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Ausgabe:

1895 Nr. 26

Spalte:

660-664

Autor/Hrsg.:

Kunze, Johs.

Titel/Untertitel:

Marcus Emerita, ein neuer Zeuge für das altkirchliche Taufbekenntnis. Eine Monographie zur Geschichte des Apostolikums mit einer kürzlich entdeckten Schrift des Marcus 1895

Rezensent:

Harnack, Adolf

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659 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 26. 660

Wie weit der Verf. die ganze Literatur, aus der er ift, fo hat Harnack principiell ein Recht, die Gefchichte

fchöpft, beherrfcht, wage ich nicht zu umfchreiben; wir i des Dogma's gleichfam als eine Gefchichte des Irrthums

haben keine Urfache, feiner Verficherung S. VI, ,dafs 1 zu befchreiben, weil ihre Producte fich über das Evan-

die Darftellung auf Grund des Studiums der Quellen ge- I gelium Hellen mit ihrer Anmafsung, heilsnothwendige

arbeitet ift', zu mifstrauen, und dafs er nicht Dinge, die fchon 1 Factoren zu fein. — Uebrigens bekenne ich, Manches

von Anderen richtig und unter Anführung der Belege | in den allgemeinen Ausführungen Seeberg's über Begriff,

gefagt find, um jeden Preis anders fagen und mit neuen j Aufgabe, Methode und Eintheilung der Dogmengefchichte

Belegftellen verfehen will, verdient höchftens Lob. Die
Berufung S. 135 n. auf Tertullian's de poenit. ftatt auf
de pudicit. erklärt fich durch einen Schreibfehler, und
ganz unzweifelhaft habe ich, wo Citate mitgetheilt werden

nicht verftanden zu haben. Dafs der Inhalt des Dogma's, wiewohl
feine Form das Werk der Theologie fei, dem chrift-
lichen Gemeindeglauben entflamme, ift keinesfalls eine
glückliche Definition, denn einmal ift das erft zu erwei-

eine Abhängigkeit Seeberg's von abgeleiteten Quellen j fen, und fodann ift damit noch gar nichts gefagt, da der
nur einmal, S. 257 n. 1 conftatirt. Dort wird für die ,chriftliche Gemeindeglaube'doch wohl auch nicht göttlich
gräcifirende Strömung in der Gnadenlehre des Hilarius j ift, vielmehr eine ftark wechfelnde Gröfse darftellt. Darin
v. Poitiers ein Satz aus ,in ps. 118 lit. 14,10' geltend , ftimme ich S. durchaus bei, dafs er die Dogmengefchichte
gemacht, für die auguftinifirende ,in ps. 119 lit. 14,20' nicht fchon vor der Reformation fchliefsen laffen will,
(aufserdem dann noch 15,6 in Matth. 18,6): es handelt fondern die Feftfetzungen der Concordienformel und der
lieh beidemal um denfelben §, der correct als ,in ps. 118 1 Synode zu Dortrecht, andererfeits des vatikanifchen Concils
lit. Nun, 20' zu citiren gewefen wäre; die erfte Angabe j von 1870 fo ficher wie die Befchlüffe von Nicaea und
mit ihrem Fehler fcheint aus Schmid-Hauck's Lehrbuch Chalcedon zu ihrem Inhalt rechnet. Nur verfährt er
zu flammen, die zweite mit dem ihrigen aus Landerer's j wieder inconfequent, wenn er es felbftverftändlich nennt,
Auffatz in den Jahrbüchern f. deutfehe Theol. 1857, auf 1 dafs die DG. nicht noch weiter — wie bei Baur oder
den S. dort auch hinweift. Bei eigenem Studium des 1 Hagenbach — auf alle kirchlichen und theologifchen
Hilarius hätte S. fich wohl fchwerlich enthalten können, . Strömungen der Gegenwart ausgedehnt werden könne,
jene Auswahl noch um einige fignificante Belegftellen ,da diefe Bewegungen eben noch nicht zu „Dogmen"
zu vermehren. Der Theologie diefes Vaters wird denn geführt haben'. Sie haben aber von den Dogmen fort-
auch keine ausreichende Würdigung zu Theil, namentlich geführt, und die Periode der kritifchen Auflöfung refp.
von den Ausführungen über feine Chriftologie S. 209 f. der Erweichung der Dogmen gehört fo gewifs in die
glaube ich behaupten zu können, dafs man dadurch ein Dogmengefchichte hinein, wie in eine Gefchichte des
zutreffendes Bild der chriftologifchen Intereffen und An- j römifchen Kaiferthums nicht nur die Jahrzehnte feiner
fchauungen des Mannes nicht gewinnen kann. Bildung, fondern auch das Jahrhundert feines Zerfalls.

