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Ausgabe: | 1895 Nr. 4 |
Spalte: | 112-114 |
Autor/Hrsg.: | Eibach, R. |
Titel/Untertitel: | Kritisch angefochtene Predigttexte und ihre homiletische Behandlung. 2. erweit. Aufl 1895 |
Rezensent: | Bassermann, Heinrich |
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III
Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 4.
112
Scheie hl, Prof. Dr. Frz., Glaubensflüchtlinge aus Spanien 1
mit den Niederlanden, Italien und Frankreich feit dem j
Jahre 1500. Eine culturgefchichtliche Abhandlung. !
Linz, Städtebilderverlag, 1894. (59 S. 8.) M. —.75
Die vorliegende Abhandlung ift eine kurze gedrängte
Ueberficht über die Auswanderungen, welche die religiöfen
Verfolgungen in den Ländern der romanifchen Zunge
(die Niederlande mit eingefchloffen) feit dem J. 1500 in
fo grofser Anzahl hervorriefen. Da in diefen Ländern
der Katholicismus über die Reformation fiegte (aufser in
Holland), fo find es mit Ausnahme der Mauren in Spanien,
deren Lage im erften Abfchnitt befprochen wird, nur
Proteftanten, deren Verfolgungen hier befchrieben werden.
Der Veifaffer hat nach guten Quellen gearbeitet und
eine recht vollfländige Zufammenflellung gegeben; fein
Hauptintereffe liegt aber nicht auf dem religiöfen Momente,
fondern auf dem gewerblichen, ftatiftifchen und national-
ökonomifchen; die verfchiednen Gewerbe und Künfte,
welche die Refugies mitbrachten, die Orte, wo fie herkamen
und befonders wo fie fich niederliefsen, werden
kurz aber vollftändig aufgeführt und fo giebt die Schrift
eine genügende Orientirung über diefe merkwürdige Ver-
fchiebung der Gewerbsthätigkeit und ihre Folgen. —
Mit einigen Angaben kann Ref. fich nicht einveritanden
erklären. Der Satz S. 20 .Venedig drohte unter der
Führung von Fra Paolo Sarpi gänzlich zum Proteftantis-
mus überzutreten' ift mindeftens gewagt; ebenfo ift der
Satz S. 24: .Hugenotten und Katholiken fchwebte in
Frankreich nur ein Ziel vor Augen: gänzliche Vernichtung
des Gegners' nicht richtig; im J. 1637 zählte !
der Proteftantismus in Frankreich noch 626 Kirchen mit
80 Filialen, fo dafs die Zahl 500 im J. 1611 (S. 30) zu
gering ift; in Neu-Bärenthal in Württemberg (S. 23) haben
fich neben Waldenfern auch aus Hohenzollern vertriebene
Evangelifche angefiedelt.
Stuttgart. Theodor Schott.
Dahle, Paft. Miff.-Sekr. L., Das Leben nach dem Tode
und die Zukunft des Reiches Gottes. Autorif. deutfehe
Ausg. von P. O. Gleifs. Leipzig, F. Richter, 1895.
(VI, 423 S. 8.) M. 3.50; geb. M. 4.50
Vorliegendes Buch, das mit einer Empfehlung des
norwegifchen Bifchofs J. C. Heuch in die Welt hinausgegangen
ift, gehört zu den liebenswürdigen Erzeug-
nifsen der eschatologifchen Literatur. Der Verf. ift
mafsvoll, anfpruchslos und ioweit nüchtern und be-
fonnen, als es fich überhaupt mit der Vertretung feiner
Anfchauungen verträgt. Deren Grundlage ift ein naiver
Bibelglaube, der in Beziehung auf die letzten Dinge
mit Hülfe umfangreicher, wenn auch einfeitiger Kennt-
nifse entwickelt wird. Seine fefte Ueberzeugung von
dem, was er mit diefen Mitteln erreicht, wird man
weder dem Verf., noch denjenigen, denen er fie mit-
zutheilen im Stande ift, mifsgönnen wollen. Da aber
jeder, der vielmehr der Anficht ift, dafs die heilige
Schrift richtig nur nach gefchichtswiffenfchaftlicher Methode
verftanden werden kann, die Beftrebungen des
Verf. zum guten Theil für Anachronismen halten wird,
fo werden auch die Lefer der Theol. L.-Z. gewifs nicht
ungehalten fein, wenn ich mich auf diefe kurze Charak-
teriftik des vorliegenden Buches befchränke.
Bonn. 0. Ritfchl.
Kühn, Vict., Kurze Darstellung und Kritik der praktischen
Ideen Herbarts vom Standpunkt religiöser Heteronomie.
