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Ausgabe:

1896 Nr. 7

Spalte:

194-195

Autor/Hrsg.:

Tümpel, W.

Titel/Untertitel:

Geschichte des evangelischen Kirchengesanges im Herzogthum Gotha. II. Thl 1896

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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'93

Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 7.

194

Bettex, F., Naturstudium und Christentum. Bielefeld, Vel-
hagen & Klafing, 1896. (323 S. 8.) Geb. M. 4. —

Das vorliegende Buch ift recht feffelnd und ge-
fchickt gefchrieben. Es verfolgt, foviel ich fehe, einen I
doppelten Zweck. Denn wenn auch der Verf. im Vor- 1
wort nur fagt, ,er wolle den von dem angeblichen Ge-
genfatz zwifchen Natur und Offenbarung, Wiffenfchaft
und Glauben erfchütterten, unficher und ängftlich gemachten
chriftlich Gefinnten unter den Gebildeten zurufen
: erfchrecket nicht', fo wird fein Buch doch je länger
je mehr zu einer kraftvollen Polemik gegen den Materialismus
. Beides fchliefst fich ja auch nicht aus, fondern
ergänzt fich, und fo (teilt fich uns die Leiftung des
Verf.'s als eine ftetig fortfchreitende und wohlabgerundete
Vertheidigung der chriftlichen VVeltanfchauung dar. Vor
den meiften Apologien des Chriftenthums aber zeichnet
fich das Buch dadurch aus, dafs alles kleinliche Markten
und Compromittiren um einzelne ftreitige Pofitionen fehlt.
Es ift im grofsen Stil gefchrieben, und ein grofser Zug
glaubensmuthiger Begeifterung durchglüht das Ganze.
Zwar leiftet auch der phantafiereiche Verf. in der Har-
moniftik Grofses. Das hängt mit feiner Auffaffung des
Chriftenthums zufammen, von der noch zu reden fein
wird. Aber er ift im Unterfchiede von anderen Apologeten
mit der Naturwiffenfchaft, mit der er fich nach
feiner Angabe in der Vorrede bald 40 Jahre befchäftigt
hat, zu gut vertraut, um irgend welche Angft vor ihren
Folgerungen zu haben. Und wenn man auch mit feinen
Anflehten vom Chriftenthum felbft nicht übereinftimmt,
fo mufs es doch in jedem Falle wohlthuend berühren,
einmal eine moderne Apologie kennen zu lernen, welche
nicht aus lauter Conceffionen, die doch gleich wieder
zurückgenommen werden, befteht, fondern den Gegner
mit vielfeitigen Kenntnifsen und fcharfer Dialektik hart
in die Enge treibt.

Der Standpunkt des Verf.'s ift ein naiver Bibelglaube
mit theofophifcher Färbung. Ihm enthält die heilige
Schrift nicht nur in religiöfer Hinficht, fondern auch in
allen gefchichtlichen und naturwiffenfehaftlichen Angaben
die volle Wahrheit. So fleht ihm die ,Wiffenfchaft des
Glaubens' de* .Wiffenfchaft des Unglaubens' gegenüber.
Er fieht fehr richtig, dafs die f. g. naturwiffenfehaftliche
VVeltanfchauung felbft nur eine Ueberzeugung religiöfer
oder vielmehr irreligiöfer Art ift, und dafs andererfeits
Wiffenfchaft und Chriftenthum fich durchaus nicht aus-
fchliefsen, fondern fehr wohl in derfelben Perfon mit
einander verbunden fein können und in vielen Fällen
thatfächlich verbunden gewefen find. Aber zum Wefen
des Chriftenthums gehören nach feiner Meinung nicht nur
die eigentlich religiöfen Ueberzeugungen, fondern eben
alle in der heiligen Schrift enthaltenen Annahmen und
Ueberlieferungen. Da mufs er denn felbftverftändlich har-
monifiren, und er thut es nicht ohne Gewandtheit. Seine
lebendige und begeifterte Darfteilung gleitet mit Leichtigkeit
über die meiften Probleme hinweg. Allerdings über
die Wunderfrage hat er fich eingehender geäufsert (S.
155 fr.), und was er hier im Allgemeinen vorbringt, ift
recht beachtenswert!). Aber damit ift doch noch nicht
eben viel gewonnen. Denn die eigentliche Schwierigkeit
beginnt erft bei der Frage nach der Thatfächlichkeit
jedes einzelnen befonderen Wunders, von dem die
biblifche Ueberlieferung berichtet. Aber da verfagt nun
der Forfcherfinn des Verf.'s. Der Grund dafür liegt darin,
dafs, fo bewandert er in den Naturwiffenfchaften ift, ihm
doch, trotz mancher gefchichtlicher Kenntnifse, die
eigentliche hiftorifche Bildung fehlt. Die Schwierigkeiten
fcheint er noch nie empfunden zu haben, welche dem
Hiftoriker abweichende Parallelberichte der Bibel über
denfelben Vorgang und andere Discrepanzen der bibli-
fchen Ueberlieferung bereiten. Sondern er fpricht mit
derfelben Sicherheit fein Urtheil über gefchichtswiffen-
fchaftliche Fragen, von denen er augenscheinlich nichts

