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Ausgabe:

1896

Spalte:

218-219

Autor/Hrsg.:

Jensen, Gustav

Titel/Untertitel:

Einführung in das geistliche Amt 1896

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 8.

218

läfst fich dann noch der idealiftifche Grundgedanke des
Verf.'s halten, dafs es eine falfche Auffaffung fei, wenn
wir alle dasjenige, was untere Sinnesempfindungen uns
kundgeben, nicht als ein urfprünglich Innerfeelifches,
fondern als Aufsenwelt im Sinne primärer Objectivität
betrachten? Denn gerade das Gefühl, auf welches in
diefem Zufammenhange idealiftifche und kriticiftifche
Philofophen, wie Kant, Fichte, Hegel und Schopenhauer
gar nicht reflectiren, giebt uns die Ueberzeugung davon,
dafs die Aufsenwelt einfchliefslich der anderen Menfchen
ebenfo real wirklich ift, wie unfer eigenes Ich. Dagegen
nur das künftlich ifolirte Denken kommt auf lkepti-
ciftifche und rein idealiftifche Erkenntnifstheorien und
auf gegenfätzlich gemeinte Unterfcheidungen, wie fub-
ftanziales und fecundäres (wirkliches) Sein, Erfcheinung
und Ding an fich, wenn man eben diefen Begriff nicht
mehr mit Kant als Grenzbegriff, fondern als conftitutive
Gröfse fafst. Doch gegen alle idealiftifche Weltanfchau-
ung gilt das Wort: Leicht bei einander wohnen die Gedanken
, doch hart im Räume ftofsen fich die Sachen.
Wenn aber die Wiffenfchaft nicht ein phantomartiges
Sonderdafein neben dem wirklichen Leben führen foll,
fo mufs fie nothwendig auch immer in erfter Linie die
nackten Thatfachen der objectiven Wirklichkeit in und
aufser uns als folche anerkennen. Und mit der Aufsenwelt
berühren wir uns eben nicht nur durch das Erkennen
, fondern auch durch das Fühlen und das Wollen,
d. h. durch alle unfere Seelenfunctionen, die alfo nicht
nur unter einander, fondern auch mit den Dingen aufser
uns in Wechfelwirkung ftehen. Sowie aber zugleich diefe
auch noch von dem Verf. fo genannten Seelenvermögen
ltets zufammenwirken, indem nur bald das eine, bald das
andere überwiegt, fo ift in ihnen die Seele nicht blofs
immanent, fondern fie geht auch völlig in ihnen auf, fo
dafs, wenn wir von ihnen abftrahiren, wir zugleich auch
von der Seele felblt abftrahiren müffen. Alfo in ihren
Functionen ift die Seele ganz enthalten, und abgefehen
von ihnen ift fie überhaupt fich ihrer felbft: nicht bewufst,
wie z. B. im traumlofen Schlafe. Denn die Seele ift
niemals nur als paffiv zu denken möglich, fondern ltets
als activ oder reactiv. Das ift nun zwar der pfycho-
logifche Entwurf, den der Verf. beftreitet, und ganz
ebenfo verhält es fich mit der von ihm abgelehnten Er-
kenntnifstheorie, die mit jenem völlig parallel geht. Denn
wie die Seele fo faffen wir auch alle anderen Gröfsen
in der Welt, auch die Gröfsen des Glaubens, als den einheitlichen
Complex ihrer Wirkungen auf. Das befagt
aucti nur unfer Begriff Ding, an dem der Verf. in der
Anwendung auf Gott Anftofs nimmt. Aber diefer Begriff
ift dabei nur im allgemeinften Sinne, sensu neutro gemeint,
er befagt nichts anderes als Ausdrücke, wie ens, Gröfse
oder auch Werth u. dgl. Denn Unterfchiede ergeben
fich erft aus den verfchiedenen Wirkungen der ihrer Art
nach verfchiedenen Gröfsen in der Welt. So aber fällt
für uns auch die Frage nach dem Dafs mit der nach
dem Was der Dinge zufammen. Dies alles wird zwar
der Verf. nicht zugeben, da feine Denkgewohnheiten aus
einer anderen Epoche der geiftigen Bildung herftammen,
und man kann es ihm felbftverftändlich nicht verdenken,
dafs er bei leiner Art und Weife bleibt. Aber anderer-
feits kann auch er gerechter Weife es uns nicht verdenken
, dafs wir ihm nicht darin zu folgen vermögen,
wenn er das Ich, die Vernunft, die natürliche Gottes-
anfchauung, die f. g. Seelenvermögen und die Sinnesempfindungen
wie Schichten des Seelenlebens über und
neben einander gelagert fein läfst. Es find das Con-
ftructionen, die für ihn gewifs einen tiefen und befriedigenden
Sinn haben und ihm daher als die Wahrheit
gelten. Aber uns erfcheint diefer Aufbau zu complicirt
und zu künftlich und nicht als eine zutreffende Wiedergabe
des vorhandenen Thatbeftandes. Uebrigens halte
ich es überhaupt für undurchführbar, eine befriedigende ;
Erkenntnifstheorie aus wenigen Elementen des Bewufst- i

feins, d. h. aus von vornherein vorausgefetzten Allgemeinbegriffen
, und aus gelegentlichen Beobachtungen a priori
zu conftruiren, ftatt fie nachträglich aus bereits geleifteter
Arbeit in irgend einem Erkenntnifsgebiete zu abftrahiren.
Darüber habe ich mich kürzlich bei anderer Gelegenheit
eingehender ausgefprochen *).

