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Ausgabe:

1895 Nr. 21

Spalte:

540-543

Autor/Hrsg.:

Loesche, Geo.

Titel/Untertitel:

Jihannes Mathesius. Ein Lebens- und Sitten-Bild aus der Reformationszeit. 2. Bd 1895

Rezensent:

Bossert, Gustav

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539 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 21. 540

Vereins haben unwillkürlich zu der langlebigen mittelalterlichen
Fehlgeburt geführt. — Endlich gibt im
VI. Bande Rev. Th. O'Gorman (Prof. an der katholifchen
Univerfität in Washington) einen kurzen Ueberblick über
Leben und Schriften [die letzteren recht unvollftändig] des
hl. Thomas v. Aquino. Seit wann gilt the emperor
Frederick Barbarossa (!) als half Christian half Ma-
hommedan?

Aus der neueren Gefchichte bietet im V. Bande
Rev. Talbot Wilfon Chambers einen Auffatz über
Holland and religious freedom, der fich freilich an
Feinheit und Schärfe der Zeichnung nicht mit De Hoop J
Scheffer's Rede, überfetzt in den Dtfch.-evang. Blättern 1
XI (1886), 649 ff., meffen kann. Als Frucht einer italie-
nifchen Reife in Schaffs Gefellfchaft giebt fich eine Darfteilung
der Italian Renaissance of today von Rev.
G. R. Wh. Scott, in der der Verf. die Verhältnifse von
Staat, Schule, Kirche im vereinigten Königreich, fehl
optimiftifch, befpricht. Der VI. Band enthält eine bio-
graphifche Skizze von Benjamin Schmolck, dem
Liederdichter, in dem leider die deutfchen Namen mehrfach
arg verunftaltet find. Auf die Frage nach den
inneren Beziehungen des Dichters zu Orthodoxie und
Pietismus ift der Verf. (D. Dr. Rankin-Wafhington) nicht !
eingegangen, wiewohl fich ihm ein Anlafs dazu geboten
hätte, als er die Abhängigkeit Paul Gerhardt's von Bernhard
von Clairv. und Joh, Arndt berührte. Denn dafs
Schmolck's Dichtung, zumal bei der zugeftandenen kritik- j
lofen Fruchtbarkeit, ausschliefslich out of Iiis personal
life entfprungen fei, klingt wenig glaubhaft. An einer
Reihe von Ausfprüchen hervorragender englifcher Theologen
befpricht Henry C. Vedder: the doctrine of
apostolic succession in the church of England.
Nicht um die Theorie, fondern um die Gefchichte der I
Theorie ift es ihm zu thun, wenn auch als Ergebnifs
diefer letzteren die Haltlofigkeit der erfteren fich heraus-
ftellt. Die entfcheidenden Daten werden durch folgende
Sätze gekennzeichnet: 1. It does not appear, that the
theory of ap. succ. was held by any one of the men, whose
influence shaped and controlled the Reformation of the Ch.
of Engl. 2. lt is a curions fact, that the claims for a jure
divino Church-govemment was first set up in the Ch. of
Engl., öfter the Ref., by the Puritan party; and that a j
divine origin was claimed, not for Episcopacy, as we
might perhaps have expected, but for Presbyterianism.
3, The Act of Uniformity for the first time gave legal
sanction to the Church theory of episcopal orders. That
law still Stands, unmodified in that particular, as the rule
of the Ch. of Engl. 4. The indirect result of the Wesleyan
movement was seen in the growth of an evangelical ele-
ment among the bishops and clergy ofthe English Church.
5. The most powerful protest was that, which began to be
made in Oxford about the year 1833 .... Pusey and
Mozley, Canon Liddon and Dean Church . . . have power-
fully affected the life of the Church.