Indeffen will ich hier nicht fehr überflüffigerweife ! Trotz der radicalften Definitionen hat noch keine ,Dogmen-
conflatiren, dafs mir manche der von S. vertretenen gefchichte' die Grenze zwifchen einer Gefchichte der in
Auffaffungen anfechtbar dünkt (z. B. der Donatismus ! Dogmen formulirten Kirchenlehre und einer Gefchichte
fcheint mir unbillig hart beurtheilt zu werden); namentlich 1 der chriftlichen Theologie, der Entwicklung des chrifl-

S.'s Neigung zu fehr beflimmten Behauptungen, be
fonders wo es fich um Widerfpruch gegen Harnack
handelt, ift zu grofs, die Abhängigkeit von Zahn, auch

liehen Gedankens innerhalb der Kirche inne halten
können; Barnabas, die Clementinen, Hippolytos, Diony-

fius Areopagita haben nicht höheren Anfpruch auf einen

von deffen Sonderbarkeiten, in den erften Abfchnitten j Platz in der Dogmengefchichte als Calixt, Spener, Semler,

bisweilen auffällig; neben den Verfuchen, eine geiftige
Bewegung oder eine mafsgebende Perfönlichkeit in wenig
Strichen zu fkizziren, die recht ftark gegen die Parallelen
bei Harnack abftechen, ift nach meinem Gefühl am we-
nigften der § 6, die .farblofe' Ueberficht über die ur-
chriftliche Verkündigung gelungen: hier wird Einem z.
B. wieder zugemuthet, dafs anderes als Paulus mit feiner
Glaubens- und Rechtfertigungslehre auch Jac. 2,14 ff.
nicht meine. Sehr erfreulich ift, dafs S. das Bedürfnifs
empfindet, z. B. S. 3 n. 3 ,vor dem polemifchen, kirchen-
politifchen und dogmatifchen Dilettiren in der Dg.'
dringend zu warnen, dafs er principiell die Irrthumsfähigkeit
des Dogmas conftatirt und zum Schlufs S. 331 f.
noch einfehärft, dafs das Dogma der alten (mit der
neuen dürfte es nicht anders ftehen) Kirche nicht die
abfolute Wahrheit bietet, fondern der Entwicklung, Erweiterung
, Fort- und Umbildung fähig und bedürftig
ift. ,Die unermefsliche Bedeutung, welche die Kenntnifs

Schleiermacher und Straufs; die Dogmengefchichte ift
ein Ausfchnitt aus der Kirchengefchichte; fo lange über
Fortentwicklung in der Lehre der Kirche, über kirchliche
Kämpfe um das Dogma und mit dem Dogma zu berichten
fein wird, fo weit hat auch die DG. fich auszudehnen.

Ich fchliefse mit einer ganz fubjectiven Bemerkung.
Befäfsen wir noch kein Lehrbuch der DG, fo würde
Seeberg's Buch auf allen Seiten mit höchfter Dankbarkeit
aufgenommen werden. Vorläufig erfcheint mir aber
feine Veröffentlichung ein wenig überflüffig, da die Differenzen
der neuen Darftellung gegenüber den ungemein
zahlreichen Arbeiten ähnlichen Charakters — für die
Disciplin kein unerfreuliches Zeichen! — fo erheblich
nicht find, und da gerade S. in feiner Neubearbeitung
von Thomafius' DG., Band II 1889, feinem .Gang durch
die DG'. 1890 und den im Vorwort hier angekündigten
,Ideen zur DG' fchon hinreichende Gelegenheit befafs, diefe
Disciplin zu befruchten. Viel verdienftvoller und ,den

der Entttehung des Dogma's in der alten Kirche für das ! Theologen, welche die Studienjahre lange hinter fich
Verftändnifs der kirchlichen Lehre hat', ift mir zwar j haben', nothwendiger find für einige Zeit gründliche dog-
durch die Leetüre von Seeberg nicht fonderlich klar , mengefchichtliche Detailforfchungen.

geworden, wenigftens kaum im Sinne des Autors, aber
es ift gut, dafs jene Bedeutung anerkannt wird, und fehr
wohlthuend wirkt die Ehrlichkeit, die S. 2 rund erklärt:
es giebt kein göttliches Dogma. Die daran angeknüpfte
Polemik gegen den dogmatifirenden Dogmenhiftoriker
Harnack, der das Dogma als folches fchon als mit
Irrthum behaftet darftelle, die Unchriftlichkeit des Dogma's
vorausfetze, wird angefichts jenes Pundamentalfatzes
ziemlich gegenftandslos, denn wenn es kein göttliches

Marburg i. H. Ad. Jülicher.

Kunze, Priv.-Doz. Lic. Dr. Johs., Marcus Eremita. ein neuer
Zeuge für das altkirchliche Taufbekenntnis. Eine Monographie
zur Gefchichte des Apoftolikums mit einer
kürzlich entdeckten Schrift des Marcus. Leipzig, Dörff-
ling & Franke, 1895. (VIII, 211 S. gr. 8.) M. 6. —
Dogma giebt, fo auch kein abfolut vollkommenes; und Diefes Buch zerfällt in zwei fehr verfchiedene Theile.

wenn (S. 331) für den evangelifchen Chriften das Evan- ! Der erfte in 9 Capp. (S. 1 —137) enthält eine gründliche
gelium des Herrn und der Apoitel die Norm für die 1 kirchen- und dogmenhiftorifche Ünterfuchung über Marcus
Beurtheilung und Bearbeitung des altkirchlichen Dogmas F.remita im Anfchlufs an eine jüngft von Papadopulos-