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Ausgabe:

1895 Nr. 3

Spalte:

85-87

Autor/Hrsg.:

Schultz, Herm.

Titel/Untertitel:

Grundriss der christlichen Apologetik 1895

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 3.

86

München hatte ihn fchon vollftändig gefangen. — Ueber
M.'s Münchener Zeit, namentlich feine Vorlefungen und
literarifchen Pläne, giebt dann Fr. noch einige neue Nachrichten
.

Der zw eite Theil , Bei träge zu M.'s Lehre' nimmt
zu zwei Punkten Stellung, M.'s Anfchauung vom Papft-
thum und feinem Urtheil über die Jefuiten, beides im
Gegenfatz gegen die Art, wie Garns unbequeme Sätze
und Urtheile M.'s aus feinen Vorlefungen geftrichen oder
verdächtigt hat. Aus M.'s Originalheften und Aufzeichnungen
weift Friedrich nach, dafs M. im Papftthum eine
Inftitution fah, die unter der Macht des kirchlichen Einheitstriebs
fowie als Gegenwirkung gegen die furchtbare
Macht des Egoismus und unheiligen Sinns innerhalb der
Kirche in der göttlich geleiteten Gefchichte fich entwickelte,
alfo ein gefchichtliches Product ift, ebenfo wie andere
Stufen der kirchlichen Hierarchie, Provinzialverband und
Patriarchate, dafs er dagegen ein göttliches Recht des
Papftthums nicht kannte. Nicht minder wird von den
fcharfen Aeufserungen M.'s über die Jefuiten, die einft
Burkard Leu 1840 im Luzerner Jefuitenftreit aus feinem
Collegienheft veröffentlicht hatte und die fchon damals
fofort als verfälfcht oder von Möhler felbfl fpäter aufgegeben
bezeichnet wurden, nachgewiefen, dafs fie vollkommen
authentifch find und von M. wahrfcheinlich noch
1837, aKo ganz kurz vor feinem Tode in derfelben Re-
daction gebraucht worden find.

Breslau. Karl Müller.

Schultz, D. Herrn., Grundriss der christlichen Apologetik.

Zum Gebrauche bei akademifchen Vorlefungen. Göttingen
, Vandenhoeck & Ruprecht, 1894. (VI, 126 S.
gr. 8.) M. 2. 20

