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Ausgabe:

1896 Nr. 9

Spalte:

234-237

Autor/Hrsg.:

Schultzen, Fr.

Titel/Untertitel:

Das Abendmahl im neuen Testament 1896

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 9.

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Sinne zu nehmen' (S. 66). O gefchähe das doch! Dann
gäbe es auch keine rabics theologorutn mehr, die fchon
foviel Unheil in der Welt angerichtet hat. Der zweite
Punkt, ,in welchem das Neue und das Alte Teftament
zum Theil unvereinbar einander gegenüberflehen', ifl die
Frage nach dem .wahren Gottesdienfl' (S. 68 — 98).
Jefus kennt nur einen Gottesdienfl, das ift das Opfer
eines reinen, unverfälfchten Herzens, weder Faden noch
Almofengeben (Luc. 18,9 ff.), noch fonft irgend ein äufseres
Werk können überhaupt als Gottesdienfl gelten' (S. 69).
Das war auch fchon die Lehre der Propheten; aber ,das
Gefetz galt mehr als die Propheten' (S. 69). Bei diefer
Gelegenheit giebt der Verf. einen fein ausgearbeiteten
Excurs über die Sonntagsfrage (S. 70—88), bei welchem
es ihm gelungen ift, den Bekenntnifsfreunden, die
für das Sabbathsgebot in puritanifchem Geilte fich ereifern
, jede freiere Auffaffung des A. T. aber als Be-
kenntnifsverletzung verurtheilen, zu zeigen, dafs,man auch
denSpiefs umdrehen könnte',dadie Bekenntnifse(S.80—83)
entfchieden auf der Seite einer freieren, echt evangelifchen
Auffaffung flehen. Wie fchön hat dochLuther das Sabbathsgebot
neuteltamentlich umgeprägt durch die Faffung, die
er ihm in feinen Katechismen gegeben hat: ,Du follft
den Feiertag heiligen!' Auf ihr liegt der Feierglanz des
Evangeliums und fo können auch wir Chriften es uns
gefallen laffen; denn die Sonntagsfeier nur auf das eine
Gebot der Liebe (S. 77. 85. 86) zurückzuführen, ift zwar
an und für fich richtig, aber für den Unterricht nicht
praktifch. Wir berühren noch den dritten Punkt, nämlich
die Lehre Jefu von dem Verhältnifse feiner eigenen
Perfon zu dem A. T. (S. 98—107). Was wollte Chriftus
nicht fein? ,Der Meffias Israels, wie er in den alttefta-
mentlichen Weisfagungen gefchildert ift und auf Grund
derfelben von Jefu Zeitgenoffen erwartet wurde' (S. 98).
Was wollte er aber fein? Wie M. den Ausgang von
der Erzählung Luc. 4, 16ff. genommen hat (S. I, 2), fo
kommt er (S. 103) auf diefe Erzählung und das darin angeführte
Wort Jef. 61, 1 zurück. Darnach wollte Chriftus, da
er fagt: ,Diefe Schrift ift heute erfüllt vor eueren Ohren',
der Knecht Gottes fein. Jefus ,— fieht in fich den Knecht
Gottes, von dem (auch) Luc. 4,16 ff. redet. Und wahrlich
mit Recht. Denn er ift der Mittler nicht blofs zwifchen
Israel und Gott, wie es der einzelne Prophet war, er ift
auch der Mittler zwifchen Gott und der ganzen Welt.
Anders als Israel hat er der Welt Sünde getragen. Er,
der Sohn, das grofse und unausfprechliche Wunder, er,
deffen Wort: wer kann mich einer Sünde zeihen? noch
heute nur mit einem „Niemand" zu beantworten ift, hat
die Sünde der Welt, Israels wie der Heiden, in vollem
Mafse getragen. Bei ihm kann nicht wie bei dem Knehte
Israel von einer Strafe eigener Schuld gefprochen werden.
So ertrug und duldete er die fremde Sünde, als wäre fie
feine Schuld (2. Kor. 5). Dadurch aber, . . . dafs er fein
Leben dahingab, „zum Opfer darbrachte", dadurch ward
er erft ganz der Welt Heiland, der Erlöfer ... Ja, es ift
wahr, diefer Jefus, den Gott dahingegeben hat, welchen
er darnach erweckt und zu fich genommen und zum
Erftling gemacht hat derer, die fchlafen (1. Kor. 15, 20),
er ift uns die volle Erfüllung des A. T. . . . Wo diefer
Jefus Herr und Meifter ift, da weichen die Schatten. Wo
er regiert, da herrfcht nicht das Gefetz, fondern da lebt
die Liebe, da heifst es nicht: ich mufs, fondern ich kann
nicht anders, die Liebe Chrifti dringet uns alfo (2. Kor
5, 14)' (S. 106 107). Wir fühlen es dem verehrten Verf.
ab, dafs auch ihn die Liebe Chrifti dringt, und dafs er,
den man ungläubig gefcholten, fein Heil allein in Chnlto
gefunden hat. Will M. auch nicht gelten laffen, dafs
Chriftus der Meffias Israels in herkömmlichem Sinne
gewefen fei, fo fieht er doch in ihm als ,Knecht Gottes'
das A. T. voll und ganz erfüllt, und das ift fchliefshch
die Hauptfache. Indem wir dies anerkennen, wollen wir
doch nicht mit unferer Meinung zurückhalten, dafs, wenn
auch von Jon. 4, 26 (nicht 27) abgefehen werden dürfte,

