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Ausgabe:

1896 Nr. 11

Spalte:

283-285

Autor/Hrsg.:

Moore, George F.

Titel/Untertitel:

A critical and exegetical commentary on Judges 1896

Rezensent:

Budde, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. II.

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welcher zunächft auf der Verstheilung beruht und kein
eigentlicher Satzton ift, in der lebendigen Sprache ebenfo
befchaffen gewefen ift, und glauben, dafs der Verf. überhaupt
den Einflufs der fynagogalen Recitation auf die
Betonung und damit auch die Vocalifirung zu gering
anfchlägt. Das Natürliche ift es doch nicht, dafs der
Hauptton eines Wortes fich durch einen Vorton ,anbahnt',
wie König es fich vorftellt (S. 530); fondern bei ener-
gifcher Betonung der letzten Silbe wird die unmittelbar
vorhergehende Silbe im Gegentheil ftets befonders eilig
gefprochen werden. Wenn man auch, was König nicht
thut, in Anfchlag bringt, dafs der hebräifche Vorton-
vocal eben nur als voller Vocal (im Gegenfatz zum
blofsen Vocalanftofs) mit eigenthümlicher Färbung aufge-
fafst zu werden braucht und gewifs nicht diefelbe zeitliche
Dauer hat wie der Haupttonvocal, fo liegt doch
in der hebräifchen Behandlung des Vortons eine Ver-
theilung des Worttones auf zwei Silben, welche man mit
einem gefangsartigen Vortrag fehr wohl, nicht aber mit
den Bedürfnifsen einer lebenden Sprache vereinigen kann.
Da nun einmal die fynagogale Lection der einzige Träger
der hebräifchen Ausfprachetradition gewefen ift, fcheint
es mir felbftverftändlich, dafs gerade in Bezug auf die
Ton- und Lautverhältnifse keine ftchere Ueberlieferung
beftand. Die von de Lagarde übermäfsig ausgebeuteten
Transfcriptionen der LXX verdienen deshalb dochgröfsere
Beachtung, als König ihnen widmet.

Nebenbei bemerke ich, weil die hebr. Grammatiken
öfters, wie König S. 362, darüber unrichtige Angaben
haben, dafs das, was meift als ,polnifche' Ausfprache
des Hebräifchen bezeichnet wird, deutfchjüdifche Ausfprache
ift. Die Ausfprache der ruffifchen Juden variirt
nach den Gegenden. Qames ift offenes 0 und ü, Sere
e und ei, Cholem oi und felbft c, Schurek ü und 1
(nicht ü).

Leipzig. G. Dalman.

Moore, Prof.Rev. George F., D.D., A critical and exegetical
commentary on Judges. [The international critical com-
mentary on the Holy Scriptures of the Old and New
Testaments, under the editorship of DD. Driver,
Plummer, and Briggs.] Edinburgh, T. & T. Clark, 1895.
(L, 476 S. gr. 8.) Geb. 12 s.

In dem Titel des Gefammtunternehmens, dem diefes
Buch fich eingliedert, hat ,International' eine engere als
die uns geläufige Bedeutung, es heifst ,anglo-amerikanifch'.
Die proteftantifche Bibelwiffenfchaft englifcher Zunge
fagt fich hier los von der Bevormundung durch Deutfch-
land. Die Herausgeber (Driver, Plummer, Briggs) heben
unter Hinweis auf die zahlreichen deutfchen Commentar-
werke, von denen mehrere ins Englifche überfetzt find,
mit Stolz hervor, dafs dies der erfte kritifche Commentar
in englifcher Sprache ift, dafs fie die Zeit gekommen
erachten, fernerhin an ihrem Theile felbftändig unfere
grofsen Aufgaben fördern zu helfen. Für den Kundigen
bedurfte es nicht erft der Beweife, dafs dies keine An-
mafsung fei; für den, der den gewaltigen P'ortfchritten
der biblifchen Wiffenfchaft jenfeits des Canals und des
atlantifchen Oceans nicht ausreichend hat folgen können,
war, unbefchadet des vortrefflichen Commentars zum
Deuteronomium von Driver, der diefem Buche noch
voranging, ein glänzenderer Beweis fchwerlich zu erbringen
, als es mit Moore's Bearbeitung des Richterbuchs
gefchehen ift. In jeder Beziehung ein wahrer
Muftercommentar, dem fich nur fehr wenig auf diefem
Gebiete zur Seite Hellen läfst!

Der Commentar folgt im Aufbau dem allgemeinen
Plane des Sammelwerkes. Zuerft eine ausführliche Einleitung
zum ganzen Buche (S. XI—L), im Commentar
felbft wiederum Einleitungen zu jedem Abfchnitt und
Unterabfchnitt; dann die Auslegung, je nach Bedarf mit

Ueberfetzung, unter Vermeidung alles gelehrten Beiwerks;
endlich in kleinerem Druck das letztere, Textkritik,
Sprachliches, Grammatifches, Sachliches, kurz alles, was
erwogen fein will. Der Uebelftand gelegentlicher Wiederholungen
kommt gegenüber der grofsen Annehmlichkeit,
die eigentliche Auslegung in knappem Zufammenhang,
unbehindert durch Einzelunterfuchungen, lefen zu können,
gar nicht in Betracht.

