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Ausgabe:

1895 Nr. 26

Spalte:

668-671

Autor/Hrsg.:

Ewald, Paul

Titel/Untertitel:

Über das Verhältnis der systematischen Theologie zur Schriftwissenschaft 1895

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 26.

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wie in Aethiopien — das alte Teftament erlangt habe. I
Aus ihm konnte man manche heidnifche Tradition unmittelbar
auch für die Kirche legitimiren. Der Adel fand
es befonders vornehm, feine Gefchichte an altteftament-
liche Familien anknüpfen zu können etc. Soweit wie in
Aethiopien ift es freilich mit dem Einflufs des alten
Teftaments in Armenien doch nicht gekommen.

Einen Wendepunkt in der Gefchichte der armenifchen
Kirche bildete die Regierung des Katholikos Nerfes des
Grofsen. Wie Geizer nach andern zeigt, ift die Tradition I
über die lange Zeit diefes Oberpriefters, die durch Mofes
von Khoren zu allen fpäteren armenifchen Hiftorikern
gelangt ift, fchlechthin unglaublich. Nerfes kann nicht
vor 362 Katholikos geworden fein und mufs fpäteftens I
Ende 373 oder Anfangs 374 geftorben fein. Geizer vergleicht
ihn mit Thomas Becket. Nach einem Interregnum
zuerft wieder und fehr gegen feinen Willen als Nachkomme
des Gregor auf den Katholikatsthron erhoben,
wendet er fich gegen feinen Gönner, den König, und
verfucht im Sturm eine Reformation der Kirche durchzuführen
. Er war in Caefarea aufgewachfen und hatte
griechifche Bildung; der grofse Baftlius ift fein Vorbild,
und er verfucht es nun überhaupt, die ,Ideale der Bafi- J
leioszeit' in Armenien zu verwirklichen. Die Chriftiani-
firung des Volkes war eine fehr äufserliche geblieben,
Geizer weift an zahlreichen Proben nach, dafs die altnationale
Religion fich in den Ideen und Neigungen des
Volkes kräftig erhalten hatte. Nerfes, der fehr jung, wie
eine Reihe feiner Vorgänger, zum Katholikos erhoben
wurde, berief eine grofse Synode, auf der ,eine neue
Kirchenordnung feftgefetzt und eine Sammlung der
Glaubensartikel veranftaltet wurde'. Befonders eingreifend ■
wurden neue Ehevorfchriften. Nerfes war vor Allem von |
dem Mönchsideale eingenommen. Aber auch das
Kranken-, Armen- und Fremdenwefen hat er geregelt.
Seine wichtigften Gehülfen in der neubegonnenen Mif-
üonsarbeit waren zwei berühmte Einfiedler, feine Schüler, |
der Syrer Schalita und der Grieche Epiphanios (Epip'an), j
welch letzterer allein fünfhundert Mönche um fich ge- ]
fammelt haben foll. Aber das Vorgehen des Nerfes rief
eine Reaction hervor. Er griff auch das Privatleben des
Königs heftig an. Sein Grofsvater, Jufik, war bei ähnlichem
Anlafs von dem König durch die Baftonnade zu
Tode gebracht und das Haus des Albianos war zur
Nachfolge berufen worden. Nerfes hatte zunächft befferen
Erfolg. Natürlich waren es nicht nur feine moralifchen
Gefichtspunkte, die ihn den Königen, unter denen er
wirkte, verhafst machten. Die Macht des Oberpriefter-
thums, die fich an ihm offenbarte, trug das Ihrige mit
dazu bei, dafs Pap ihn mit Gift aus dem Wege räumen
liefs. Wie Geizer nun zeigt, hat Pap darin ,einen Fehler
des Nerfes meifterhaft ausgenutzt,' dafs er deffen engen
Anfchlufs an Caefarea, überhaupt feine Hinneigung zum 1
griechifchen Kirchenwefen, zum Hauptangriffspunkt bei
feiner anticlerikalen Politik machte. ,Bei einem auf feine
Nationalität krankhaft eiferfüchtigen Volk, wie den Armeniern
', mufste Nerfes durch feine Betonung des
,Griechifchen' Anftofs geben. Pap ernannte wieder einen
Katholikos aus dem Haufe des Albianos, er zuerft, ohne
die nach der Tradition geforderte Weihe desfelben in
Caefarea anzuordnen. Hier berührt Geizer Verhältnifse, |
die auch aus Briefen des Baftlius zu beleuchten find. Ich
freue mich in meiner Confeffionskunde I, 206 f. den
richtigen Gefichtspunkt fchon getroffen zu haben, von
dem aus das Vorgehen des Baftlius gegen Pap und feinen
Katholikos zu beurtheilen ift. Wäre er weniger herrifch, [
bez. auf feinem ,Rechte' beftehend, aufgetreten, fo möchte i
er die alten ngsoßela von Caefarea der armenifchen Kirche
gegenüber vielleicht gerettet haben. Nach Nerfes ift j
kein Katholikos mehr in Caefarea geweiht worden, auch
nicht der grofse Sahak, Sohn des Nerfes, der letzte Katholikos
aus dem Haufe des Erleuchters. Die Löfung von
Caefarea blieb definitiv. Den neuen Verhältnifsen ent-

