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Ausgabe:

1895

Spalte:

97-99

Autor/Hrsg.:

Beer, Georg

Titel/Untertitel:

Individual- und Gemeindepsalmen. Ein Beitrag zur Erklärung des Psalters 1895

Rezensent:

Siegfried, Carl

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Kiel.

Erfcheint , Preis

alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 18 Mark.

N°- 4. 16. Februar 1895. 20. Jahrgang.

Beer, Individual- und Gemeindepfalmen (Siegfried
).

Kay fers Theologie des Alten Teftaments, 2. Aufl.

bearb. von Marti (HoriV).
Holtzmann, Osk., Neuteflamentliche Zeitgc-

fchichte (Schürer).

Krüger, Gefchichte der altchriftlichen Literatur den Niederlanden, Italien und Frankreich feit

in den erftcn drei Jahrhunderten (Harnack). dem Jahre 1500 (Schott).

Morin, S. Hieronymi Presb. qui deperditi hac- j Dahle, Das Leben nach dem Tode und die

tenus putabantur Commentarioli in Psalmos
[Anecdota Maredsolana Vol. III Pars I]
(Harnack).

Bibliotheca Hagiographica Graeca ediderunt

Berliner, Gefchichte der Juden in Rom, 2 Bde Haglographi Bollandiani (Ph. Meyer).

(Schürer). I Gutjahr, König Guftaf II Adolfs von Schweden

Lewis, A Translation of the four Gospels from
the Syriac of the Sinaitic palimpsest (Neftle)
Stalker, Das Leben Jefu (H. Holtzmann).

Beweggründe zur Teilnahme am deutfchen
Kriege (Virck).

Scheichl, Glaubensflüchtlinge aus Spanien mit Ehe (Koehler)

Zukunft des Reiches Gottes (Ritfehl).
Kühn, Kurze Darfteilung und Kritik der prak-
tifchen Ideen Herbarts vom Standpunkt reli-
giöfer Heteronomie (Glogau).
Eibach, Kritifch angefochtene Predigttexte und
ihre homiletifche Behandlung, 2. Aufl. (Bafler-
mann).

Kahl, Die Konfeffion der Kinder aus gemifchter

Beer, Lic.Dr.Georg, Individual- und Gemeindepsalmen. Ein

Beitrag zur Erklärung des Pfalters. Marburg, Elwert's
Verl., 1894. (V, CI, 92 S. gr. 8.) M. 4. —

Eine gründliche und tüchtige Arbeit. Sehr metho-
difch angelegt und unter forgfältigem Eingehen auf alle
in Betracht kommenden Einzelfragen ausgeführt. Dabei
find reichliche Stoffmaffen auf engftem Raum zufammen-
gedrängt, zugleich unter Einarbeitung der Belege für die
einzelnen Urtheile des Verfaffers. Das macht das Buch
bisweilen etwas fchwierig zu lefen. Doch erleichtert die
aufserordentliche Klarheit der Dispofition und die Prä-
eifion des Ausdrucks das Zurechtfinden. In einem erften
allgemeinen Theil wird zunächft der allgemeine Charakter
des Pfalmbuchs als einer Liederfammlung für den
Cultus feftgeftellt, wie diefer aus den liturgifchen Ueber-
und Beifchriften unzweifelhaft erhellt. Doch mit Recht
hebt der Verf. hervor, dafs dies Gefangbuch auch zum
privaten Andachtsbuch der Israeliten wurde, und dafs,
wenn einerfeits unzweifelhaft eine grofse Anzahl urfprüng-
lich cultifcher Lieder im Pfalter enthalten fei, doch nicht
vergeffen werden dürfe, dafs es auch folche Lieder gebe,
die geradezu gegen den Cultus polemifiren und dafs neben
den cultifchen Liedern fich auch eine nicht geringe Zahl
urfprünglich offenbar privater religiöfer Lieder finde,
die erft fpäter für den Cultus zugerichtet feien (S. I—XI).
Damit ift der Weg gebahnt für Erörterung der wichtigen
Frage nach dem Subject der Pfalmen, wie fie durch die
Thatfache der Ich-Lieder, der Wir-Lieder und der ge-
mifchten Lieder (S. XI. XII) angeregt wird. Ein zweiter
Abfchnitt S. XIII—XVII überblickt die Gefchichte der
Deutungen diefes Subjects, worauf der Verf., um ganz
ficher zu gehen, feiner Entfcheidung der Frage im dritten
Abfchnitt erft eine gründliche Unterfuchung fowohl der
Entftehung und Compofition des Pfalters S. XVIII—XXX
als des Zeitalters der einzelnen Pfalmen S. XXX—LXXVIII
vorausgehen läfst. Hinfichtlich der erften Frage nimmt
er drei aufeinanderfolgende Hauptfammlungen an, 1) einen
älteften Davidpfalter 3—41, 2) einen fpäteren David-
pfalter 51—72, nachträglich erweitert durch einen Qorah-
pfalter 42—49 und einen Affafpfalter 50. 73—83, wozu
dann noch ein Anhang 84—89 kommt; 3I eine Sammlung
meift anonymer Pfalmen 90—150. Als Introduction
wurden der Gefammtfammlung Pf. I u. 2 voraufgeftellt.
Der Abfchlufs erfolgte ca. 140 v. Chr. — Der Verfaffer,
der natürlich den David als Pfalmdichter ablehnt, will ihn
trotzdem S. XXV f. als religiöfen Dichter auch in Am. 6, 5
fefthalten. Uns fcheint doch die hier vorausgefetzte
Scene mehr Aehnlichkeit mit der von 2 S. 19,35 zu haben,

