Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1895

Spalte:

138-139

Autor/Hrsg.:

Cigoi, Aloys

Titel/Untertitel:

Die Unauflösbarkeit der christlichen Ehe und die Ehescheidung nach Schrift und Tradition. Eine historisch-kritische Erörterung von der apostolischen Zeit bis auf die Gegenwart 1895

Rezensent:

Köhler, Karl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

138

drei Artikel des apoftolifchen Glaubensbekenntnifses ein.
Unter diefen bietet die Erklärung des zweiten jedem
Katecheten den reichften Stoff dar, deffen Befprechung
mit den Kindern eine wahre Herzensfreude ift. Aus
diefer Erfahrung find ohne Zweifel auch die vorliegenden
katechetifchen Unterredungen hervorgegangen, die grofses
Lehrgefchick bekunden. Greifen wir nur eine Stelle
heraus! Als Thema wird, nachdem vorher über die
Gottheit Chrifti gefprochen ift, behandelt: Chriftus ift
wahrhaftiger Menfch (S. 31). Da heifst es u. A.
„—Weiter! Er hatte nicht nur menfchliche Bedürfnifse, er
empfand auch innerlich, wie ein Menfch. Wie wurde
ihm zu Muthe, wenn er einen Kranken, Elenden fah?
Es jammerte ihn. Wie heifst es von ihm, als er das Volk

fah, das fleh ZU ihm drängte? Es jammerte ihn, denn fie
waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Was empfindet er

alfo beim Anblicke der Armen, Kranken und Elenden?
Mitleid. Das Mitleid fitzt im Herzen, es ift eine Bewegung
des Gemüthes, eine Gemüthsbewegung. Ebenfo
find Freude, Unwillen, Traurigkeit Zuftände unferes
Herzens, unferer Seele, die fich im Gefichte des Menfchen
wiederfpiegeln. — Wo finden wir den Herrn theil-
nehmend an der Freude feiner Mitmenfchen? Hochzeit
zu Kana .... Wo finden wir ihn traurig? Er weint am
Grabe des Lazarus, er weint über die Stadt Jerufalem. Aus allem
diefem erfehen wir, dafs er befchaffen war wie ein
anderer Menfch. Wiederhole: Chriftus ift wahrer Menfch;
denn er hatte auch menfchliche Empfindungen und
G emüthsbew egungen (Gefühle). Sein ganzes Leben
alfo zeigt uns deutlich, dafs er Menfch war; feine Geburt
, fein Wandel und — fein Ende! Wie fo auch fein
Ende? Er ift geftorben wie ein Menfch; — denn — : Da er
das gefagt hatte, verf chied er. (Und welche Schmerzen
hat ihm der Tod bereitet! Sorge beim Anblick der
Mutter. ,Mein Gott, mein Gott, warum haft Du mich
verlaffen?') Wiederhole: Er ift auch geftorben wie
ein Menfch. Und fchliefslich fagt uns die heilige
Schrift noch bündig, mit klarem Worte: dafs er Menfch
gewefen, denn fie nennt ihn geradezu ,Menfch'. Lies
I. Tim. 2, 5! Es ift ein Gott — der Menfch Chriftus Jefus. Wiederhole
: ,Die heilige Schrift nennt den Herrn Jefus
feibft ,Menfch' (S. 33). Ja, das thut fie allerdings;
aber fie nennt ihn nicht, wie auf S. 88 unter Berufung
gerade auf diefe Stelle behauptet wird: Gottmenfch.
Diefe Bezeichnung ift bekanntlich erft bei den Kirchenvätern
zu finden und kommt felbft bei diefen nur
,fporadifch' vor, um mich eines Ausdrucks von Ebrard,
eines gewifs unverfänglichen Zeugen, zu bedienen (Herzog
, R. E. VI, S. 597. 1. Auflage). Zudem ift gottmenfch
' nicht dasfelbe wie ,Mittler', da Gal. 3,20 auch
Mofes Mittler genannt wird. An diefe fchliefsen wir
noch einige andere Bemerkungen. Es mag hingehen,
dafs S. 12 von ,verfchiedenen Secten', die ,dem Herrn
das Leben fchwer machten', die Rede ift, weil Luther
Apg- 5, 17. 15, 5. 26, 5 das von Pharifäern und Sad-
ducäern gebrauchte Wort a'tQSOie fo überfet/.t hat,
beffer wäre es, den Kindern klar zu machen, dafs es
Parteien waren'. Wenn es aber S. 15 heifst: .Schildere
den Johannes in feiner äufseren Lebensweife! Seine
Wohnung! _ Seine Schlafftätte! — Seine Kleidung! —
Seine Speife!' fo ift das den Schülern zu viel zugemuthet.
Sie kennen wohl feinen Aufenthaltsort, feine Kleidung
und feine Speife, nicht aber Wohnung und Schlafftätte(!),
wovon die Evangelien nichts melden. S. 18 wird beiläufig
Luther's Wort angeführt: ,Hier ftehe ich, ich kann
nicht anders'. Nachdem durch die von Dommer auf der
Hamburger Stadtbibliothek entdeckten Lutherdrucke
(vgl. diefe Zeitung 1888 Nr. 18 Sp. 454) feftfteht,
dafs, wie Köftlin fchon richtig vermuthet hatte (Martin
Luther. I, 452. 3. Auflage), das Bekenntnifs lautete: ,Ich
kann nickt änderst, hie stehe ich, Gott helf mir, Amaid.
fo wird es Pflicht, es in diefer Form zu citirer. S. 25
wird gefragt: ,Von welchem Worte ift das Wort „Heiland'1

