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Ausgabe:

1896 Nr. 12

Spalte:

316-317

Autor/Hrsg.:

Lewis, Agnes Smith

Titel/Untertitel:

Some pages of the four Gospels retranscribed from the Sinaitic Palimpsest with a translation of the whole text 1896

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 12.

316

äufsert lieh Wendland S. 705 f. fehr befonnen. Er macht
namentlich geltend, dafs ,Philo's Kritik fich weniger
gegen Plato felbft richte, als gegen die im Gaflmahl berichteten
Reden, die er offenbar für hiftorifch hält'. Ich
glaube nicht, dafs durch diefen Gefichtspunkt die Differenz
befriedigend erklärt ift.

Im dritten Abfchnitt (S. 720—731) entwickelt W.
fein Hauptargument für die Echtheit: die Ueberein-
ftimmung mit Philo in Sprache und Stil. Er hält fie für
fchlechthin entfeheidend, weil einem Falfarius eine fo
forgfältige Nachahmung nicht zuzutrauen fei. Ich will
das Gewicht diefes Argumentes nicht unterfchätzen. Aber
die fachlichen Differenzen fcheinen mir doch immer von
gröfserem Gewicht, als die fprachliche Uebereinftimmung,
da es eine Thatfache ift, die wir auch noch heute beobachten
können, dafs getreue Schüler die ftiliftifche Eigenart
ihrer Lehrer zuweilen bis auf die kleinften Einzelheiten
fich aneignen.

Der vierte Abfchnitt (S. 732—743) bringt die pofitive
Befchreibung der Therapeuten und der fünfte (S.743—756)
unterfucht ihren Urfprung. Wendland hält Philo's Schilderung
für fubjectiv gefärbt. Was er als Philofophie
der Therapeuten darftelle, fei mehr feine eigene. Durch
diefe Auffaffung bahnt fich W. den Weg zu feiner Be-
urtheilung des Urfprungs. Die Weltflucht der Therapeuten
habe ihren Grund nicht in einer dualiftifchen Welt-
anfehauung, überhaupt nicht in der Philofophie, fondern
in der echt jüdifchen Tendenz, das ganze Leben dem
Gefetzesftudium zu widmen. Sie feien ,in Wirklichkeit
nur ein Verein von Schriftgelehrten' (S. 751). ,Aus
der ausfchliefslichen Befchäftigung mit dem Gefetze laffen
fich auch die asketifchen Neigungen der Therapeuten erklären
' (S. 750). ,Die asketifchen Grundfätze gehören
der philonifchen Motivierung an' (ebendaf). Nur nebenbei
weift Wendland auf die Möglichkeit hin, dafs die
Therapeuten .vielleicht' die Abfonderung der ägypti-
fchen Serapisdiener, deren einfache Lebensweife und aus-
fchliefsliche Befchäftigung mit religiöfen Dingen fich zum
Mufter genommen haben (S. 755). Philo felbfl fei zu
feinen Ausführungen wahrfcheinlich durch Chäremon's
Verherrlichung der ägyptifchen Priefter, die wir aus
Porphyr, de abstinent. IV, 6—7 kennen, veranlafst worden
. Deffen Schilderung .wollte er ein jüdifches Gegen-
ftück gegenüberftellen und ihn damit übertrumpfen'
(S. 755).

Diefe Ausführungen fcheinen mir die am wenigften
befriedigenden in Wendland's Unterfuchung. Auf das
angebliche Verhältnifs zu Chäremon, auf welches wohl
auch Wendland kein grofses Gewicht legt, will ich nicht
näher eingehen. Von gröfserer Bedeutung ift die Erklärung
des Urfprungs der Therapeuten. Als ein echt
jüdifcher Verein von Schriftgelehrten laffen fie fich fchlech-
terdings nicht begreifen, auch dann nicht, wenn man alles,
was Philo über ihre Philofophie fagt, in Abzug bringt.
Das Falten, die ftrenge Askefe, vor allem das eigenartige
Fell am 50. Tage mit feiner navw%lg, ift damit nicht
erklärt. W. erkennt an, dafs Conybeare's Auffaffung
diefes Feftes als des jüdifchen Pfingftfeftes unhaltbar ift.
Er fleht fehr wohl, dafs es fich um ein Feit handelt
, welches alle fünfzig Tage gefeiert wurde (S. 741.
770).^ Diefes Feit ift bei den Therapeuten an die Stelle
der jüdifchen Jahresfefte getreten; denn von letzteren ift
nirgends die Rede. Wie foll eine fo ftarke Abweichung
vom jüdifchen Gefetz bei einem echt jüdifchen Verein
von Schriftgelehrten fich begreifen laffen? Es fcheint
mir unfraglich, dafs die Therapeuten, wenn fie fo, wie
fie hier gefchildert werden, exiftirt haben, eine Mifch-
bildung find: die Grundlage ift jüdifch, aber mit einem
ftarken Einfchlag heidnifcher Philofophie und Askefe.