verfteht, wie über naturwiffenfehaftliche, mit denen er
fich gründlich befchäftigt hat. Denn was er über jene
Fragen, allerdings nur beiläufig, vorbringt, ift fo unglaublich
fchwach, dafs man es eigentlich nur mit Mühe ernft
nehmen kann. Er meint: ,Etwas Kritik, mafsvoll und
unparteiifch gehalten, mag fchon gut fein, wenn gleich
das Wahre fich von jeher auch ohne Kritik dadurch
legitimirt, dafs es währt und fich bewährt. Aber heutzutage
artet die Kritik und insbefondere die Bibelkritik
vielfach in eine fo tendentiöfe und einfeitige Negation
aus, dafs es immer nöthiger wird, fich hier fkeptifch
und gegen diefe Kritik kritifch zu verhalten' (S. 233 f.).
Aber wo ift denn die Grenze zwifchen der dem Verf.
zuläffig und der ihm unzuläffig erfcheinenden Kritik?
Darüber fucht man in feinen Auslaffungen vergebli ch
nach Auffchlufs. Vielmehr vergegenwärtigt er uns einige
extreme kritifche Anfchauungen und perfifflirt fie, indem
er auszuführen verfucht, wie man etwa im Jahre 3000
Goethe und Bismarck als mythifche Figuren auffaffen
könnte. Solche Polemik ift allerdings bequem und billig
genug. Aber Fechterftreiche diefer Art treffen nur die
Luft oder höchftens Windmühlen. Die kritifche Ge-
fchichtsforfchung ift eine viel zu ernfte und wichtige
Sache, um in einer fo leichtfertigen Weife wie vom Verf.
fummarifch und kurzerhand abgethan werden zu können.
Schade, dafs der Verf. in diefem Punkt feine Grenzen
nicht kennt. Aber gut für fein Buch, dafs er fich auf
diefe F'ragen doch nur nebenher eingelaffen hat, und
dafs fich im Ganzen feine Polemik gegen den Materialismus
concentrirt. Hätte er in der pedantifch voll-
ftändigen Art und Weife vieler Apologetiken aus diefem
Jahrhundert alle von (einem theofophifchen Standpunkt
abweichenden Richtungen Revue paffiren laffen, fo würde
er gewifs noch viel mehr über die Schnur gehauen und
den Eindruck nur haben abfehwächen können den nun
fein Buch auch bei den ihm anhaftenden Mangeln zu
erwecken im Stande ift.

Bonn. O. Ritfchl.

Tümpel, Pfr. W., Geschichte des evangelischen Kirchengesanges
im Herzogthum Gotha. II. Thl. Die Gothaifchen
Kirchenlieddichter. Gotha, Schloefsmann, [895. (VI,
83 S. gr. 8.) M. 1. 60

Der erfte Theil diefes Werkes, der die Gefchichte
der Gothaifchen Gefangbücher enthält, ift in Th. Lit.-Ztg.
1889 Nr. 21 zur Anzeige gebracht. Vorliegender zweiter
Theil enthält Nachrichten über die im Herzogthum Gotha
geborenen Kirchenliederdichter. Der Herr Verfaffer hat
aufser älterer und neuerer Literatur und den Lieder-
fammlungen auch die Berichte benutzt, die aus den
Pfarrarchiven des Herzogthums ihm erreichbar waren.
Obgleich fein Werk eine locale Tendenz hat, nämlich
durch Mittheilung alter Schätze Anregung zu geben, dafs
diefe in einem zu erwartenden neuen Gothaer Gefangbuch
verwerthet werden, erhebt fich doch die forg-
fältige und fleifsige Arbeit über den localen Werth, fie
hat allgemein hymnologifche Bedeutung. Unter den
31 Liederdichtern, die nach der ,Ueberficht des Ent-
wickelungsganges des evangelifchen Kirchenliedes', die
A. Fifcher in feiner Bearbeitung von v. Bunfen's Allgem.
evangel. Gefang- und Gebetbuch 1881 S. 705—740 gegeben
hat, geordnet find, finden wir allerdings eine nicht
geringe Anzahl, deren Namen und Lieder längft ver-
fGhollen find; andere dagegen — es feien nur J. Schneefing
, J. M. Meyfart, Cyr. Günther, L. A. Gotter, J. Euf.
Schmidt genannt —, denen zu begegnen Freude ift.
Dankbar wird es auch aufgenommen werden, dafs 20
Lieder, unter ihnen das erhabene: ,Jerufalem, du hoch-
I gebaute Stadt' mit feinen erbaulichen Zwifchenfätzen,
im Originaltext mitgetheilt find. Im Uebrigen ift die
Arbeit biographifcher und bibliographifcher Art. Das