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Ausgabe:

1896 Nr. 11

Spalte:

291-293

Autor/Hrsg.:

Grisar, Hartmann

Titel/Untertitel:

Un prétendu trésor sacrè des premiers siècles 1896

Rezensent:

Achelis, Hans

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. II.

292

Grisar, Prof. D. Hartmann, S. J., Un pretendu tresor sacre
des premiers siecles (le ,Tesoro sacro' du Chev. Gian-
carlo Rossi ä Rome). Etüde archüologique. Traduit
de l'allemand par J. Vetter. Rom, Spithöver, 1895.
(41 S. m. Abbildgn. u. 2 Taf. Lex.-8.) Fr. 2. 50

Vorliegende Abhandlung hat Grifar zugleich in drei
Sprachen ausgehen laffen. Zuerft deutfch in der ,Zeit-
fchrift für katholifche Theologie', dann in franzöfifcher
Ueberfetzung, die J. Vetter hergeftellt hat, als felbftändige
Schrift, um ein Titelbild und zwei vortreffliche Tafeln
bereichert; endlich foll, wie eine Vorbemerkung fagt,
eine italienifche Ueberfetzung durch Dr. Pio Franchi
de Cavalieri in demfelben Verlag erfchienen fein. Da
jeder Deutfche, Franzofe oder Italiener, der chriftliche
Archäolgie treibt, die drei Sprachen lefen mufs, mag man
das Vorgehen auffallend finden. Aber es handelt fich
hier in der That um eine aufsergewöhnlich wichtige Frage,
nämlich darum, ob der grofse Schatz filberner und
goldener Geräthe, der fich zum gröfsten Theil im Be-
fitz des Herrn Giancarlo Roffi in Rom befindet, nicht
eine moderne Fälfchung ift.

Seit dem Jahre 1880 wurde der Schatz nach und
nach in geheimnifsvoller Weife auf den Markt gebracht.
Die erften wenigen Stücke kaufte der Graf Stroganoff
für 4000 fr., die meiften und werthvollften Theile G. Roffi;
man fagt, er habe feine reiche Münzfammlung verkauft,
um fich in den Befitz diefes einzigen Schatzes zu fetzen.
Was man fich über die Auffindung erzählte, klang höchft
myfteriös, aber fehr angefehene Stimmen empfahlen ihn.
Der glückliche Befitzer legte ihn der gelehrten Welt vor
in einer grofsen Publication: Tavole XXV riproducenti
il sacro tesoro Rossi. Roma 1890; er felbft mit einigen
Freunden fchrieb dazu einen Commentar von 59 -j- 491
Seiten Folio: Commenti sopra supellettili sacre di argento
ed oro. Roma 1890. 2. Ausgabe (die erfte war nur in
50 Exemplaren gedruckt). Die verfchiedenen Zeitfchriften
für chriftliche Archäologie lieferten Berichte; m. W. alle
in Anlehnung an RofiTs Commentar; und Alle kamen
darin überein, dafs in dem Schatze ein Unicum vorliege,
deffen Bedeutung für die Gefchichte der chriftlichen
Kunft gar nicht abzufchätzen fei. Der grofse Werth des
Schatzes leuchtet fchon ein, wenn man feine Beftand-
theile aufzählt: 10 Platten, die am erften zu Buchdeckeln
gedient haben könnten, 2 kleinere Platten, ein Gürtel,
3 Schalen, eine bifchöfiiche Mitra, eine goldene Krone,
2 Bifchofftäbe, 2 grofse Kreuze, 2 Schöpflöffel, ein Kelch,
ein goldener Oelzweig und das Merkwürdigfte: ein filbernes
Lamm, hohl, mit grofser Oeffnung auf dem Rücken, an-
fcheinend zur Aufnahme von Wein beftimmt, auf einer
grofsen Platte befeftigt, rings umgeben von 12 ebenfalls
angelötheten Bechern. Dazu noch viele kleine Stücke:
Kreuze, Fibeln u. dergl., Alles aus Gold oder Silber.

Zweifel an der Echtheit des Schatzes hörte ich zuerft
im Winter 1890/1 ausfprechen; ich weifs nicht, von
wem fie ausgingen. Grifar erzählt, dafs der Graf Stroganoff
feinen Antheil der Abtheilung für Fälfchungen in feiner
Sammlung zuertheilt habe; auch wären manche Verfuche
gemacht, den Papft zum Ankauf des ganzen Schatzes
für das Vaticanifche Mufeum zu bewegen, aber de Roffi,
der fich früher felbft günftig ausgefprochen hatte, habe
das zu verhindern gewufst. Unterdeffen nahmen aber
die einzelnen Stücke ruhig ihren Lauf in Einzelunter-
fuchungen; und es war höchfte Zeit, dafs die grundlegende
Frage über Echtheit oder Unechtheit einmal
gründlich und vor möglichft grofsem Publicum erörtert
wurde. Man kann faft zweifeln, ob das Unkraut jetzt
nach 16 Jahren noch auszurotten ift.

