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Ausgabe:

1895

Spalte:

570-571

Autor/Hrsg.:

Rüling, J. B.

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Eschatologie des Islam 1895

Rezensent:

Thieme, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 22.

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gehende Abhängigkeit conftatiren können, nicht nur bei
den Anfchauungen über Gottes Wefen, Trinität und
Sacramente, fondern auch in der Gnadenlehre felbft. Die
Behauptung Koch's, dafs Fauflus, anders als Auguftin,
,nur eine äufsere Gnade kenne, die wefentlich in der
Predigt und Verkündigung des göttlichen Wortes u. f. w.
beflehe' (S. 97), halte ich nicht für richtig; fie pafst auch
nicht zu dem, was Koch S. 86 richtiger fagt: dafs bei
Fauftus meiftens zwifchen äufserer und innerer Gnade,
zwifchen gratia creatoris und gratia salvatoris nicht
unterschieden werde.

Wie bei der letztgenannten Frage, fo fcheint mir
Koch auch fonft dem P'auftus noch nicht immer völlig
gerecht zu werden. Der Hauptgrund für diefen Mangel
liegt m. E. darin, dafs als das Bedenkliche an Auguftin's
Gnadenlehre nur die Prädeftinationslehre und die Irre-
fiftibilät der gratia in Betracht gezogen wird, nicht aber
der Begriff der gratia felbft. Wohl ift's zweifellos, dafs
Auguftin zahllos oft die gratia justificans als gratia
Christi bezeichnet, und man wird nicht bezweifeln können,
dafs feiner Frömmigkeit diefe Gleichfetzung von Werth
war. Aber, wenn man Ernft macht mit der Verwerthung der
fyftematifchen Grundgedanken Auguftin's, fo ift es ebenfo
zweifellos, dafs die in der Menfchheit fchon vor Chrifto,
ja fchon vor Adam in der Engelwelt wirkfame gratia
inspirationis, die das eigentlich Rettende ift, mit dem
gefchichtlichen Werke Chrifti nichts zu thun hat. Ihr
Begriff ift benimmt nicht durch Reflexionen auf die Heils-
gefchichte, fondern durch metaphyfifche Vorausfetzungen
über das Verhältnifs der gefchaffenen Geifter zu Gott, der
allein das bonutn esse hat; ihre Wirksamkeit ift bedingt
allein durch die nur in diefem Zufammenhange recht zu
würdigende Prädestination, deren Sicherheit die Irrefifti-
bilität der gratia gewährleistet. — Nur wenn man diefen
vom genuinen Auguftinismus unabtrennbaren metaphy-
fifchen Hintergrund der Gnadenlehre Auguftin's in Betracht
zieht, ift eine gerechte Beurtheilung des Semipelagianismus
möglich. Ein trauriger Irrthum des Fauftus ift es nach
Koch, dafs er die fides aus der gratia creatoris abgeleitet
hat. Bedenkt man aber, dafs bei Auguftin die Ableitung
der fides aus der gratia inspirationis nur foweit
eine Sichere ift, als es um die in die Caritas übergehende
fides fich handelt, aber unficher wird, wenn man an die
fides denkt, die auch aufserhalb der congregatio sancto-
rutn bei Nichtprädeftinirten vorkommt, — fo verringert
Sich die Breite des Grabens zwifchen Auguftin und Fauftus
hier um ein Beträchtliches. Und denkt man an all die
dialektifchen Kunftftücke, welche mittelalterliche und
moderne Scholaftik vorgenommen hat, um trotz engeren
Anfchluffes an auguftinifche Formeln — ebenfo un-
auguftinifch zu denken, als Fauftus und andere Gegner ]
der praedcstinatio particularis es gethan haben, dann i
wird der häretifche Charakter der fauftinifchen Gnadenlehre
noch fragwürdiger. Weiter ift nur die angedeutete
Würdigung der auguftinifchen Gnadenlehre im stände,
die Kirchlichkeit der Semipelagianer in das rechte
Licht zu rücken. Bei Auguftin läuft das Wirken der inneren
Gnade, fax gratia inspirationis, neben der praedicatio
und der Sacramentsverwatung in einer Weife her, welche
zu der kirchlichen Schätzung beider nicht pafste (vgl.
meinen Leitfaden der DG:! § $1,3). Dem Uebelftande war
nur abzuhelfen, wenn diegratia fei es mit der praedicatio, fei
es mit den Sacramenten enger verbunden gedacht wurde,
als bei Auguftin. Erfteres war, fo lange die gratia mit
Auguftin als eine innerlich wirkende Mittheilung einer übernatürlichen
qualitas gedacht wurde, nicht möglich: die
Verknüpfung der gratia mit der praedicatio hatte die
Gnade ,veräufserlicht', hätte an Pelagius erinnern müffen.
Die Semipelagianer haben wohl deshalb die engere Verbindung
der gratia mit den Sacramenten, fpeciell dem
Tauffacrament vorgezogen. In der Entwicklungshnie von
Auguftin bis zu dem Satze des Tridentinum: per sacra-
nicnta omnis vera justitia vel ineipit, vel coepta augetur,