Bonn. O. Ritfchl.

Jenseh, Paft. theol. Sem.-Lehr. Guft., Einführung in das
geistliche Amt. Leipzig, Jansfen, 1895. (VII, 134 S.
gr. 8.) M. 1. 50

Eine Gabe aus der Theologie und der Kirche Norwegens
wird uns in dem Büchlein dargereicht. Guftaf
Dalman fpricht in dem Vorwort von den wunderfamen
Untertönen des altnorwegifchen Saiteninftrumentes, die
den Grundton evangelifch-lutherifchen Glaubens begleiten.
In mehr als einer Hinficht eigenthümlich muthet den Lefer
allerdings das Buch an. Der Gegenftand wird in 7 Ab-
fchnitten behandelt: das heilige Amt (lammt vom Herrn

— die Herrlichkeit und Verantwortlichkeit des heiligen
Amtes — die berufenen Diener — der priefterliche Wandel

— der ritterliche Kampf — Gottes Gemeinde meine
Gemeinde — das Werk des Amtes. Jeder diefer Abfchnitte
wird in 6, nur der dritte in 7 Untertheilen (zufammen 43)
gegliedert; an der Spitze jedes Untertheils flehen ein oder
auch zwei Schriftworte, an die jedesmal ein oder auch
zwei meift fehr lange, aber auch fehr andachtsvolle Gebete
angefchloffen werden; auf das Gebet, bezw. die
Gebete, folgt eine praktifche Erklärung der voran-
ftehenden Schriftworte. Die Gebete find meiftens an
Jefus Chriftus gerichtet; der Betende ift der im Amte
flehende Pfarrer, mitunter der vor dem Amtsantritt
flehende Candidat, mitunter auch der Verfaffer. Der
Inhalt der praktifchen Erklärung fetzt mit wenigen Ausnahmen
den amtirenden Pfarrer voraus, fo dafs fowohl
durch die Erklärungen als auch durch die Gebete und
die gewählten Schriftworte der Titel: .Einführung in
das geiftliche Amt' wenig gerechtfertigt wird. DieOekono-
mie der einzelnen Abfchnitte ift nicht einwandsfrei; die
Schriftworte können doch nicht wohl den Stoff für die
Gebete hergeben, bevor fie in ihrer Bedeutung und Tragweite
erörtert find; es kann fomit kaum vermieden werden,
dafs wir in den Erklärungen in anderem Wortlaut die-
felben Gedanken wiederfinden, die kurz zuvor in den
Gebeten ausgefprochen find. Auch inhaltlich kann ich
im Blick auf die 3 erften Abfchnitte das Bedenken nicht
verfchweigen, dafs das Beftreben, die Herrlichkeit und
Verantwortlichheit des geiftlichen Amtes mit lebhaften
Farben zu malen, den Verfaffer dahin geführt hat, das
geiftliche Amt zu der unevangelifchen Höhe des Heilsmittlerthums
hinaufzufchrauben und feine Thätigkeit als
,ein väterliches Wirken Kindern gegenüber' zu be-
fchreiben; altteftamentliche Ausfprüche über Priefter und
Propheten, Worte des Chryfoftomus, die priefterlicb.es
Heilsmittlerthum vorausfetzen, werden ohne weiteres auf
die Träger des geiftlichen Amtes angewendet.

Die Beanftandungen würde ich nicht fo ausführlich
mittheilen, wenn mir trotz ihrer das Buch nicht lieb geworden
wäre und wirklich werthvoll erfchiene. Etwa
von der Mitte an verfchwindet jeder Anftofs; es ift, als
ob dem Verfaffer felbft wohl ums Herz würde, die Erörterungen
über das geiftliche Amt hinter fich zu haben.
Aus einem reichen Schatze der Erfahrung, befonders
pfychologifcher Art, redet er in ungezwungener Sprache
und weifs goldene Worte über das innere Leben des
rechten Predigers, über das Verhältnifs des gepredigten
Wortes zu dem eigenen Wandel, über die Beurtheilung
der Gemeinde und jedes einzelnen Gliedes, über feel-
forgerliche Pflichten u. f. w. darzubieten, wie man fie

1) Vgl. Albrecht Ritfchl's Leben. Bd. 2. 1896 S 182—18»
390—392. " ■> 10/-