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Ausgabe:

1895 Nr. 21

Spalte:

547-548

Autor/Hrsg.:

Mosapp, Herm.

Titel/Untertitel:

Die württembergischen Religions-Reversalien. Sammlung der Orginalurkunden, samt einer Abhandlung über die Geschichte u. die zeitgemäße Neuregelung der Religionsreversalien 1895

Rezensent:

Köhler, Karl

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547

Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 21.

548

Mosapp, Stadtpfr. Dr. Herrn., Die württembergischen Reli-
gions-Reversalien. Sammlung der Originalurkunden, famt
einer Abhandlung über die Gefchichte u. die zeitge-
mäfse Neuregelung der Religionsreverfalien. Tübingen.
Laupp, 1894. (VIII, 113 S. m. 1 Stammtaf. gr. 8.)M.2.—

Der Gegenftand der vorliegenden Schrift ift von
actueller Bedeutung. Die Eventualität liegt nahe, dafs
in Württemberg die Regierung an die katholifche Linie
des Regenten-Haufes fallen wird, wie bereits im vorigen
Jahrhundert das ganz evangelifche Herzogthum Württemberg
mehrere Jahrzehnte hindurch katholifche Herzoge
gehabt hat (Herzog Karl Alexander und feine nächften
Nachfolger 1732—1797). Die conftitutionelle Verfaffungs-
urkunde von 1819 nimmt mit Recht auf die Möglichkeit,
dafs der Fall fich erneuern könnte, Rückficht und enthält
mit Bezug darauf folgende Benimmung ($ 76):
,Sollte in künftigen Zeiten fich der Fall ereignen, dafs
der König einer anderen als der evangelifchen Confeffion
zugethan wäre, fo treten alsdann in Hinficht auf deffen
Episkopalrechte die dahingehörigen Beftimmungen der
früheren Religions-Reverfalien ein*. Es verfteht fich, dafs
der Gegenftand weithin im württemberger Land lebhaftes
Intereffe und auch Beforgnifse erregt. Dem Buch
von Mofapp kann unter diefen Umltänden ernfte Beachtung
in weiten Kreifen nicht fehlen. Es handelt fich um
eine Lebensfrage. Die Religions-Reverfalien des 18. Jahrhunderts
find, wie fich aus der gründlichen und belehrenden
Darftellung Mofapp's ergiebt, heute nicht mehr
anwendbar. Sie enthalten in der Hauptfache die Zu-
ficherung der ungeänderten Forterhaltung des damaligen
Kirchen- und Religionszuftandes, d. h. des Fortbeftandes
der lutherifchen Confeffion als der allein berechtigten
Landesreligion mit Ausfchlufs jeder anderen und nur
persönlicher Berechtigung des Herzogs zum katholifchen
Privatgottesdienfte. Davon kann nicht mehr die Rede
fein, feitdem das Land ein paritätifcher Staat im heutigen
Sinn geworden ift. Von Bedeutung ift nur noch die
Frage, wer an der Stelle des katholifchen Landesherrn
die Rechte der landesherrlichen Kirchengewalt über die
evangelifche Kirche des Landes auszuüben habe. Hierüber
hat der Herzog Karl Alexander in feiner letzten
Religions-Affecuration von 1732 Beftimmungen getroffen.
Er ertheilte dem Geheimen Rathscollegium die allgemeine
Vollmacht, ,alle und jede die evangelifche Religion,
Augsburgifche Confeffion, das Kirchen- und dahin einschlagendes
Oekonomie- und Polizeiwefen betreffende
Angelegenheiten nach dem Exempel von Kurfachfen
allein ohne Anfrage zu beforgen', d.h. das landesherrliche
Kirchenregiment in Vertretung des Herzogs unabhängig
und ohne deffen Einmifchung auszuüben. Hier ift die
einzige Stelle, wo in der Gegenwart an einen Rückgang
auf die alten Religions-Reverfalien gedacht werden könnte.
Doch giebt der Verf. den einleuchtenden Nachweis, dafs
auch hier eine Revifion der Reverfalien geboten ift. Die
Frage der Verwaltung des ev. Kirchenregimentes an
Stelle des katholifchen Landesherrn bedarf dringend der
Regelung, und zwar noch bevor der leider in Ausficht
Stehende Thronwechfel eingetreten ift, weil nach beftehen-
den gefetzlichen Vorfchriften manche wichtige kirchliche
Befugnifse, wie z. B. die Berufung der Landesfynode, von
einem nicht evangelifchen Landesherrn gar nicht ausgeübt
werden können, alfo in Ermangelung eines Königs
evangelischer Confeffion ein unerträglicher Stillstand entstehen
müfste. Drei Wege zu der gewünfchten Neuregelung
können nach des Verf.'s Darftellung (S. 88) in Betracht
kommen: ,1. der König regelt die Frage von fich
aus durch eine königliche Verordnung, 2. der König er-
läfst ein kirchliches Gefetz, welches zuvor von der Landesfynode
gutgeheifsen wird, 3. der König erläfst nach Be-
rathung der Stände ein Staatliches Gefetz'. Der erstgenannte
Weg ift ausgefchloffen, da es fich um einen
Gegenftand handelt, welcher nur auf dem Weg des Ge-

fetzes erledigt werden kann. Von den beiden anderen
Wegen giebt der Verf. dem unter 2 bezeichneten, Regelung
durch ein Kirchengefetz, den Vorzug, und zwar mit
Recht. Die grundfätzliche Anfchauung, von welcher der

