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Ausgabe:

1895

Spalte:

74-77

Autor/Hrsg.:

Mirbt, Carl

Titel/Untertitel:

Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII 1895

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 3. 74

glücklichen Titel fubfumirt er in erfter Linie die dem
Urchriftenthum geneilten Probleme, vor allem die
Heidenfrage; unter den zweiten ftellt er die Entwicklung
der paulinifchen Theologie; der dritte foll

zwar fchwebt dem Verf. das von ihm erwählte Ziel immer
vdr, allein zu häufig drängen fich die zeitlich bedingten
Theologumena in einer Weife in den Vordergrund,
welche die durchgreifende Bedeutung der weiter treiben-

das johanneifche Chriftenthum zum Ausdruck bringen, den und wirkfamen Factoren nicht beftimmt und deut-
Das Beftreben des Verf.'s geht dahin, hinter der oft j lieh genug erkennen läfst. Was hier zum Lobe des
fpröden Schale der in den neuteftamentlichen Berichten I biblifchen Theologen gereicht — die Vollftändigkeit und

oder Briefen niedergelegten Gedanken den lebendigen
Kern der religiöfen Erfahrungen und des chriftlichen
Glaubenslebens zu ermitteln, deren Niederfchlag die fog.
biblifche Theologie ift; er hat es überall darauf abgefehen,

Gleichmäfsigkeit in der Behandlung des neuteftamentlichen
Materials — beeinträchtigt die Gefchloffenheit und
Klarheit der fyftematifchen Aufgabe, denn für den
Syftematiker find nicht alle Beftandtheile des biblifchen

nicht bei dem Verftändnifs der neuteftamentlichen Ver- j Lehrftoffs gleichwertig und gleich fruchtbar. Doch
kündigung fich zu beruhigen, fondern tiefer zu dringen | wird vielleicht die Ausführung des dogmatifchen Werkes
und herab zu fteigen bis zu den verborgenen geiftlichen die hier gemachten Ausftellungen theilweife unwirkfam
Unterftrömungen, aus denen fei es das Selbftzeugnifs j machen. Wir wünfehen dem Verf. zur Fortfetzung feines

mutigen Unternehmens die erforderliche Kraft und den
wohlverdienten Erfolg.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Jefu, fei es die apoftolifche oder nachapoftolifche Lehre
entquoll. Es foll nicht geleugnet werden, dafs der Verf.
auf diefem Wege zuweilen recht geiftvolle, überrafchende,
gewifs auch häufig richtige oder doch fehr annehmbare
Gedanken an den Tag gefördert hat; allein die Gefahren | Mjrbt prof. D. Carl, Die Publizistik im Zeitalter GregorsVII
einer folchen Methode leuchten ein und eine genauere T . „. . ' ?
Erörterung des Einzelnen würde zur Genüge zeigen, in LeiPZ'g> Hinnchs, 1894. (XX, 629 S. gr. 8.) M.16.-
welchem Umfang die Unterfuchung diefen Gefahren er- Die Arbeiten des Verfaffers, die feit 6 Jahren an die

legen ift. Zu häufig treten an die Stelle von hiftorifch ! Oeffentlichkeit getreten find, haben fich mit ganz kleinen
greifbaren und controllirbaren Thatfachen pfychologifche I Ausnahmen auf demfelben Gebiet bewegt, in das uns
Combinationen von höchft zweifelhaftem Werthe, Hypo- 1 diefe umfaffende Publication führt (vgl. Th. L. - Z. 1888,
thefen, deren Willkür durch einzelne Schriftausfagen j Sp. 161 f.; 1889, Sp. 599 f.; 1893, Sp. 49). Als Mirbt feine
fchlecht verdeckt ift, geiftreiche Apergus, welche den ! Arbeiten begann, war noch nicht das ganze Streit-
Schein von dilettantenhaften Einfällen nicht verleugnen , fchriftenmaterial beifammen und ein grofser oder der
können. Unfer Mifstrauen gegen die hier angewandte 1 gröfste Theil noch ungenügend herausgegeben. Aber

Methode fteigert fich durch die Einficht in den durch
das Ganze fich hindurchziehenden Verfuch, aus den gewonnenen
pfychologifchen Ergebnifsen das dogmatifche
Facit zu ziehen: F. zielt darauf ab, die jüdifch gefärbten
Elemente der traditionellen Dogmatik in pfychologifche
Erlebnifse zurückzubilden und in Johanneifche Myftik'
aufzulöfen.

