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Ausgabe:

1896 Nr. 10

Spalte:

260-262

Autor/Hrsg.:

Bosse, Friedrich

Titel/Untertitel:

Prolegomena zu einer Geschichte des Begriffs ‚Nachfolge Christi‘ 1896

Rezensent:

Foerster, Erich

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259 Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 10. 260

der Menfchheit war hebräifch. ,Die ungemeine Einfachheit
der Zeitformen der hebr. Sprache fpiegelt jene
Zeit ab, da Ewigkeit noch war wie Zeit und Zeit wie
Ewigkeit'! Auch Lemekh fpricht noch hebr., doch
weicht fein Hebr. bereits von den reinen Formen des
echten Hebr. ab. Darin zeigt fich eine Wirkung der
Sünde. Die Sünde begünftigt die Entftehung der Dialekte.
Das Aramäifche ift die Sprache des vollendeten Abfalls.
Doch genug der Proben. In was für einer Welt mufs
der Verf. leben!

Bewiefen hat der Verf. natürlich nichts. Sein einziges
, immer wiederkehrendes Argument lautet: ,Das
kann nur Schilderung von Selbfterlebtem fein'. Wiffen-
fchaftliche Argumente, auf die er übrigens fo gut wie
gar nicht eingeht, räumt er nöthigen Falles fpielend
aus dem Wege. Der bekannte Satz: ,und es waren damals
die Canaaniter im Lande' dient ihm gerade zum
Beweife dafür, dafs Abr. felbft der Berichterftatter ift.

Ift das nun die Wiffenfchaft der Zukunft? Dann
wäre St. der kommende Mann, der Meffias der theolog.
Facultäten. Aber vielleicht befinnt man fich angefichts
folcher Leiftungen doch noch zur rechten Zeit, dafs man
mit Frömmigkeit allein, noch dazu mit einer Frömmigkeit
, die fo mit unhaltbaren Traditionen und fonderbaren
Schrullen verquickt ift, noch , keine Theologie macht,
fondern dafs wer hier mitreden will, vor Allem erft auf
der Höhe der Fachbildung unterer Zeit ftehen mufs.

2. Mehr Berückfichtigung, wenn auch in der Form
der Abwehr, finden wiffenfchaftliche Gründe in dem
erften Hefte des ,Bibelforfchers'(warum ,Biebelforfcher-
Verl.' auf dem Titeibl, und ,aufserbieblifch' auf S. 37?)
mit dem Titel: ,Das Buch Daniel im Lichte der
Keilfchriftforfchung'. Aus landeskirchlichen Kreifen
fcheint der ,Bibelforfcher' nicht zu ltammen. Die Bemerkungen
auf dem Umfchlage und die Auswahl der
auf der Rückfeite angekündigten Themata für die folgenden
Hefte erinnern einigermafsen an feparatiftifche Tendenzen
. — Der Verf. führt die landläufigften Gründe
gegen die Echtheit des Danielbuches an, um fie unter
gelegentlicher — nicht, wie der Titel erwarten läfst, aus-
fchliefslicher — Benutzung der Ergebnifse der Keilfchriftforfchung
und zwar meiftens im Anfchlufs an Lenormant's
,Magie und Wahrfagekunft der Chaldäer' zu widerlegen.
Mit einer wahren Tafchenfpielergefchicklichkeit, die dem
Oberlten aller Magier und Chaldäer Ehre gemacht haben
würde, räumt er alle jene Gründe aus der Welt. Hier
mufs es eine Prä- dort eine Poftdatirung der Regierungsjahre
eines Königs thun; anderswo hilft die Annahme
eines zwiefachen Regierungsantrittes eines Herrfchers über
alle chronologifchen Bedenken hinweg. Am meinten
thut er fich aber auf die Entdeckung des Prinzen Bel-
faruzur etwas zu Gute, die uns zeige, dafs Dan. ein
l liftoriker gewefen fei, der beffer unterrichtet war als die
alten Gefchichtsfchreiber Herodot, Berofus und Xeno-
phon, beffer auch als alle feine Kritiker zufammen (S.
21). Merkt denn der Verf. gar nicht, dafs gerade diefe
Entdeckung zeigt, wie völlig verzeichnet die Geftalt des
Belfazar im Danielbuche ift? Sehr bezeichnend für des
Verf.'s .wiffenfchaftliche Methode' ift ferner die Art und
Weife, wie er aus den Worten Dan. 6 1 herauslieft, dafs
Daniel den Darius den Meder nicht etwa für den Eroberer
Babels und den unmittelbaren Nachfolger Belfazar's, fondern
für einen von Cyrus eingefetzten babylonifchen
Civilgouverneur gehalten habe. Welch einen ganz
anderen Eindruck hinterläfst die unbefangene Leetüre
der betr. Stellen!

