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Ausgabe:

1895 Nr. 3

Spalte:

70-72

Autor/Hrsg.:

Jülicher, Adf.

Titel/Untertitel:

Einleitung in das Neue Testament. 1. u. 2. Aufl 1895

Rezensent:

Schürer, Emil

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69 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 3. 70

was er S. 31 als eine für den kritifchen Standpunkt un- I Widerfprüche, wo keine find, und leiden überhaupt zu
lösbare Aufgabe bezeichnet. — Ebenfo werden die dem j fehr an Grillen (S. 102). Da mache man z. B. ein Auf-
Verf. doch eigentlich näher flehenden englifchen Kritiker ; hebens davon, dafs in Ex 12, 14 mit dem Ausdrucke:
wenig beachtet. Aufser Marsham und Spencer findet j ,diefen Tag' auf einen Tag hingewiefen werde, von dem
fich nur Robertfon Smith erwähnt und berückfichtigt, ; im Vorhergehenden gar nicht die Rede fei, und nehme
während, wie Chey ne'sfounders of 0. T. criHcism, London j allerlei Umftellungen vor. Das fei aber alles überfiüffig,
1893 zeigt, doch auch in England reichliche Mitarbeit an j denn es fei der Tag gemeint, zu dem die v. 12 genannte
der Kritik geleinet ift. Von Holländern ift nur Kuenen Nacht gehöre (S. 102 f.). Das Gefetz fei allerdings oft
beachtet. Der Verf. hält eben die Kritik vorzugsweife i und lange Zeiten hindurch nicht befolgt worden, aber
für ein deutfches Uebel (S. 198), das er von einer an- von da aus auf fein Nichtvorhandenfein zu fchliefsen,

geblichen Sucht unferes Volkes für das Neue (S. 140)
herleitet, worüber ihn doch fein Ueberfetzer O. Becher
hätte eines Befferen belehren können, der gewifs nicht
an diefer Krankheit leidet. —

fei ebenfo als wolle man behaupten, es habe vor Luther
kein Neues Teftament gegeben (S. 28). Ueberhaupt
feien die Aufftellungen der neueren Kritik blofse Hypo-
thefen, die lediglich im Intereffe des Unglaubens ent-

Der Ton, in dem der Verf. redet, ifl im Allgemeinen , wickelt würden, der fich z. B. daran ftofse, dafs die Peft
angemeffen und fachlich. Nur hat er eine merkwürdige < in jedem ägyptifchen Haufe gerade nur den erftgebore-

Vorliebe für unpaffende Vergleiche, weshalb auch diefe
Anläufe meift fehr unglücklich ablaufen. So fagt er
z. B. S. 177, R. Smith's Deutung der Paffahfeier von einem
religiöfen Tanze [cf. nOEfi Jn Ex. 34, 25] fei gerade fo
als wenn man die englifche Revolution herleiten wolle

nen Sohn hinweggerafft habe. Das fei ja aber doch eine
Thatfache, denn fonft würde es die Bibel nicht erzählen
(S. 137—149). Ebenfo fei nichts klarer erwiefen, als dafs
Mofe die 10 Gebote gefchrieben habe, denn die Steine
feien noch zu Salomo'sZeit vorhanden gewefen (S. 154).—

von der Sitte Revolver zu tragen!! Aehnliche Abge- j Ezechiel habe zwar nur 2 grofse Fefte ftatt 3, aber er
fchmacktheiten finden fich S. 28. 136. 149. 300 und be- l liebte die Vereinfachung und fein Entwurf war lediglich
fonders S. 196 u. S. 198. wo der Verf. fo recht ad homi- j ideal (S. 221 f.). Wenn man behaupte, der alte Zions-
nem reden will, fchliefslich aber die Koften feiner Witze tempel fei nur ein Refidenzheiligthum gewefen, fo fei
zu bezahlen hat. — Den Fanatismus weifs er zu be- ! das ganz falfch, denn zu Samaria habe es kein folches
herrfchen. Solche Wendungen wie die Kritiker müfsten , gegeben (S. 299). — Doch genug und übergenug. Wer nun

den Verf. von Ex. 12 entweder für einen Schuft oder
für einen Narren halten (S. 127) begegnen feiten. —

Sein Vorhaben verfolgt der Verf. in der Weife, dafs
er in einem erften Abfchnitt eine Darftellung von Well-
haufen's Hypothefe im Allgemeinen giebt (S. I—32), an
die er zugleich eine kurze Kritik fügt. Dann folgt: eine

noch nicht bekehrt ift, dem können wir nicht helfen. —
Die Ueberfetzung lieft fich im Allgemeinen fliefsend.
Nur an einzelnen Stellen find Anglicismen, die den Ausdruck
undeutlich gemacht haben. Z. B. S. 25 .Kritiker,
die die Gefchichte mit ihren eigenen Gedanken angepflanzt
haben' S. 35. Diefe.....Einrichtung war