Denn über Grifar's fachkundige Abhandlung habe
ich wenigftens dasfelbe Urtheil, das mir feftftand, feit ich
zuerft von Zweifeln an der Echtheit hörte: der Schatz Roffi
ift überhaupt nur als Fälfchung verftändlich. Grifar beleuchtet
zunächft den angeblichen Fundbericht und die

auffallenden Umftände, unter denen derSchatz auf den Markt
kam. Schon hier ift alles verdächtig. Aber entfcheidend find
die inneren Gründe. Nach der Technik und der Orna-
mentirung zu urtheilen, mufs der Schatz in die lango-
bardifche oder gar karolingifche Zeit, etwa das 7. bis 9.
Jahrhundert, gehören; die Ikonographie aber nöthigt, ihn
in die Zeit der Katakomben zu verlegen. Wenn diefer
Widerfpruch fich nicht ausgleichen läfst, ift das Urtheil
über den Schatz gefprochen. Ich glaube das durchaus
beftätigen zu können.

Die Ornamentik der Gefäfse bietet wenig Auffallendes.
Die Bandornamente, Kreuze, Rofetten, Trauben, Vögel
finden fich ebenfo auf fpäteren Sarkophagen in Rom und
Ravenna. Die Zeichnung ftimmt zuweilen frappirend
überein, fo wenn der Schweif der Pfauen aus einer einzigen
quergeftellten Pfauenfeder befteht, wenn die Schafe
wie mitPanzerfchuppenbekleidet find. NuriftdieZeichnung
noch viel roher als ,bei den fchlechteften Sarkophagen;
auch deshalb kann man den Schatz nur in die Zeit tieffter
Barbarei, das 7. — 9. Jahrhundert verlegen. Das ift freilich
gerade eine Zeit, aus der nur wenige Parallelen beizubringen
find. Defto mehr Licht bekommt der Schatz
aus fich felbft. Die Frau auf tav. 2 (der grofsen Ausgabe
Roffi's) hat das euchariftifche Lamm von tav. 24
in den Händen, der Bifchof tav. 2 hat, ebenfo wie der
auf tav. 8, die merkwürdige Krone von tav. 15 und 16
auf dem Kopf; diefelbe Frau, die das euchariftifche Lamm
bringt, wird tav. 8 mit dem wunderbaren Schöpflöffel
von tav. 21, deffen Verwendung Niemand errathen hätte
— getauft, und dabei hält fie den goldenen Oelzweig von
tav. 13 in der Hand, der auf tav. 4 und 7 wiederkehrt.
Je mehr Zeit-und Kunftgefchichte über den Schatz fchweigt,
defto lebhafter commentirt er fich felbft. Und bei diefen
Bildern fehlen faft alle Merkmale einer fpäteren Zeit:
das Monogramm, der Nimbus, die Heiligen, die Bei-
fchriften, überhaupt jeder Buchftabe, faft alle Verwendung
von Steinen und Perlen. Diefe Illuftrationen haben
vielmehr die Meiften an die älteften Zeiten der chriftlichen
Kunft erinnert; und Viele haben die Koftbarkeit
des Materials gering gefchätzt im Vergleich mit der
Heiligkeit des Lehrgehaltes der Bildwerke. Hier fcheint
mir nun eine Beobachtung für die Beurtheilung des ganzen
Schatzes ausfchlaggebend: fein Verfertiger verräth keine
Kenntnifs der älteften chriftlichen Malerei und Sculptur,
aber er kannte die fymbolifch-myftifchen Gedankengänge,
welche moderne Gelehrfamkeit aus der Katakomben-
kunft herausgelefen hat. In einem Auffatz in Pitra's
Spicilegium Solesmense Bd. 3 über den fymbolifchen
Fifch hatte de Roffi Werth gelegt auf gewiffeVerbindungen,
welche das Fifchfymbol eingehe: 1. mit dem Schiff, 2. mit
dem Anker, 3. mit dem Brot; das bedeute 1. das Schiff
der Kirche getragen von dem Fifch-Chriftus, 2. die alte
Formel Spes in Christo, und 3. die Euchariftie. Diefe
Fifchfymbolik ift ungemein populär geworden; und fo
wird unfer Goldarbeiter auch davon gehört haben; er
braucht darum keinen gelehrten Mitarbeiter gehabt zu
haben. Aber was bei de Roffi ein hingeworfener geift-
reicher Gedanke war, das ift in dem Silberfchatz Roffi
zu einer häfslichen Wirklichkeit geworden. Der Fifch
fchwimmt felbft in Schiffsgeftalt durch die Wellen, er
wird ein Monftrum in Ankerform, er credenzt felbft den
zwölf Jüngern mit feinen Floffen Brot und Wein, er
hängt als crucifixus am Kreuz. Das find wenige Bei-
fpiele für viele. Die Fifchfymbolik feiert in dem Schatze
Roffi ihre Orgien; man vermifst nur eine Illuftration der
Abercius-Infchrift. Wenn der Goldfchmied diefe Symbolik
herbeizog bezw. erfand, wollte er feinen Schatz
den älteften Zeiten annähern, und gewifs hat er dadurch
die hohen Preife erzielt, aber eben dadurch verräth er
fich als Fälfcher.

Dem Herrn Verfaffer wünfche ich, dafs fein Beweis
allgemeinen Anklang findet, wenn möglich auch in Kreifen,
denen die Echtheit des Schatzes bisher feftftand, dafs