Aber find fie nicht etwa chriftlich? W. weift diefe
befonders von Lucius vertretene Auffaffung in einem
fechften und letzten Abfchnitt (S. 756—765) entfehieden
zurück. Manches, was er gegen Lucius bemerkt, ift ge-

wifs richtig. Und doch fcheint mir diefe Hypothefe die
plaufibelfte. Sie hat vor Allem das Zeugnifs des Eufe-
bius für fich, der doch wufste, was chriftliche Mönche
waren. Man mufs nur beachten, dafs es in Aegypten
ein Mönchthum gegeben hat, deffen Chriftenthum ein
recht abgeblafstes war, da ihm Weltflucht und Askefe
die Hauptfache waren. Weder echtes Judenthum noch
echtes Chriftenthum, fondern ein halb chriftliches halb
heidnifches Asketenthum wird uns in den Therapeuten
gefchildert. Ich möchte alfo — trotz meiner Bedenken
gegen die Echtheit — nicht behaupten, dafs die Schilderung
eine fingirte ift. Die Therapeuten haben wirklich
exiftirt, in der Hauptfache wohl fo, wie fie hier gefchildert
werden. Der Verf. hat nur, da er unter der Maske
Philo's feine Leute empfehlen will, auch die fchwache
chriftliche Färbung, die ihnen eignete, ganz verwifcht
und ihnen ftatt deffen eine ebenfo blaffe jüdifche angedichtet
— vorausgefetzt, dafs es fich nicht wirklich um
eine (aber erft nachphilonifche) Mifchbildung zwifchen
Judenthum und heidnifcher Askefe handelt, was ich auch
als möglich anerkennen möchte.

Zum Schlufs nur noch die Bemerkung, dafs W.
S. 715 f. mir auch in dem, was ich gegen Conybeare
über den Titel der Schrift bemerkt habe (Theol. Litztg.
1895, 389), beiftimmt. — Sehr erfreulich ift die S. 721
Anm. 3 fich findende Notiz, dafs der erfte Band der
neuen Philo-Ausgabe (von Cohn und Wendland) ,dem-
nächft' erfcheinen wird.

Göttingen. E. Schür er.

Lewis, Agnes Smith, Some pages of the four Gospels re-

transcribed from the Sinaitic Palimpsest with a trans-
lation of the whole text. London, C. J. Clay and
Sons, 1896. (XXIV, 144, 139 S. 4.) 10 sh 6 d.

Im Format der von der Cambridger Univerfitäts-
preffe veranftalteten Ausgabe der Four Gospels in Syriac
— f. die Anzeige in 1894 Nr. 25 — veröffentlicht hier
die glückliche und verdiente Entdeckerin des Sinaipalim-
pfeftes 1) eine revidirte Ausgabe ihrer zuerft bei Macmil-
lan veröffentlichten Ueberfetzung des Ganzen — Th. LZ.
1895, Nr. 4 — 2) die Ergebnifse der dritten Reife zum
Sinai, die fie im Febr. und März 1895 mit ihrer Schweiler
Mrs. James Y. Gibfon zu dem Zwecke unternahm, was
Bensly, Burkitt und Harris 1893 aus Mangel an Zeit unvollendet
hatten laffen müffen, zu ergänzen. Durch
Blaudruck ift das Neugelefene von dem früher Entzifferten
unterfchieden. Auf S. 1—8 find die kleineren
Addenda et Emendanda zufammengeftellt; dann folgen
98 neu gelefene Seiten der Hdf, die im Druck fo eingerichtet
find (doppelt paginirt u. f. w.), dafs fie mit den
Blättern der officiellen Ausgabe durchfehoffen werden
können. Sie bieten eine höchft erfreuliche Bereicherung
unferer Kenntnifse. Allein auf S. 177 z. B., die in der
erften Ausgabe ganz mit Sternen ausgefüllt war, hat
Mrs. Lewis über 130 Worte gelefen; ähnlich ift auf den
Seiten 65. 66. 117, die bisher gleichfalls ganz unent-
ziffert waren, jetzt fo viel gelefen, und auf den früher
entzifferten find die Lücken jetzt in einer Weife ausgefüllt
, dafs vielleicht da und dort noch ein Zweifel fein
kann, eine Nachlefe Ephraim's aber nicht mehr möglich
fein wird. Die Einleitung Hellt nach dem Bericht über
die neue Arbeit an der Handfchrift einige der leitenden
Eigenthümlichkeiten des Textes zufammen (S. XI—XIX),
befpricht noch einmal das Alter der Handfchrift und der
Ueberfetzung, gegen Zahn's Annahme der Priorität
Tatian's die Frage aufwerfend, ob die fyrifche Kirche,
zu der die grofse Maffe der älteften Chriften gehört
haben müffe, bis 170 ohne Ueberfetzung der Evangelien
gewefen fein könne, weiter ,the Charge ofHeresy1, welche
zurückgewiefen wird. In einem erften Anhang find diejenigen
Worte und Sätze aus Weftcott-Hort's Text grie-