Alle der maffenhafte Stoff nun, der zur Auslegung
des Richterbuches gehört, ift hier mit gleicher Sorgfalt
und Umficht gefammelt, gefichtet, verwerthet. Bewundernswürdig
ift fchon die auf den Text verwandte Arbeit.
Für den hebräifchen Text wird auf die beften Ausgaben
, die Maffora, die Lesarten bei de Roffi zurückgegriffen
. Die aufserordentlich verwickelte und intereffante
Frage nach dem Graecus für das Richterbuch wird zunächft
mit Lagarde dahin beantwortet, dafs es zwei
Ueberfetzungen giebt, von denen die fpätere zwar fchwerlich
unabhängig heifsen darf, aber doch ganz neu gearbeitet
ift. Die ältere, an ihrer Spitze diesmal nicht der
VaticanusB, fondern der Alexandrinus läuft in den Minuskeln
in drei fich fcharf abgrenzenden Gruppen auseinander
. Der Text der einen ift von Lagarde in feiner
,Lucian-Ausgabe' abgedruckt, den der zweiten (vor allem
H.-P. 54. 59. 75. 82) beabfichtigt Moore demnächft zu veröffentlichen
, den der dritten bietet die Aldina aus den
ihr zu Grunde liegenden venetianifchen Mff. (120. 121).
Für den Text des Vaticanus, dem von Ueberfetzungen
nur der Kopte folgt, fchliefst fich Moore der Beobachtung
Grabe's an, dafs er ägyptifchen Urfprungs ift; und da
die alexandrinifchen Väter vom 2.—4. Jahrh. der anderen
Ueberfetzung, Cyrill diefer jüngeren folgt, fo fügt Moore
die Vermuthung hinzu, dafs fie erft im 4. Jahrh. ent-
ftanden fei. Wer fich je ernftlich mit dem Texte des
Richterbuches zu fchaffen gemacht, findet hier aus er-
fchöpfender Kenntnifs beftätigt, was ihn die Praxis gelehrt
hat, dafs die Editio Romana nebft ihrer Grundlage
für die textkritifche Arbeit fo gut wie bedeutungslos,
der Lucian-Text und die ihm verwandten Handfchriften
von höchfter Wichtigkeit find. Nur diefes werthvollfte
Ergebnifs Moore's fei hier hervorgehoben; doch ift feine
Arbeit auf dem Gebiete der übrigen Verfionen ebenfo
forgfältig. Der gefammte Ertrag ift in den kritifchen
Abfchnitten reichlich dargeboten; noch mehr haben wir
von Moore's kritifcher Ausgabe des Textes bei Paul
Haupt zu erwarten. In den philologifchen Anmerkungen
verwirklicht Moore, was er im Vorwort als des Commen-
tators Pflicht bezeichnet, dem Lexikographen und Grammatiker
nicht nachzufolgen, fondern voranzugehen; die
maffenhaften etymologifchen, ftiliftifchen, grammatifchen
Erörterungen gehen überall bis auf den Grund und bereichern
oder berichtigen unfer Wiffen fehr erheblich;
vortreffliche Regifter ermöglichen leichte Verwendung
für jeden Zweck. Dasfelbe gilt von dem Sachlichen aus
allen Gebieten, fei es Geographie oder Naturgefchichte,
private oder religiöfe Alterthümer, Chronologie oder
Gefchichte. Moore beherrfcht dafür einen ftaunens-
werthen Umfang der Literatur. Dafs felbft die Gefchichte
der Exegefe, ohne irgendwie a'ufdringlich zu werden
oder grofsen Raum in Anfpruch zu nehmen, in ent-
fprechendem Umfang zu Rathe gezogen und dargeboten
wird, ift vielleicht ein opus supererogationis, aber doch
ein höchft dankenswerthes.

Es ift wohl natürlich, dafs der Unterzeichnete mit
befonderer Spannung Moore's Ergebnifsen auf literar-
gefchichtlichem Gebiete entgegenfah. Im Sommer 1895
überfandte mir Herr Lic. W. Frankenberg feine Marburger
Differtation. ,Die Compofition des deuteronomifchen
Richterbuches (Richter II, 6—XVI)', in der laut S. 1 ,der
Verfaffer fich felbftverftändlich nicht der weitfchichtigen
und undankbaren Aufgabe unterziehen konnte und wollte,
die Unwahrfcheinlichkeit der . . . Vermuthungen Budde's
nachzuweifen, fondern fich begnügte, hier und da, foweit