vor allem der feierliche Einzug in Jerufalem uns dafür
zu fprechen fcheint, dafs er fich für den Meffias Israels
gehalten, aber allerdings nicht im fleifchlichen, fondern
in dem hohen, geiftigen, idealen Sinne, der den Kern
folcher Weisfagungen bildet, wie fie fich bei den Propheten
finden. Meffias und Knecht Gottes widerfprechen
fich doch keineswegs. Als Meffias ift Chriftus der
Friedenskönig des Reiches des Friedens, als Knecht
Gottes der Prophet und Mittler des neuen Bundes, der
mit jenem, dem Reiche des Friedens, fich vollftändig deckt.

Der dritte Theil behandelt Jefu Stellung zum
A. T. nach der modernen Kritik (S. 109—143). Der
Verf. fagt darüber felbft im Vorworte (S. XXI): ,Der
dritte Theil fcheint fich dem Ganzen nur äufserlich anzuhängen
und feine Ueberfchrift nicht zu verdienen. Und
doch bietet er, glaube ich, den wefentlichen Abfchlufs
des Ganzen, da er zeigt, dafs Jefus das Ende der von
Mofes an beginnenden israelitifchen Gefchichte ift'. Das
thut er; aber allerdings eigentlich nur in feinem letzten
Abfchnitte, der ,die gefchichtliche Entwicklung der israelitifchen
Religion von Mofe beginnend mit Chrifto fchlie-
fsend' in grofsen Zügen anfchaulich darftellt (S. 134—143).
Die beiden vorhergehenden erörtern noch einmal im Zu-
fammenhange: 1. Die Unhaltbarkeit der Urgefchichte
(S. 109—119). 2. Die Unhaltbarkeit der Patriarchen-
gefchichte (S. 119—134). Sie geben M. Gelegenheit, fich
mit feinen Gegnern, namentlich mit Orelli, gründlich
auseinanderzufetzen. Die nähere Beurtheilung überlaffen
wir den Fachgelehrten. Wenn S. 116 gefagt wird: ,Man
hätte doch von dem Vater der Vermittlungstheologie,
Nitzfeh, lernen können, dafs man, ohne den Glauben zu
gefährden, die ftrenggefchichtliche Auffaffung von i.Mof.
2—3 aufgeben kann,' fo bekennt Ref. dankbar, das von
Nitzfeh und auch von Martenfen gelernt zu haben,
der in feiner ,Chriftlichen Dogmatik' lehrt: ,In der mo-
faifchen Erzählung des Sündenfalls (1. Mof. 3) haben wir
eine Einheit von Gefchichte und heiliger Symbolik, die
bildliche Darftellung einer wirklichen Thatfache' (S. 135).
Aehnlich denken wir auch über die Patriarchenzeit und
geliehen offen, dafs wir uns zu den Leuten ,von wohl-
gefinnter Seite' (S. 134) rechnen, die gern ,die Darftellung,
dafs Gott fich dem Abraham als allmächtiger Gott offenbart
hat, halten' möchten. Indeffen — auf Wünfche
kommt es nicht an. Der freien Wiffenfchaft mufs freie
Bahn gelaffen werden, und auch nach unlerer Auffaffung
ift ,ganz unhaltbar der Schlufs, die neuere Kritik ftürze
das Chriftenthum' (S. 143). ,Der Gott', fagt M. am Ende
feiner inhaltreichen Schrift, ,der den Trieb zur Wahrheit
in uns gepflanzt hat, ift auch der Gott der Liebe. Wiffen
und Glauben find nicht gegen einander. Wer aufrichtig
forfcht und mit reinem Sinn der Wahrheit nachftrebt,
kann kein Feind des Chriftenthums fein. Das Chriftenthum
, die evangelifche Kirche, hat gar keinen Grund,
fich vor der freien Wiffenfchaft zu fürchten. Vielmehr
erfahren wir auch hier wieder, dafs die Perfon und Lehre
Chrifti fo grofs und hoch ift, dafs noch keine Zeit fie
ausgefchöpft hat; fie erfcheint jeder Zeit wieder in neuem
Lichte. Mag da auch manche hergebrachte Meinung
hinfallen, mag das auch fchmerzen, bitter fchmerzem
wenn nur in allem der Wahrheit und mit ihr dem König
der Wahrheit die ihm gebührende Ehre gegeben wird,
(S. 143)'. So ift es, darauf kommt es an und nur darauf ';
Crefeld. p r. fay

Schultzen, Lic. Fr., Das Abendmahl im neuen Testament..

Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1895. (III, 112 S.

Sr- 8.) M. 2. —

In drei Capiteln (I. Der Wortlaut der Berichte, S.
5 — 19; II. Der Sinn der Feier, 19—99; HI- Die äufse'ren
UmftändederFeier99—110)unternimmt derVerf. dieUnter-
fuchung des von ihm behandelten Thema's. Der Schwerpunkt
der Ausführungen über den Wortlaut der Berichte