fprach die Verlegung der geiftlichen Metropole in die
Königsftadt, Valarfchapat; die Legende von der Vifton
des Gregor fchuf zu guter Zeit zumal auch für die Ab-
löfung der armenifchen Kirche von Caefarea das religiöfe
Fundament, indem fie das unmittelbare Recht der Kirche
des h. Gregor ficherte. Natürlich verlief das Alles nicht,
ohne dafs, wie Geizer zeigt, die eigentlich clericale Partei
noch längere Zeit an den älteren Ideen fefthielt.
Der Name des Nerfes kam auch wieder durchaüs zu
Ehren. Was ihm perfönlich nicht gelungen, fetzte mafs-
voller Sabak doch durch. Diefer forgte vor Allem dafür
, dafs die griechifche Literatur in armenifchen Ueber-
fetzungen bekannt wurde. Dadurch hat die armenifche
Kirche doch dauernd einen geiftigen Contakt mit der
griechifchen Kirchenwelt behalten, was einen Vorzug für
fie begründet hat gegenüber dem neftorianifch-perfifchen
Kirchenwefen, welches fich rein in eigener fyrifcher Theologie
abfchlofs.

Geizer hat feiner Abhandlung zwei Nachträge angefügt
. In dem einen ftellt er gegen Gutfchmid feft, dafs
die Reife des Gregor nach Caefarea, um fich dort weihen
zu laffen, für hiftorifch zu halten fei; freilich begründete
Gregor damit kein Anrecht der Bifchöfe von Caefarea
auf Weihe der armenifchen Oberbifchöfe, er fetzte feinen
Sohn Ariftakes zu feinem Nachfolger ein, indem er ihn
felbft weihte: aber hernach hat man doch auf Gregor's
perfönliches Vorbild fich genützt, um für feine Nachfolger
eine Weihe in Caefarea zu verlangen. In dem zweiten
Stück beleuchtet Geizer ,das ältefte Zeugnifs für das Beliehen
einer armenifchen Kirche', nämlich die Notiz bei
Eufeb VI, 46, 2. Nach diefer fchrieb Dionys von Alexandria
(248—265) Tolq xavcc 'Agf.i£viav einen Brief betreffs
der Bufse und zwar unter der Adreffe eines Bifchofs
M£fjovL~dvric. Geizer fucht diefen in dem füdöftliehen
Theil von Armenien, Atrpatakan (Adrbeidfchan); diefer
Winkel habe immer politifch eine Sonderexiftenz geführt,
wahrfcheinlich fei die Bekehrung diefer Gegend, früher
noch als die des Hauptlandes, von Syrien (Edeffa oder
Nifibis) aus erfolgt.

Für die Symbolfrage war mir wichtig, dafs Nerfes
auch eine ,Sammlung von Glaubensartikeln veranftaltete'.
Es wäre möglich, dafs er dabei ein Symbol eingeführt
hat. Im Zusammenhange damit, dafs er den Baftlius
möglichft nachahmte, wäre zu fchliefsen, dafs es fich wohl
um die eigentliche nieänifche Formel, N, handele. Denn
Baftlius hat nach der Wahrfcheinlichkeit N. zum Tauf-
fymbol in feiner Diöcefe erhoben. Bei der Würdigung
der Unterfuchung von Catergian über die Gefchichte
des Symbols in Armenien, die ich in diefer Zeitung 1893
Nr. 2 befprach, ift das zu berückfichtigen.

Giefsen. F. Kattenbufch.

1. Häring, Prof. D. Thdr., Die Lebensfrage der systematischen
Theologie die Lebensfrage des christlichen Glaubens.

Rede, zum Antritt des akademifchen Lehramts an
der Univerfität Tübingen gehalten am 2. Mai 1895.
Tübingen, Heckenhauer, 1895. (19 S. gr. 8.) M. —. 40

2. Ewald, Prof. D. Paul, Über das Verhältnis der systematischen
Theologie zur Schriftwissenschaft. Leipzig, Deichert
Nachf., 1895. (53 S. gr. 8.) M. -. 75

Zwei akademifche Antrittsreden, die fich beide auf
die wefentliche Aufgabe der fyftematifchen Theologie
beziehen. In beiden find doch verfchiedene Punkte betont
. Auch Art und Form der Ausführung find fehr
verfchieden.

1. Schlicht und kurz, aber mit einer Beredtfamkeit,
der man das Betheiligtfein des ganzen Herzens abfühlt,
weift Häring nur auf die eine Lebensfrage der fyftematifchen
Theologie hin, welche zugleich die des chriftl.
Glaubens fei: wie fich der Anfpruch der chriftl. Religion,