Alle keilfchriftl. Funde können an dem Urtheile
nichts ändern, dafs Daniel vom babylonifchen und medo-
perfifchen Zeitalter ein ganz verfchobenes, z. Thl. völlig
falfches Bild entworfen hat, während das Bild des griech.
Zeitalters, nam. d. Antioch. Epiph. fich durch Genauigkeit
und Correctheit auszeichnet. Diefer Umftand ift
und bleibt ausfchlaggebend für die Beurtheilung unferes

Buches und feine Anfetzung in das Zeitalter des Antio-
chus Epiphanes. Auf die principielle Stellung zu Wundern
und Weisfagungen kommt es hier im letzten Grunde gar
nicht einmal an, wie der Verf. uns glauben machen möchte.
Eine nur theilweife richtige Weisfagung ift des lebendigen
Gottes und feines Propheten ebenfo unwürdig, wie das
Zerrbild der babylon. Verhältnifse für einen zeitgenöffi-
fchen Hiftoriker unmöglich. Darum haben auch Gelehrte,
die feft auf dem Boden eines entfehiedenen Wunder- und
Weisfagungsglaubens ftehen, die Authentie des Buches
Dan. preisgegeben. Ein Blick in die neuefte Einleitungsliteratur
hätte den ,Bibelforfcher' hier belehren können.

Jena. B. Baentfch.

Bosse, Prof. Lic. Dr. Friedr., Prolegomena zu einer Geschichte
des Begriffes,Nachfolge Christi'. Berlin, G. Reimer,
1895. (VIII, 131 S. gr. 8.) M. 2. —

Der Verfaffer diefer Cremer gewidmeten Schrift erläutert
feinen Titel S. 4 als die Gefchichte des Gebrauches,
den die Gemeinde je und je vom Vorbilde Chrifti gemacht
hat, Gefchichte des Vorbildes Chrifti, Gefchichte
der praktifchen Chriftologie. Die Prolegomena follen
S. V nicht ein Beitrag zur neuteftamentlichen Theologie,
noch zur Ethik, fondern Vorbereitung einer hiftorifchen
Arbeit fein. Ich habe nicht ganz verftanden, ob der
Verf. wirklich nur eine Gefchichte des Begriffes N. Chr.
fchreiben, oder wie es nach S. 4 Rheinen könnte, die
Gefchichte des Inhaltes des Chriftusbildes darftellen will.
In den Prolegomena befchränkt er fich ganz darauf, nur
die formalen Begriffe Nachfolge und Nachahmung Jefu
i zu fixiren.

Mit den Grundgedanken des Verf.'s kann ich mich
im wefentlichen einverftanden erklären. Es find folgende:
Die moderne in der patriftifchen wurzelnde Auffaffung
von N. Chr. vermifcht imitatio Chrifti und Nachfolge.

I Auf dem Boden des N. T. findet fich Chriftus nicht als
abfolutes Vorbild hingeftellt. Er felbft illuftrirt die Forderungen
des Dienens (Syn.) und der Liebe (Jon.) nur
vereinzelt durch fein Beifpiel. Diefe Linie ift bei Pls (zu
den argumenta ex silentio hätte hinzugenommen werden
können, dafs fich Pls bei den Ausführungen über die
Ehelofigkeit nicht auf Chriftus bezieht), Job. Jac. Hebr.
Act. ap. innegehalten, in 1. Petr. nur fcheinbar verlaffen
(S. 39—78). Der Gedanke der Nachfolge Chrifti hat damit
nichts zu thun. N. Chr. ift eine Gnade (§ 6 der befte
des Buches), es heifst für die Zeit der evangelifchen
Gefchichte nichts, als räumlich in Jefu Gemeinfchaft
treten, vielleicht auch prägnanter (was dem Ref. nicht
einleuchtet): fich einen Antheil an der meffianifchen Hoffnung
fichern. In den Stellen, wo Nachfolge und Kreuz-
tragung nebeneinander ftehen, befteht nicht die N. im
Kreuztragen, fondern dies ift ein gefchichtlich bedingtes
Accidenz. Der Nachfolgebegriff verfchwindet in der
epiftolifchen Literatur, weil er an die räumliche Gegenwart
Jefu gebunden ift, und wird durch die Formel iv sei Qt'(i>,
isaatgoeftq, /i/azig erfetzt. Das fpätere Wiederaufleben
des Begriffes in der patriftifchen Zeit hat feinen Anhalt
in einem Mifsverftändnifs von Luc.9,57—62 und Joh. 21,19;
die Ineinsbildung von Nachfolge und Nachahmung des
Vorbildes und befonders die Auffaffung des Martyriums
als imitatio Christi hakt hinter Stellen, wie 1 Petr. 2, 21.
Hebr. 13, 12 f, und der paulinifchen Gedankenreihe der
Kreuzgemeinfchaft mit dem Herrn (S. 83—128). Dafs
die letzterwähnten Stellen wirklich einen Antheil an der
weitern Entwicklung haben, erfcheint dem Ref. mindeftens
unwahrfcheinlich.

Der Hauptmangel der Schrift ift, dafs Verf. fich nicht
wirklich bemüht hat, diefe Grundgedanken mit metho-
difcher Exegefe zu beweifen. Was er von Exegefe bietet,
zeigt vielmehr nur, dafs er die Gefetze hiftorifcher Schrift-

I auslegung nicht beherrfcht. Dafs die Erzählung Mth. 8,
19fr. ,dicht hinter der Bergrede' ihren Platz gefunden hat,