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Ausgabe:

1895

Spalte:

48-51

Autor/Hrsg.:

Frank, Fr. H. R. v.

Titel/Untertitel:

Geschichte und Kritik der neueren Theologie, insbesondere der systematischen, seit Schleiermacher 1895

Rezensent:

Ritschl, Otto

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 2.

■1«

durch die Regelten, die Preger nach Auszügen von
Reinkens veröffentlicht hat, fowie durch die Vaticanifchen
Acten, die die hiftorifche Commiffion bei der Münchener
Akademie unter der Leitung S.Riezler's in einem nattlichen
Bande (1891) herausgegeben hat. Seither haben wir ein
Quellenmaterial zur Gefchichte jener Beziehungen wie
in wenig anderen Zeiten des Mittelalters. Priefack's Er-
gebnifse find folgende:

Die Luxemburger haben von Anfang an an Ludwig
kein anderes Intereffe gehabt, als durch ihn das habs-
burgifche Haus vom Reich auszufchliefsen und ihrer
Dynaftie für künftig die Krone frei zu halten. So thun
fie auch in den Jahren des Kampfes um's Reich nur
eben foviel für Ludwig, als dazu nöthig ift. Baldewin
insbefondere verfolgt daneben eine confequente territoriale
Politik, indem er den Kölner Collegen zwingt, von
feinen Fehden und Zollplackereien, die die wirthfchaftlichen
Intereffen des ganzen Mittel- und Oberrheins fchädigen,
abzuftehen und fich mit den EB. von Mainz und Trier
zu einer gleichmäfsigen rheinifchen Handelspolitik zu-
fammenzufchliefsen. Intereffen für Ludwig kommen dabei
nicht im Geringften in Betracht; er läfst den Kölner bei
feiner habsburgifchen Politik und giebt das EBisthum
Mainz, deffen Verwaltung er an fich genommen hatte,
in die Hände des vom Papft ernannten neuen Bifchofs
Matthias, fobald er Gewähr dafür hat, dafs Matthias in
feine rheinifche Politik einginge. Er hält überhaupt an
Ludwig wohl nur darum feft, weil er ihm immer neue
Vortheile abdringen kann.

Trotz der Entfremdung, die in Folge deffen fowie
anderer Umftände zwifchen König und EB. eintritt, veröffentlicht
Baldewin doch die Proceffe Johann's XXII
gegen Ludwig nicht, freilich nicht aus Intereffe für
Ludwig, fondern für das vom Papft mit Füfsen getretene
Staatsrecht d. h. die Intereffen der Kurfürften. Erft der
Ulmer Vertrag vom Januar 1326 — den Priefack wie
Preger als eine Finte Ludwig's fafst, wodurch die gefährliche
franzöfifche Throncandidatur niedergefchlagen
werden foll — und der Bund Ludwig's mit den Habs-
burgern fowie den beiden anderen rheinifchen Kurfürften
veranlaffen B. fich von Ludwig loszufagen und Frieden
mit dem Papft zu machen, Mai 1326. Die Rolle Baldewin's
und feines Oheims fafst jedoch Priefack anders als Preger:
fie waren in die Intrigue des Königs noch nicht eingeweiht
, arbeiten vielmehr, ohne Kenntnifs davon
Ludwig in die Hände, indem fie dem Verbuch der
gleichfalls nicht eingeweihten öfterreichifchen Herzöge,
Johann XXII. für Friedrich's d. Sch. Königthum zu gewinnen
, im eigenften Intereffe und mit Erfolg entgegentreten
, da fie einen Habsburger unter keinen Umbänden
wollen, vielmehr die Krone für künftig ihrem Haus zu
fichern bemüht find. Das freundliche Verhältnifs B.'s
zur Curie bleibt auch in nächfter Zeit. Aber in feiner
Zollpolitik ift er für ihre Forderungen fo wenig zugänglich
als die anderen rheinifchen Kurfürften, und wie
Johann XXII die franzöfifche Candidatur 1328 wieder
aufnimmt, tritt B. auch ihr aus denfelben Gründen entgegen
, und nimmt das eben erledigte EBisthum Mainz
dem Papft zum Trotz in feine Verwaltung, um jeden
päpftlichen Freund jener Candidatur auszufchliefsen.
Damit beginnt der Bruch mit der Curie und damit
wieder der enge Anfchlufs an Ludwig, bis 1338 eine
neue Wendung eintritt und B. fich allmählich von
Ludwig löft, um zuletzt feinen Grofsneffen Karl gegen
ihn aufzubellen und durchzufetzen.