Gefchichte der Kritik der hebräifchen Fefte (S. 33—69). [ in ein ganzes Sabbathfyftem ausgefonnen'. S. 136 heifst
Hierauf wird die Einheit von Ex. 12.13 in 2 Abfchnitten i es, es feien in den kritifchen Syftemen möglichft ,die
(S. 70—149) nachgewiefen. Dann über Feftgefetze, in- fchwachen Seiten feftgehalten'. Gemeint ift, fie feien
fonderheit Passa wiederum in 2 Abfchnitten (S.150—224), möglichft gegen Angriffe gedeckt, befeftigt worden. —
dann über das Feft der Wochen (S. 225—258) und zu- Die Nachläffigkeit, den Prieftercodex bald mit PC S. I4ff.
letzt über das Feft der Laubhütten (S. 259—304) gehan- , bald PK (S. 17. 51) zu bezeichnen, hätte vermieden wer-

delt. Mit den Worten: ,Die Hypothefe wird durch die
Hypothefe bewiefen. Voila tont!1 wird der fchliefsliche
Sieg über die Kritik verkündet und Fanfare geblafen. —

Es ift nun hier abfolut unmöglich, auf die zahllofen
Verhandlungen über die kritifchen Fragen einzugehen,
die der Verf. mit feinen Gegnern führt, denn er bekämpft
nicht das feindliche Heer, fondern ficht mit jedem
einzelnen Soldaten. Wenn auf jeden kritifchen Hieb ein
antikritifcher Gegenhieb, was für einer er auch immer fei,
gefuhrt ift, hält er die Sache für erledigt. Von der Verpflichtung
eine hiftorifch vorftellbare Anfchauung vom
israelitifchen Feftcyklus und der Handhabung der Feftgefetze
im Laufe der Jahrhunderte zu geben, hält er fich
für entbunden. — Mofes hat diefe Gefetze gegeben. Er
fagt es ja felbft (S. 20). Wenn diefe Gefetze nicht wirklich
am Sinai gegeben wären, fo hätte kein Menfch auf
den Gedanken kommen können, eine folche Gefetz-
gebung gerade dahin zu verlegen (S. 21). Freilich find in
diefen Gefetzen einzelne auffällige Verfchiedenheiten, die
nicht fo recht mit einander ftimmen wollen, aber bei fo
alten Inftitutionen kommt fo etwas leicht vor und wir
müffen uns darüber keine Sorgen machen (S. 23).

Auch das Bundesbuch hat nur einen einzigen Cult-
ort gewollt, der natürlich wechfeln mufste, fo lange man
wanderte; auch die fpätere Zeit kannte nur ein Heiligthum
zu Silo. Allerdings erfchien ja Jahve manchmal
auch an anderen Orten und es wurde ihm dann da auch
geopfert. Aber das gefchah einmal und nicht wieder, mit
Ausnahme einiger Orte, die durch die Jahveerfcheinung
einen .blendenden Zauber' erhielten, der zur Idolatrie
führte (S. 26). Wenn Elia I K 18 auf dem Karmel opfert

den follen.

Jena. C. Siegfried.

Jülicher, Prof. D. Adf., Einleitung in das Neue Testament.

I. u. 2. Aufl. [Grundrifs der theolog. Wiffenfchaften,
3. Tbl., 1. Bd.] Freiburg i/B., J. C. B. Mohr, 1894
(XIV, 404 S. gr. 8.) M. 6.—; geb. M. f.—

Die Bearbeitung der Neuteftamentlichen Einleitung
für die Grundrifs-Sammlung der Mohr'fchen Buchhandlung
hätte m. E. in keine befferen Hände gelegt werden
können als in diejenigen Jülicher's. Es gilt heutzutage
eine fefte Stellungnahme gegenüber zwei entgegengefetzten
Fronten: einerfeits gegenüber den Anhängern der
Tradition, welche auch die ficherften Refultate der hifto-
rifchen Kritik nicht anerkennen wollen, andererfeits aber
auch gegenüber manchen Kritikern, welche fich in der
Illufion bewegen, als ob die hiftorifche Kritik ein Zauber-
fchlüffel fei, mittelft deffen man auch in die intimften
Geheimnifse aller literarhiftorifchen Proceffe mit abfoluter
Sicherheit einzudringen vermöge. Befonders gefährlich
wird diefe Illufion auf dem Gebiet der ,Quellenfcheidung',
die an fich eine löbliche Kunft ift, aber doch nur fo
lange, als fie fich der Grenzen ihrer Leiftungsfähigkeit
bewufst bleibt. Andernfalls wird fie zum blolsen Sport,
bei deffen Ausübung nur dies merkwürdig ift, dafs die
Betreffenden in ihrem Selbftvertrauen auch durch ihre
Ifolirtheit fich nicht irre machen laffen; ein Jeder treibt
nämlich das Spiel wieder auf andere Weife. Gegenüber
folchen Verirrungen übt nun Jülicher überall mit Meilter-
und von mehreren Altären fpricht 1 K 19, 10. 14, fo ; fchaft die ars nesciendi. Nicht als ob er ein Skeptiker

nennt man fo etwas Ausnahmen, die die Regel beftätigen wäre, der keine kritifchen Urtheile mit Sicherheit hin-
(S. 27). Die Kritiker übertreiben alle diefe Dinge, finden zuftellen wagte. Es gefchieht dies vielmehr an allen