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Ausgabe:

1895 Nr. 22

Spalte:

567-570

Autor/Hrsg.:

Koch, Ant.

Titel/Untertitel:

Der heilige Faustus, Bischof von Riez. Eine dogmengeschichtliche Monographie 1895

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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567 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 22. 568

Capitel mag W. für Wales Recht haben, für das übrige
Britannien fchwerlich. Mommfen's Urtheil, nicht den Angeln
und Sachfen, fondern dem römifchen Idiom fei im heutigen
England (abgefehen von Wales und Cumberland)
die alte Landesfprache gewichen (Römifche Gefchichte
V, 177) hätte W. vielleicht ftutzig gemacht, wenn er's
gekannt hätte. — Die Frage des Pelagianismus in Britannien
möchte ich nicht entfcheiden. Wo im 5. Jahrh.
auf Pelagianismus geklagt wird, ift das bezeichnend für
den Kläger; die Tragweite feiner Klage kann man nur
ermeffen, wenn man den Angeklagten verhören kann.
Das kann man hier nicht. Fastidius fpricht von den j
ftrittigen Fragen eigentlich nicht; dafs er mindeftens j
femipelagianifch dachte, ift mir trotz W. wahrfcheinlich
geblieben. Aber was berechtigt uns, nach ihm die Briten
zu beurtheilen? Wir wiffen ja nicht einmal, ob diefer
Brite nicht vielleicht aufserhalb Britanniens lebte. — In
Nebendingen ift Einiges falfch in W.'s Ausführungen:
Konftantin hat nicht ,als Katechumen Synoden präfidirt'
(S. 12) — er ift erft kurz vor feinem Tode unter die Kate-
chumenen aufgenommen (Eufeb vita IV, 61); Fauftus hat
nicht ,zwei Werke' ,de gratia und de humanae mentis
libero arbitrio' gefchrieben (S. 26) — dem Werk de gratia
(Engelbrecht S. 3—96) gab man früher jenen Doppeltitel
; aus der ep. Coelestini (Jaffö2 Nr. 381) kann man
nicht folgern, die Semipelagianer feien Presbyter gewefen
(S. 29) — es ift Diplomatie, dafs in dem Briefe an die I
Bifchöfe fo gethan wird, als fei kein Bifchof betheiligt;
dafs auf dem Concil zu Orange ,die Schüler des Fauftus'
als Pelagianer bezeichnet feien (S. 30), ift nicht nachweisbar
; das berühmte Wort des Vincenz (S. 23) beginnt mit
dem ,quod ubique' nicht mit ,quod Semper' — auf univer-
sitas ift der Katholik zunächft angewiefen. — In Ab~
fchnitt II fehlen zu dem ,4' S. 22 die Zahlen 1, 2, 3; fie
find wohl S. 11, S. 15 (With the fifth) und S. 17 {The
date) ausgefallen. Die Citate find nicht immer in Ordnung ;
S. 45 Anm. z. B. find beide Citate ungenau: Harnack '
DG II, 7 kommt der Terminus ,Chriftenthum zweiter
Ordnung' nicht vor —, II, 441 ff. bezw. II3, 439ff. müfste
es heifsen; bei meinem Leitfaden wäre ftatt S. 157 das
Richtige gewefen: 2. Aufl. 159 oder 3. Aufl. S. 178.

Halle a/S. Loofs.

Koch, Prof. D. Ant, Der heilige Faustus, Bischof von Riez.

Eine dogmengefchichtliche Monographie. Stuttgart,
J. Roth, 1895. (III, 207 S. gr. 8.) M. 3. 50

Dies Buch ift eine ,verbefferte und vermehrte Auflage'
der Auffätze, welche fein Verf. in der Theologifchen
Quartalfchrift über ,den anthropologifchen Lehrbegriff
des Bifchofs Fauftus von Riez' (71.Jab.rgg. 1889 S. 2^7—
317 u. 578—648) und über ,die Auctorität des hl. Auguftin j
in der Lehre von der Gnade und Prädeftination' (73.Jah.rgg. 1
1891 S. 95—136, 287—304 u. 455—487) veröffentlicht hat.
Der Herr Verf. hätte das erwähnen können, ohne fich
dadurch Concurrenz zu machen. Denn nicht nur die Ver-
befferungen und Zufätze empfehlen das Buch; die fepa-
rate Exiftenz der dogmengefchichtlichen Ausführungen
des Verf.'s ift auch abgefehen von ihnen ein Vortheil.
Grofse Entdeckungen bietet das Buch freilich nicht. Das
Wiffenswerthe, was es enthält, ift, foweit es eine Summe
vonEinzelerkentnifsenift, zumeiftfchon zerftreut bei älteren
Forfchern zu finden, und auch die Gefammtbeurtheilung
der dogmengefchichtlichen Stellung des Fauftus ift nicht
neu. Allein fchiefe Urtheile über die Geltung der Gnadenlehre
Auguftin's und demgemäfs über die dogmengefchichtliche
Stellung des fog. Semipelagianismus finden fich
gegenwärtig auf katholifchem wie auf evangelifchem Gebiet
noch fo häufig, dafs die ruhige und forgfältige, die bisherigen
Forfchungen zufammenfaffende und z. Th. auch
vertiefende Arbeit Koch's m. E. als ein fchätzenwerther
Beitrag zur Dogmengefchichte zu begrüfsen ift.