I Verf. hier ausgeht, verdient volle Zustimmung. Das landesherrliche
Kirchenregiment ift nicht, wie fein Landsmann
Rieker es anfleht, und wie fchon vor Jahren im
württembergifchen Landtag von dem Kanzler Rümelin
behauptet worden ift, ein Stück Staatsgewalt, welches
von dem Staatsoberhaupt als folchem ausgeübt wird.
Wäre es fo, dann könnte nicht die Rede davon fein, dafs
ein Katholik von der Führung des evangelifchen Kirchen-

' regiments auszufchliefsen fei, wie ja auch die Qualifica-
tion zum Staatsoberhaupte nicht von dem Glaubensbe-
kenntnifs des Betreffenden abhängig ift. Das Kirchenregiment
des Landesherrn ift ein zu der Staatshoheit

' hinzutretendes Accefforium und feinem Wefen nach

1 kirchlicher Natur, feine Ausübung fällt daher in das Bereich
der kirchlichen Gefetzgebung. Doch ift zu beachten,
dafs die Mitwirkung der ftaatlichen Oberaufficht dabei
nicht fehlen darf und daher die ftaatliche Genehmigung
bei dem zu erlaffenden Kirchengefetz unerläfslich ist.
Diefe wird daher von dem Verf. gefordert.

Bei der vorjährigen (fünften) württembergifchen Lan-

I desfynode ift das von Mofapp empfohlene Verfahren eingehalten
worden. Die Synode berieth einen ihr vorgelegten
kirchlichen Gefetzentwurf, ,betreffend die Ausübung

! der landesherrlichen Kirchenregimentsrechte im Falle der

j Zugehörigkeit des Königs zu einer anderen als der evan-

i gelifchen Confeffion'. Der Entwurf ift mit einigen nicht
wefentlichen Modificationen von der Synode angenommen
worden. Auch der Inhalt des befchloffenen Kirchenge-
fetzes berührt fich nahe mit den Vorfchlägen unferes Verf.'s
Er deckt fich nicht ganz mit denfelben, erregt jedoch
von ihrem Standpunkt keine wefentlichen Bedenken. Erledigt
ift die Angelegenheit noch nicht, da die ftaatliche
Sanction noch ausfteht. Im Landtag find die Befchlüffe
der Synode von feiten der Centrumspartei lebhaft an-

j gefochten worden. Hoffen wir, dafs die noch fchweben-
den Verhandlungen, fo lang es noch Zeit ift, zu einem
befriedigenden Ergebnifs führen. Die fachkundige, durchweg
zutreffende Darfteilung des Gefchichtsverlaufs, welche
der Verf. giebt, giebt einen lefenswerthen und lehrreichen
Einblick in ein bedeutfames Stück Gegenreformation. Zu
manchen Zeiten, namentlich unter dem Herzog Karl
Alexander, haben fich die Mächte der Gegenreformation
bedenklich geregt, doch ift nichts erreicht worden. Es
ift fchwer zu fagen, was hätte werden können, wenn nicht
die drohenden Gefahren unerwartet wären abgewandt
worden, und wenn nicht die Vertreter des Landes, die

1 Stände, kräftig auf ihrem Platz geftanden hätten. Was
die neue Periode der Gegenreformation, welcher das
Land entgegen geht, bringen wird, fleht dahin. König
Wilhelm IL, der von feinen evangelifchen Untherthanen
jetzt doppelt hoch verehrte Nachkomme der Herzoge
Ulrich und Chriftoph, hat die Widmung des Buches angenommen
, ein Beweis, dafs er die gefchichtliche Bedeutung
des Augenblicks zu würdigen weifs.

Darmftadt. K. Köhler.

Bibliographie

von Cand. theol. Paul Pape, Zehlendorf bei Berlin.
JDeutfche £itcratur.

Holtzmann, H., u. R. Zöpffel, Lexikon f. Theologie u. Kirchenwefen.
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Hummel, F., Die Bedeutung der Schrift v. Carl Schwarz üb. das Wefen
der Religion f. die Zeit ihrer Entflehung u. f. die Gegenwart. Ein
Beitrag zur Behandig. des religionsphilofoph. Problems. Gekrönte
Preisfchrift. 2. (Titel-)Aufl. Braunfchw., Schwetfchke & S„ 1895. (XII,
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Brodbeck, A., Leben u. Lehre Buddhas, des indifchen Heilandes,
400 Jahre vor Chrifto. Nach den gründl. Eorfchgn. der erften Auto-