vel amissa reparatur (sess. 7 prooemi) bilden die ,Semipelagianer
' das wichtigfte Mittelglied. Auf evangelifchem,
fpeciell auf lutherifchem Gebiet ift infolge biblifcher
Correctur des Gnadenbegriffs die Verknüpfung der gratia
mit der praedicatio möglich geworden, ohne dafs durch
Sie eine Annäherung an Pelagius erfolgte: das Wort felbft
ift's, das die gratia = misericordia propter Christum vermittelt
und durch die remissio peccatorum (vgl. cat. maj.
Rechenberg 497, 41) die Heiligung bewirkt. Dadurch ift,
obgleich Luther bekanntlich prädeftinatianifch dachte,
zugleich die Möglichkeit gegeben, dem böfen aut-aut auszuweichen
, das die crux der katholifchen Dogmatik ift, dem
aut-aut: entweder die fides nicht als donum dei faffen zu
können, oder die praedestinatio particularis annehmen
zu müffen. So lange nämlich Gott für die Gnadenlehre
nur in Betracht kommt als das bonuni esse, als das höchfte
ens der Metaphyfik, der Menfch als das vas honoris, dem
die Gnade ,eingegoffen' wird, folange ift's m. E. trotz
aller fcholaftifchen Diftinctionen unmöglich, das sola
| gratia und irgendwelche Freiheit des Menfchen zufammen-
zudenken. Wo aber Gott als das Subject des misereri,
der Menfch als Subject der fiducia ins Auge gefafst wird,
wo Gott und Menfch alfo wirklich als Perfönlichkeiten
gewürdigt werden, erft da, meine ich, beginnt das Reden
von einem ,Beftimmtwerden in der Form der Freiheit'
etwas anderes zu fein, als eine widerfpruchsvolle Phrafe.

Halle a/S. Loofs.

Rüling, Lic. Dr. J. B., Beiträge zur Eschatologie des Islam.

Diff. Leipzig, Harraffowitz, 1895. (74 S. gr. 8.) M. 1. 60

Diefe Leipziger Doctordiffertation ftellt in drei Theilen
die Eschatologie des Islam in ihrer Entwicklung dar. Der
erfte Theil (S. 4—40) behandelt — ausführlicher als der
gleichzeitig erfchienene zweite Theil von Grimme's /Mohammed
' — die Lehre des Koran; der zweite (S. 40—66)
die Lehre der Sünna und der Dogmatiker; der dritte
(S. 66—73) die philofophifch-apologetifche Ausbildung der
Eschatologie in ihren Grundzügen. Im zweiten Theile
hat fich Verfaffer meiftens auf den Stoff in ungedruckten
Quellen, Dresdener und Leipziger Handfchriften,
befchränkt.

Eine ausführliche, forgfältige, von einem Schüler
Fleifcher's und Krehl's herrührende Darftellung der islam-
ifchen Eschatologie ift dem Theologen gerade gegenwärtig
willkommen. Neuefte Funde und Unterfuchungen
haben das Intereffe für eschatologifche Materien geftei-
gert. Zu Bouffet's (,Der Antichrift' S. 74) Hinweis auf
die arabifche Ueberlieferung vom Antichrift findet man
Weiteres S. 44 ff. Verf. ift auf die Quellen der muham-
medanifchen Eschatologie in anderen .Religionen nur dort
zurückgegangen, wo fie zum befferen Verftändnifs der
muhammedanifchen Anfchauungen dienen. Krehl fa°t
(ASGW phil.-hift. Cl. 37, 2041): ,Man kann in den kora-
nifchen Schilderungen der Freuden des Paradiefes kaum
etwas anderes als einen ftark aufgetragenen Reft des
Heidenthums und der daran fich knüpfenden finnlichen
Vorftellungen entdecken'. Aber Grimme's (a. a. O. S. i6o'J)
Hinweis auf die Bilder vom Paradiefe in den Hymnen
Ephräm's des Syrers giebt zu denken.

Das Auftreten eines Thieres vor dem jüngften Tage
ift nach S. n ein chriftlicher Gedanke, nur mit dem Unter-
fchied, dafs die Offenb. Joh. 13, 1 ff. das Thier aus dem
Meere, Muhammed aber es aus der Erde auffteigen laffe.
Da ift merkwürdiger Weife überfehen, dafs nach v. 11
ein anderes Thier vom Lande auffteigt und dafs die
Thiere in der Offenb. Joh. Gott feindlich, das im Koran
von Gott gefandt ift, den Menfchen ihren Unglauben
vorzuhalten. Unrichtig ift es, den Glauben des Chriften
und den des Muslim hinfichtlich ihrer fittlichen Kraft fo
zu unterfcheiden, wie es Verf. S. 4 f. verfucht. Während
jener feinem innerften Wefen nach Hingabe an Chriftus
fei, liege die Kraft diefes Glaubens nicht in feinem Wefen,