Ich habe den Eindruck nicht überwinden können,
dafs die Ergebnifse Priefack's bis 1326 ungleich beffer
begründet find als nachher. Da wo es fich um die
Stellung der einzelnen Perfonen zum Ulmer Vertrag
handelt, kommt auch Pr. über fehr unfichere Combi-
nationen nicht hinaus. Am wenigben hat mir das Motiv
eingeleuchtet, in dem B. das Erzbift Mainz an fich genommen
haben foll. Doch fieht Priefack felbb darin

nur einen der Gründe, die andern kämen wohl in einer
Fortfetzung der Arbeit zur Sprache. Diefe Unficherheit
liegt aber in dem Stand des Materials, das an den
Punkten, wo vor 15 Jahren die gröfsten Lücken klafften,
trotz aller neuen Publicationen auch jetzt noch oft genug
keine feben Ergebnifse gebattet.

Breslau. Karl Müller.

Frank, f Geh.-R. Prof. Fr. H. R. v., Geschichte und Kritik
der neueren Theologie, insbefondere der fybematifchen,
feit Schleiermacher. Aus dem Nachlafs des Verfaffers
hrsg. von Pab. P. Schaarfchmidt. Leipzig, Deichert
Nachf., 1894. (VI, 350 S. gr. 8.) M. 5. 60

Nach der Angabe des Herausgebers hat fein Schwiegervater
, der Verfaffer, die nun durch fein Hinfeheiden
vereitelte Abficht gehabt, dereinb eine Gefchichte der
neueren Theologie zu fehreiben. Deren ,Grundbock' wird
uns in der vorliegenden Veröffentlichung eines Colleg-
heftes dargeboten, deren oben angegebener Titel noch
von dem Verf. felbb febgebellt ib. Der Herausgeber
j meint fich mit den Intentionen des Heimgegangenen im
i Einklang zu befinden, indem er jenes Heft hat drucken
j laffen. Das mag ja auch der Fall fein. Denn anderer-
! feits ib es fraglich, ob Frank, wenn ihm ein längeres
Leben befchieden gewefen wäre, in vorgerücktem Alter
im Stande gewefen fein würde, den vorliegenden Entwurf
noch wefentlich zu verbeffern, da ja fein Urtheil
über die Theologie diefes Jahrhunderts offenbar fchon
feit vielen Jahren fix und fertig war. Bebenfalls würde
alfo bei einem gründlicheren Studium der neueren Theologie
, wie es für ein felbbändiges Gefchichtswerk über
diefen Gegenband doch wohl auch dem Verfaffer noth-
wendig erfchienen wäre, eine gleichmäfsigere und abgerundetere
Darbellung zu Stande gekommen fein, als wie
fie nun vorliegt. So aber bleibt an dem vorliegenden
Werke fchon diefes formale Erfordernifs einer guten
hiborifchen Arbeit zu vermiffen, und der hierin liegende
Mangel wird auch nicht durch folche Vorzüge ausgeglichen
, wie fie ein wirklich lebendiger und den vorhandenen
Thatfachen gerecht werdender Sinn für gefchicht-
liches Sein und gefchichtliches Werden mit fich zu führen
pflegt. Allerdings werden die Anfprüche, die man
mit Recht an eine Gefchichtsdarbellung bellt, fchon durch
das Wort Kritik gemäfsigt, das mit gutem Grunde in
dem Titel des Frank'fchen Buchs nicht fehlt. In diefem
nimmt nämlich die Kritik einen fehr beträchtlichen Raum
ein. Es ib aber nicht eine Kritik, die fich aus den vorgeführten
Anfchauungen anderer Theologen mit innerer
Nothwendigkeit von felbb ergiebt, fondern es ib die dog-
matifche Kritik, die von dem doch recht individuellen
,Standpunkt des evangelifch-chriblichen Bewufstfeins' des
Verfaffers aus (S. 9), alfo nach einem zum grofsen Theil
der dargebellten Entwickelung fremden Mafsbab geübt
wird. Frank hat eben gar nicht, wie auch fchon feine
früheren dogmatifch-polemifchen Leibungen beweifen,
die für einen theologifchen Hiboriker unerläfsliche Fähigkeit
, fich in die religiöfe Stimmung und theologifche
Denkweife andersartiger Menfchen hineinzuverfetzen.
Er bellt auch nie die Frage, aus welchen inneren Gründen
andere Theologen zu anderen Refultaten kommen,
als welche ihm richtig erfcheinen. So erkennt er denn
bei anderen auch nur Irrungen und daneben mehr oder
weniger Wahrheitsmomente an, während er andererfeits
doch fo einfichtig ib, den Befitz der vollen Wahrheit
nicht ausfchliefslich für fich und feine Gefinnungsgenoffen
j in Anfpruch zu nehmen.

Zu diefem Grundmangel des vorliegenden Werkes
kommen aber noch andere. Einmal find die Vorarbeiten,
wie fie jeder gefchichtlichen Darbellung vorhergehen
muffen, wenn fie folide fundirt fein foll, bei weitem
nicht genügend. Das findet freilich bis zu einem ge-