Diff. Leipzig, Fock, 1894. (VIII, 69 S. gr. 8.) M. 1. 80
Diefe Arbeit ift die Doctor-Differtation eines jungen
Theologen, welchem es fchon durch die Anregungen
feiner Schulzeit klar wurde, ,dafs Studium und Leben
| des Theologen ohne philofophifche und befonders ethifche
Durchbildung nicht leicht die rechten Früchte bringen
kann'. Zuerft gelegentlich der Bewerbung um das Drobifch-
Stipendium derLeipziger philof.Facultät eingereicht,wurde
fie darauf noch mehrere Male ernftlich durchgearbeitet.
So ift denn in ihr ein bedeutendes und umfaffendes
Material zur felbftändigen Verarbeitung gekommen, neben
Herbart's Werken auch die Werke feiner Schule und ein
grofser Theil der Kritik und Antikritik. Daher wird die
Schrift denjenigen von wirklichem Nutzen fein, welche
fich über das Thema derfelben in Kürze zu unterrichten
wünfehen.
Die Darfteilung der praktifchen Ideen Herbart's felbft
S. 3—13 ift freilich nur knapp und kurz; die nachfolgende
Kritik des Verfaffers aber, welche I) das Princip mit feinen
unmittelbaren Confequenzen S. 14—41 und II) die
einzelnen Ideen S. 41—67 erörtert, ift verhältnifsmäfsig
ausführlich gehalten. Was der Verf. fagt, ift umfichtig,
gefund und klar und fo auch fein Ergebnifs. Ich ftimme
ihm darin bei, dafs die wahre Theologie hier durchaus
nicht einen äufserft werthvollen Hebel zur Begründung
und Aneignung des Sittlichen gefunden habe, und ebenfo
in der einfichtigen Würdigung von Herbart's Perfönlich-
keit. Nur meine ich, falls der Verfaffer, wie zu hoffen
und zu vermuthen fleht, feine philofophifchen Studien
weiter ausdehnt, werde er Herbart und feine Wirkfamkeit
aus der Gefammtbewegung des Zeitgeiftes, aus der fie
hervorging, einft als hiftorifche Erfcheinung, ich möchte
fagen: concreter würdigen lernen. Gewifs war Herbart's
die Probleme ifolirender Scharffinn für einen jungen
Mann eine gute Denkfchule; H.'s Mangel hat den Verfaffer
kräftig zur felbftbewufsten Ergänzung desfelben
anreizen müffen. Eine abfolute Betrachtung aber, wie er
fie hier vorlegt, welche ein Gedankenfyftem, und nun gar
einen Zweig eines folchen, für fich ifolirt, behält immer
etwas Abftractes und Mifsliches, den Charakter einer
Vorübung.
Kiel. Guftav Glogau.
Eibach, Pfr, R., Kritisch angefochtene Predigttexte und ihre
homiletische Behandlung. 2. erweit. Aufl. Berlin, Reuther
& Reichard, 1895. (V, 90 S. 8.) M. 1. 50
Es ift ein guter Gedanke, den praktifchen Geiftlichen
Texte, die von der hiftorifchen Kritik — denn um diefe
handelt es fich — angefochten d. h. in ihrer Gefchicht-
lichkeit angezweifelt find, in homiletifcher Behandlung
darzubieten, zum Zeugnifs, dafs auch die Kritik pofitiv
aufbauend zu wirken im Stande fei. Zwar theile ich
keineswegs den fehr weitgehenden Optimismus Eibach's,
der da meint (S. 4), dafs die Zeiten vorüber feien, in
denen man von Seiten der Kirchenregimente die kritifche
Ueberzeugung der Geiftlichen zu unterdrücken verfuche,
und der geneigt ift, etwa noch vorkommende Beifpiele
des Gegentheils für ,Nachklänge einer thatfächlich überwundenen
Periode' zu halten; mir fcheint viel eher fich
der Conflict in unferen Tagen mehr als früher zu ver-
fchärfen. Auch kann ich durchaus nicht zugeben, dafs,
wie der Verf. zu meinen fcheint (S. 5), erft jetzt, nämlich
feit dem Auftreten der Ritfchl'fchen Schule, das
theologifche Studium auf den Univerfitäten begeiftert
und begeifternd betrieben und dadurch pofitive Arbeit
hervorgerufen werde, welcher die Kritik nicht hinderlich
fein könne. Der Verf. fcheint da ganz andere Erinnerungsdata
zu befitzen als z. B. ich fie von Männern wie
Hafe, L. J. Rückert, Biedermann, Keim davongetragen
habe. Ein etwas weiterer Blick würde hierin zu einem
gerechteren Urtheile geführt haben. Wohl aber ift richtig,
dafs heute der kritifche Geift in der Pfarrerwelt weit
mehr verbreitet ift wie früher, und infofern das Problem
von einer weit gröfseren Anzahl in feiner Wichtigkeit
und Schwierigkeit empfunden wird als noch vor Jahrzehnten
.