Das Buch Bovon's ift der zweite Band des bereits
in diefem Blatt angezeigten und charakterifirten Werkes
(vgl. 1894, Nr. 7). Die dort gegebene allgemeine Be-
urthcilung gilt im Grofsen und Ganzen auch für die
vorliegende Partie der Bovon'fchen Unterfuchung. Die-
felbe umfafst den Gefammtftofif der neuteftamentlichen
Theologie, mit Ausfchlufs der Verkündigung Jefu. Die
Anlage ift; ftrenger hiftorifch als die Conftruction
Fulliquet's; fie bekundet auch einen Fortfehritt gegenüber
von Reufs und Beyfchlag: im Unterfchied von
diefem reiht er den Jacobusbrief und den Petrusbrief

es war bekannt, dafs die neue Ausgabe in den Monu-
menta Germaniae bevorftehe. Sie ift 1891 und 1892 in
zwei ftarken Quartbänden erfchienen unter dem befon-
deren Titel: ,Libelli de Ute imperatorum et pontificum
saecidis XI et XII conscriptis1, bearbeitet von Bernheim,
Dümmler, Francke, v. Heinemann, Sackur, Schwenken-
becher, Thaner. Ich brauche nicht auszuführen, wie
werthvoll es dem Verf. fein mufste, diefe vorzügliche
Ausgabe und ihre genauen Einleitungen und Datirungen
zu jeder Schrift benutzen zu können. Es ift aber fchon
von anderer Seite hervorgehoben worden, welche Freude
es denen, die die mühfelige Edition gemacht haben, fein
müffe, ihre Arbeit fo bald und fo umfaffend benutzt zu
fehen. Mirbt hat diefes Material vollftändig, aufserdem
aber noch eine Anzahl weiterer Schriften verwerthet,
die mit den Libellis der Monumenta verwandt find, ohne
dafs fie in ihnen hätten aufgenommen werden können,
vor Allem die gröfseren Werke Petrus Damiani's. Der

unter die nachpaulinifchen Urkunden, im Gegenfatz zu Zeitraum, in dem fich die Schriften bewegen, umfafst

jenem behandelt- er gleichfalls die Apokalypfe (deren
Einheitlichkeit er fefthält) als ein Denkmal der nach-

die Jahre 1031 — 1112. Es ift alfo die gregorianifche
Periode im weiteren Sinn; doch fällt vor die Zeit des

paulinifchen Theologie, während Reufs zwar die nach- | reformirten Papftthums nur das eine Sendfehreiben, das
paulinifcheEntftehung der Apokalypfe ftatuirt, den Inhalt , von dem Mönch Wido von Arezzo 1031 verfafst ift und
des Buchs aber, als Ausdruck der judenchriftlichen j über die Simonie handelt.

Theologie, vor der Behandlung des Paulinismus zur Mirbt's Arbeit ift mit derfelben peinlichen Gründlichkeit
gemacht, die aus feinen früheren Unterfuchungen
bekannt ift. Wir haben m. W. für keine andere Periode
eine derartig erfchöpfende Darfteilung des Gedankengehalts
, der Methoden, Tendenzen und der gefchicht-

Darftellung bringt. In der Gliederung der paulinifchen
Theologie verfolgt B. den Gedanken des Paulus, wie
derfelbe fich in der foteriologifchen, der hiftorifchen, der
chriftologifchen und der efchatologifchen Sphäre ent-

faltet; diefe Gliederung, welche die durchgreifende Be- I liehen Vorausfetzungen einer publiciftifchen JLiteratu

deutung der paulinifchen Anthropologie unterfchätzt und
den grofsen, die paulinifche Gedankenwelt beherrfchenden
Gegenfatz von öapg und jtvEVfia auffallend genug zurück-
ftellt, unterliegt auch im Einzelnen manchen fchwer
wiegenden Bedenken. Am meiften Befremden wird das
Buch Bovon's bei denen hervorrufen, die fich die ur-
fprüngliche Abficht des Verf.'s vergegenwärtigen und fich
daran erinnern, dafs diefe Darfteilung der biblifchen
Theologie nicht Selbftzweck ift, fondern nur le fonde-
vient Iiistoriquc zu einer Etüde surloeuvrc de la redemption
bilden foll. Es treten nämlich die auch in der Folgezeit
dogmatifch fruchtbaren Elemente der biblifchen

Ich lege mir nur die eine Frage vor, ob hier nicht theilweife
des Guten zu viel gefchehen ift. Ich habe die
Selbftlofigkeit bewundert, mit der diefes wirklich nicht
immer feffelnde und bedeutende Material gerichtet, geordnet
und immer wieder in neuen Zufammenhängen
verarbeitet worden ift; wie die Parteien nach ihren Abrichten
beobachtet, wie ihre Technik verfolgt, ihr relatives
Recht abgewogen wird u. f. w. Aber es ift mir
trotzdem nicht gelungen, alle Partieen mit demfelben
Intereffe zu verfolgen. Mirbt macht das ohne dies nicht
ganz leicht, da feine Sprache etwas fchwerfällig und nicht
mmer durchfichtig ift. Aber es liegt doch auch in der

Stoffe nicht mit der wünfehenswerthen Klarheit hervor; I ganzen Methode und dem Mafs, in dem er in's Einzelnfte

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