Wenn auch vorliegendes Buch zeitlich auf die früher
erfchienenen Grundriffe des Verfaffers gefolgt ift (,Evan-
gelifche Dogmatik' 1890, ,Evangelifche Ethik' 1891), fo
bildet es doch principiell und der Sache nach die Vor-
ausfetzung beider vorangegangenen Bücher. Anlage und
Behandlungsweife ift die gleiche. Der Grundrifs ift ,nur
dazu beftimmt, dem Zuhörer in den Vorlefungen des
Verfaffers den Stoff zur Vorbereitung auf diefelben und
eine Controlle über die Hauptpunkte ihres Heftes zu
geben'. Wenn indeffen Sch. bereits früher die Hoffnung
aussprach, vielleicht mag die Anlage des Systems
und die Behandlung der grofsen dogmatifchen Fragen
auch fonft für Fachgenoffen Intereffe haben', fo trifft
eine folche Erwartung, bei einer fo umftrittenen Disciplin
wie die der chriftlichen Apologetik, in noch höherem
Mafse zu. Der Verf. hält die Möglichkeit der Apologetik
als theologifcher Wiffenfchaft feft. Wohl ift ihm der
Glaube perfönliche praktifche Ueberzeugung; wohl weifs
er, dafs man die religiöfen Wahrheiten nicht wie logilche
oder mathematifche auf dem Wege der theoretifchen
Beweisführung anderen zugänglich machen kann. ,Aber
man kann zeigen, dafs 1) keine Nöthigung zum Aufgeben
der religiöfen Weltanfchauung aus wirklicher Wiffenfchaft
folgt, und dafs 2) ein einheitliches Verftändnifs der Welt,
in welcher wir als fittliche und vernünftige Wefen mitbegriffen
find, ohne diefe religiöfe Weltanfchauung überhaupt
unmöglich, mit ihr aber von felbfl gegeben ift'.
Die Aufgabe der Apologetik ift: 1) Wefen und Recht
der Religion zu verftehen, 2) die gefchichtlichen Er-
fcheinungen der Religion zu begreifen, — 3) Wefen und
Vollkommenheit des Chriftenthums aufzuzeigen. Dem-
gemäfs zerfällt der Grundrifs in drei Haupttheile. Der
erfte Haupttheil ,Apologie der religiöfen Weltanfchauung'
(S.5—43) will gegenüber den auf Verneinung der Religion
gerichteten Tendenzen das Recht der religiöfen Weltanfchauung
erweifen. Sch. handelt von dem Wefen der
Religion, von den Poftulaten der religiöfen Weltanfchauung
(der lebendige perfönliche Gott, die Offenbarung
, Wunder und Myfterium in der Offenbarung,
Infpiration) und von der Vernünftigkeit der religiöfen
Weltanfchauung. Unter letzterem Titel, der keineswegs
die Möglichkeit einer theoretifchen Beweisführung für
die Religion vindiren will, fucht der Verf. die Unerfetz-
lichkeit des religiöfen Glaubens gegenüber dem Materialismus
und dem Peffimismus darzuthun und zu begründen.
Der zweite Haupttheil gilt dem Entwurf einer Religions-
philofophie auf hiftorifcher Grundlage und fchildert die
Religion in ihren gefchichtlichen Erfcheinungen (S. 44—
77). Vorzüglich in diefem Abfchnitt mufs, nach des
Verf.'s ausdrücklicher Erklärung, dem mündlichen
Vortrag noch mehr als fonft die Aufgabe der Erläuterung
und Ergänzung zufallen. Sch. unterfcheidet
drei grofse Gruppen von Religionen: 1) die Naturreligionen
(die elementaren Naturreligionen, das altfemitifche
Heidenthum, das Heidenthum der Indo-Europäer); 2) die
Culturreligionen (die chamitifchen Priefterreligionen, die
philofophifche Priefferreligion der Inder, die ethifchen
Dichterreligionen, ethifche Staatsreligionen); 3) die
| Prophetenreligionen auf arifchem Boden (die Reforma-
I tion der arifchen Lichtreligion, Buddha) und auf femiti-
fchem Boden (die Religion Israels, der Islam). Dafs
diefe geiftvolle Religionentafel in erfter Linie den Syfte-
matiker, nicht den Hiftoriker kund giebt, liegt auf der
Hand; es erhellt z. B. aus dem Umftand, dafs das altfemitifche
Heidenthum von der Religion Israels losgelöft
wird und demnach die Uebergänge von der niederen
Religionsftufe zur höheren abfichtlich nicht zur Dar-
ftellung gelangen. Der dritte Haupttheil ,Apologie des
Chriftenthums' (S. 77—126) will gegenüber den Beftreitern
der bleibenden Bedeutung des Chriftenthums das Recht
desfelben als der fchlechthin vollkommenen Erfcheinung
der Religion erweifen. ,Wer zum chriltlichen Glauben
kommt, der thut es, weil feine in fich felbfl und in der
Welt nicht befriedigte Seele in dem Eindrucke der
Perfon Chrifti die Wirklichkeit des Guten erfafst und
den Frieden empfindet, der aus der Offenbarung des
Liebeswillens Gottes flammt. Aber der Chrifl, infofern
er ein denkender ift, foll fich auch bewufste Rechenfchaft
darüber geben können, wodurch feine Religion den An-
fpruch machen kann, nicht etwa blofs unter den bisher
vorhandenen die relativ vollkommenfte, fondern die reine
und unübertreffliche Erfcheinung der Religion in der
Menfchheit überhaupt zu fein. Zu diefem Zwecke darf
man fich nicht an einzelne Stücke, fondern nur an das
entfcheidende religiöfe Princip felbfl halten. Und da
der Menfch überhaupt in der Religion vermöge der Ge-
meinfchaft mit dem fich offenbarendem Gott die Befriedigung
der Perfönlichkeit durch Güter fucht, welche
die Welt ihm nicht geben kann, fo mufs 1) in dem
Wefen diefer Befriedigung (Güter), 2) in der Weife der
Offenbarung Gottes die Probe der Vollkommenheit der
Religion gefunden werden. Beides ift im Chriftenthum
in der Perfon Chrifti und in den von ihm ausgehenden
Wirkungen gegeben'. Dies das Gerüfte des von Sch.
entworfenen Syflems der chriftlichen Apologetik. Dafs
in dem Rahmen diefer äufserft knappen, überall nur andeutenden
Darfteilung nicht nur ein reiches Material,
fondern auch eine Fülle von Anregungen enthalten ift,
verlieht fich bei einem fo vielfeitigen, faft alle Gebiete
der Religionswiffenfchaft umfaffenden Theologen von
felbfl. Ref. gefleht, dafs er diefen Grundrifs dem dogmatifchen
Entwurf des Verf.'s fogar noch vorzieht. In
letzterem tritt m. E. das Beftreben zu Hark hervor, auch
im Einzelnen, felbfl im Feilhalten mancher fcholaffifchen
, Termini, die dogmatifchen Erörterungen den lehrhaften
! Ausführungen unferer alten Theologen möglichft anzunähern
. Im vorliegenden Lehrbuch dagegen ift von
complicirten Accomodationen und wiffenfchaftlich dis-
putablen Umdeutungen kaum etwas zu finden. In der
Behandlung der meiften aufgeführten Probleme braucht
fich der Verf. nicht um Formeln zu kümmern, die fich