald.
proprie dictus und syr. malabaricus) und syr. maronitus;
der koptifche in den ägyptifchen und äthiopifchen. Allein
auch diefe Unterfcheidung erfchöpft die Sache noch nicht.
Mannigfache Verfchiedenheiten zeigen die Griechen auf
je nach dem Lande, in welchem fie wohnen. So habe
ich mit Intereffe Kenntnifs genommen von dem Schreiben
des Jofeph, intaxonog Javaagiag [episc. in pari, in/.;
Danfara eine Stadt in Mefopotamien] i/nzezgaiuiivog iai
zip yeigozovlag zwv 'Izaloelhjvaiv zrjg Kalaßglag xai
Baailixäzag an den Herausgeber (p.XIII). Diefer Bifchof
refidirt in S. Sofia di Epiro, nicht weit von Corigliano
Calabro, und leitet die griechifch-albanefifchen Gemeinden
in Unteritalien, deren ßekanntfehaft ich i. J. 1879 gemacht
habe. Sie find aber nicht etwa Refte jener Zeit, da der
Ritus an den Küflen Untcritaliens griechifch war und
eine nicht geringe Anzahl ausgezeichneter Handfchriften
aus den dortigen Bafilianer-Klöftern hervorging, fondern