wo der Chor der Sänger und Sängerinnen zur Tafel des
Königs doch wohl keine geiftlichen Lieder gelungen
haben wird. — Die Unterfuchung des Zeitalters der einzelnen
Lieder geht mit Recht von hinten nach vorn.
Zunächft werden die Lieder des vierten und fünften Buchs
gemuftert. Sie fpiegeln meift die kriegerifche Makkabäer-
zeit und die Ausgänge der griechifchen Periode wieder,
keines kann vor dem Ende der perfifchen Zeit liegen. —
Aus dem zweiten und dritten Buch zeigen befonders
die Qorah- und Affaflieder eine Zeit, in der es Israel
zwar unglücklich geht, aber etwaige Sünden desfelben
nicht Schuld daran find. Manche diefer Lieder weifen
deutlich auf den Ausgang der perfifchen Zeit, andere in
die Periode der Diadochen. Pf. 74. 79 will der Verf. der
Zeit des Ochus zufchreiben. Die Lieder des erften Buches
gehören ebenfalls meift der griechifchen und perfifchen
Zeit an. Für frühere Zeit bleiben nur 3. 4. 5. 11. 18 übrig.
Auch bei diefen find wohl die Indicien nicht ftreng
beweifend. —

Ein vierter Abfchnitt mit der Ueberfchrift: ,Der
lyrifche Procefs' befchäftigt fich mit der Anwendung der
allgemeinen Regeln des poetifchen Schaffens auf die
religiöfe hebräifche Dichtung. Hier find viel feine und
anmuthende Beobachtungen ausgefprochen, denen man
in den Hauptpunkten beiftimmen wird. Nur der Erklärung
des Jonaliedes S. LXXXII können wir nicht beitreten.
Die Situation im Bauche des Fifches ift doch zu proble-
matifch, um als eine Rettung empfunden zu werden.
Sehr werthvoll aber ift die abfchliefsende Unterfuchung
der Frage, ob wir in den Pfalmen durchweg Gemeindelieder
haben, fo dafs auch das ,Ich' ftets als Perfonifi-
cation der Gemeinde gefafst werden milffe, wie Smend
will, fodafs wir alfo hier nur fogen. Masken- oder
Rollenlyrik hätten — oder ob es daneben auch Lieder
gebe von individuellem Urfprunge und individueller
Haltung. Hier ift nach unferm Dafürhalten die Ausführung
des Verf. überzeugend, dafs, wie auch fonft im
A.T. der Einzelperfönlichkeit des Frommen ein hoher
Werth beigelegt werde, fo auch in manchen der Pfalm-
lieder die Empfindungen des einzelnen Frommen zum
Ausdruck kommen. Ein Verfuch der Gruppirung der
gefammten Lieder nach diefen Gefichtspunkten findet
fich S. CI.

Ein zweiter fpecieller Theil geht in eine genaue Prüfung
der einzelnen Lieder nach der Reihenfolge des Pfalters
behufs Beantwortung der Frage ein, ob fie den vom
Verf. fo genannten Gemeindepfalmen oder den Individual-
pfalmen zuzurechnen feien. Hier ihm in das Einzelne
zu folgen verbietet der Raum. Wir nehmen mit dem

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