j abgeleitet? Von Heil. Das ift unrichtig. Heiland kommt
von heilen, ,deffen altes Part, des Präfens' das Wort ift
(Weigand, Deutfehes Wörterbuch I, S. 785). S. 83 lefen
wir: ,Man bricht ihm nach der Sitte die Beine'. Joh.
19, 33 wird uns das Gegentheil berichtet.

Der Standpunkt des Verf. ift der fchlichter, kirchlicher
und zwar lutherifcher Rechtgläubigkeit. Da fie
getragen ift von warmer religiöfer Empfindung und begleitet
wird von fichtlichem Verftändnifs des kindlichen
Gemüthes, fo haben wir nichts dagegen einzuwenden,
wünfehen vielmehr, dafs diefe Unterredungen über den
zweiten Artikel von Geiftlichen und Lehrern recht fleifsig
benutzt werden mögen. Die äufsere Ausftattung ift, wie
wir es an Teubner's Verlag gewöhnt find, fehr hübfeh.

Crefeld. F. R. Fay.

Cigoi, Prof. Dr. Aloys, O. S. B., Die Unauflösbarkeit der
christlichen Ehe und die Ehescheidung nach Schrift und
Tradition. Eine hiftorifch-kritifche Erörterung von der
apoftolifchen Zeit bis auf die Gegenwart. Hrsg. unter
dem Protektorat der Leo-Gefellfchaft. Paderborn,
F. Schöningh, 1895. (XVI, 248 S. gr. 8.) M. 5. 60

Die inhaltvolle kirchliche Literatur über die Unauflösbarkeit
der Ehe und die Ehefcheidung feit der älteften
Zeit wird von dem Verfaffer mit grofser Vollftändigkeit
und beftändiger Zurückweifung auf die Quellen wieder-

j gegeben. E:fichtlich ift das vorherrfchende Bewufstfein
der Kirche feit Anbeginn der Unauflösbarkeit der Ehe
und daher der Unmöglichkeit einer Wiederverheirathung
gefchie dener Ehegatten, wie folche durch das Concil von
Trient in der römifchen Kirche zum Kirchengefetz wurden,
geneigt gewefen. Doch hat die Entwickelung der Tradition
nicht den geradlinigen und widerfpruchslofen Verlauf
genommen, wie man nach der Auffaffung des Verf.
annehmen follte. Es hat nicht an Momenten gefehlt,
wo nach des Verf. eigenem Ausdruck (S. 147) die Tradition
getrübt war, auch nicht an hoch angefehenen
Trägern derfelben, deren Ausfprüche zum Theil nur
durch recht gezwungene Deutung mit den kirchengefetz-

1 liehen Forderungen in Einklang zu bringen find (S. 164 ff.
123 ff. u. ö.). In der Kirche des fränkifchen Reichs und
bei den Angelfachfen war die Ehefcheidung mit dem
Recht der Wiederverheirathung für die Gefchiedenen noch
im achten Jahrhundert in Geltung, in der griechifchen
Kirche blieb die Unauflöslichkeit der Ehen ftets be-
ftritten. Entfcheidend für den Sieg der römifchen Auffaffung
im Abendland war die Autorität des Auguftin,
indem er die Unauflösbarkeit der Ehe auf die Eigen-
fchaft derfelben als Sacrament und den dem Sacrament
eignenden character indelebilis gründete (S. 56). Hier
liegt der principielle Kern des Satzes; auffallend genug
hat der Verf. denfelben bei feinen weiteren Erörterungen
ganz unberührt gelaffen. Dafs der Tridentinifche Kanon
über die Ehefcheidung (Sess. XXIV, can. 5. 7) dogmatischen
, nicht blofs diseiplinaren Charakters ift, vvird

| von dem Verfaffer u. E. mit vollem Recht behauptet.

| Die entgegenflehende Auffaffung, welche von freier ge-
finnten römifchen Theoigen, als es deren noch gab, öfters
in der wohlmeinenden Tendenz auf eine Ausgleichung
mit der modernen Staatsgefetzgebung verfochten worden
ift, darf jetzt als überwunden angefehen werden. In
einigen Sätzen auf S. 148 wird der Umftand, dafs die
Reformatoren den päpftlichen Ehefcheidungsgefetzen
widerfprochen haben, kurz erwähnt; was darüber vor-

j kommt, ift ungenügend. Weiter unten (S. 154ff.) findet
fich eine eingehendere Auseinanderfetzung mit den luthe-
rifchen Theologen M. Chemnitz und Joh. Gerhard und
ihrer Bekämpfung des Tridentinifchen Concils. Das Wefen
des Gegenfatzes wird nicht getroffen, daher eine überzeugende
Widerlegung nicht erreicht.

Bekannt find die Schwierigkeiten, welche durch die