Ich will damit nicht fagen, dafs an dem Buche nicht
mancherlei auszufetzen wäre. Zu tadeln ift zunächft fchon
dies, dafs die Fauftus-Citate hier ebenfo wie in dem vor
Engelbrecht's Ausgabe (1891) erfchienenen Auffatz nach
Migne gegeben werden. Da Engelbrecht von der älteren
Capiteltheilung mehrfach abzuweichen guten Grund hatte,
find die Citate bei Koch in Engelbrecht's Ausgabe oft
fchwer zu finden. Dem hätte Koch unbedingt vorbeugen
müffen. Zu tadeln ift ferner, dafs Koch's Arbeit an der
Peripherie feines Stoffes nicht fo forgfältig ift als im
Centrum. Wenn von Caefarius erzählt wird, er fei ,gradezu
des Semipelagianismus befchuldigt' worden, man habe dies
durch den Hinweis auf feine Freundfchaft mit Fauftus
und auf feinen Aufenthalt in Lerinum begründet (S. 53f.),
fo find hiernurlrrthümerVillevieille's reproducirt, während
die vita Caesarii nur fehr unvollkommen ftudirt fein
kann (vgl. jetzt Arnold, Cäfarius S. 348 f.). Ebenfo läfst,
was S. 65 ff. über die Anfänge der Oppofition gegen
Fauftus im Orient getagt wird, gründliches Quellenftudium
völlig vermiffen (vgl. S. 66 Anm. 1); die Bemerkungen
z. B. über das, was der afrikanifche Bifchof Poffeffor that
(S.67f.), find z. Th. geradezu falfch und im Ganzen fchief
und ungenügend. Ob bei der m. E. ftumpfen Beurtheilung
der Schrift de vocationc omniilm gentium (S. 147) dogma-
tifche Befangenheit, oder ungenügende Durcharbeitung
der Schrift an den Mängeln fchuld ift, wage ich nicht zu
entfcheiden. Wenn (S. 124) unter Reftrictionen gefagt
wird, der Gedanke von der ,abfoluten Prävenienz der
Gnade' ,durchwehe unbeftreitbar alle [vorauguftinifchen]
patriftifchen Schriften', fo wird man nur die Dogmatik
des Verfaffers, nicht aber Schranken feines Wiffens für
diefe gewifs irrige Behauptung verantwortlich machen
dürfen.

Doch Mängel derart beeinträchtigen den Werth deffen
kaum, was den eigentlichen Inhalt des Buches bildet.
Koch zeigt, dafs Fauftus zwar formell und materiell
,Semipelagianer' war, dafs er aber erft von den fkythi-
fchen Mönchen und Fulgentius zum Ketzer geftempelt
wurde. Und zwar mit Unrecht. Denn die ganze Gnadenlehre
Auguftin's fei in der katholifchen Kirche nie accep-
tirt worden, und auch die fpäter dogmatifirte abfolute
(?) Prävenienz der Gnade habe damals noch nicht als
dogma declaratum gelten können. Diefen Grundgedanken
des Buches wird man m. E. zuftimmen können und müffen.
Im pelagianifchen Kampfe handelte es fich nicht um eine
Entfcheidung zu Gunften der pelagianifchen, oder der
auguftinifchen Lehre. Auguftin war der geniale Anwalt
antipelagianifcher Gedanken, die älter waren als er. Dafs
er neben diefen zugleich die fpecififch auguftinifchen Gedanken
vertrat, ift für die Feftftellung deffen, was anti-
pelagianifche Orthodoxie war, nicht wichtiger, ja ungleich
unwichtiger, als Marcell's ,Monarchianismus' für die Beurtheilung
des von ihm vertheidigten Nicaenums. Die
,Semipelagianer' waren Vertreter jener von der fpecififch
auguftinifchen Gnadenlehre überholten vulgärkatholifch-
antipelagianifchen Gedanken und kehrten als die Vertreter
dieser vetustas fich factifch auch gegen die novi-
tates Auguftin's. Die Frage, ob man fie deshalb zweck-
mäfsiger Vertreter eines anti-auguftinifchen oder eines
anti-pelagianifchen Vulgärkatholicismus nennen foll (vgl.
Krüger's Bemerkungen gegen mich in Nr. 9 d. Ztg.
Sp. 368f.), will ich anderen zur Entfcheidung überlaffen.
Mir fcheint, ganz abgefehen davon, dafs ich ein Meffen
an dem cenfurirten Ketzer für richtiger halte als ein
Meffen an den Privatmeinungen Auguftin's, das Erftere
deshalb richtiger, weil die Semipelagianer von Pelagius
nichts gelernt haben — was fie mit ihm gemein haben,
haben fie nicht von ihm —, von Auguftin recht viel.
Koch hat (S. 92) in Bezug auf Fauftus ein vielfaches
Rückfichtnehmen auf Auguftin behauptet, hat aber leider
die Aufgabe fich gar nicht geftellt, zu unterfuchen, inwieweit
Fauftus von fpecififch auguftinifchen Gedanken abhängig
ift. Eine Unterfuchung derart würde eine weit-