In befonderem Mafse wird das Intereffe des euro-
päifchen Lefers angezogen durch die Arbeiten, die der
Kirchengefchichte Amerika's gewidmet find. Der V. Band
bietet hierzu von Willifton Walker [vgl. Papers IV,
29 ff.] unter der Ueberfchrift: the Services of the
Mathers in N ew - England religious development
eine Skizze der drei Mathers in Maffachufetts: Richard
(f 1669), Increafe (f 1723), Cotton (f 1728). Füllt das
Leben diefer drei hervorragenden Männer das erfte Jahrhundert
der Kirchenbildung der Congregationaliften in
Amerika aus, fo führt der Bifchof Francis Asbury
(f 1816), deffen Leben und Werk im VI. Bande ein Auffatz
von Asbury Lowrey fchildert, in die Urfprünge
des epifkopalen Methodismus jenfeits des Oceans. Eine
dritte Arbeit — the contest for religious liberty in
Massachusetts von H. S. Burrage — zeigt in lehrreicher
Weife, aus wie langwierigen Kämpfen erft auch
drüben die volle religiöfe Freiheit hervorgegangen ift.

Es ift das Ringen des [Quäkerthums und] Baptismus um
feine Exiftenz, als deffen Ergebnifs doch erft um 1830
die reinliche Scheidung von Staat und Kirche, unter
Ausfchlufs aller interpretirenden Künfte, zum mafsgeben-
den Grundfatz der Verfaffung erhoben wird. Endlich
aber darf diefe Zeitung nicht unerwähnt laffen, in wie
feiner Weife die Gefellfchaft das Gedächtnifs ihres Gründers
und bisherigen Leiters Philipp Schaff (f 20. Oct.
1893) gefeiert hat. Nicht nur giebt der Herausgeber des
Jahrbuchs, der Secretär S. M. Jackfon in der Einleitung
zum VI. Bande eine Schilderung des Lebens und Wirkens
des Entfchlafenen — hier interffirt namentlich das
Zugeftändnifs, dafs der Schüler der Vermittlungstheologen
Tholuck, Müller, Neander für feine kirchengefchichtliche
Arbeit doch in weitem Umfang beeinflufst war von Baur's
philosopJiical grasp of historical problems, and especially
by Iiis idea of a progressive development in Jiistory —
fondern weiterhin fuchen fieben kurze Auffätze von ver-
fchiedener Hand die Ergebnifse diefes reichen Lebens in
feinen mannigfachen Beziehungen blofszulegen. Wir
lernen den feiten beweglichen und vielfeitigen Mann
kennen als literarifchen Forfcher, als Exeget, als Vermittler
deutfcher und amerikanifcher Wiffenfchaft, in
feinen Beziehungen zur lutherifchen, epifkopalen, römifchen
Kirche. Keine der genannten Kirchen konnte den Gelehrten
als den ihrigen in Anfpruch nehmen. Aber der
Sprecher der römifchen fchliefst: talis cum sis, utinam
noster esses!

Rumpenheim. S. Eck.

Loesche, Dr. Geo., Johannes Mathesius. Ein Lebens- und
Sitten-Bild aus der Reformationszeit. 2. Bd. Gotha,
F. A. Perthes, 1895. (IV, 467 S. gr. 8.) M. 6. —

Dem erften Band der grofsangelegten Biographie des
trefflichen Joachimsthaler Predigers ift rafch der zweite
gefolgt, in welchem Loefche S. 1 —187 die fyftematifche
Charakteriftik der Predigten des Mathefius, S. 188—219
die feiner Dichtungen, und als Beilagen S. 223—371 feinen
Briefwechfel, S. 372—377 die Rechtfertigungsfchrift an
K. Ferdinand, S. 378—438 eine Bibliographie und am
Schlufs ein fehr reichhaltiges Regifter giebt, für das dem
Verfaffer noch befonderer Dank gebührt. Wie kaum ein
Mann zweiter oder dritter Ordnung in der Reformationszeit
, hat Mathefius in Loefche einen Mann gefunden, der
fich mit liebevollfter Hingabe in feine Werke verfenkt
hat, um einen reichen Apparat zum Verftändnifs der-
felben zu fchaffen, in welchem der Verfaffer zugleich
feine umfaffende Gelehrfamkeit und feine faft überwältigende
Kenntnifs der einfchlägigen Literatur darthun
konnte.

Die grofse Abhandlung über Mathefius' Predigtweife
wird eine verdiente Stelle in der Gefchichte der Predigt
finden. Hier lernt man die Geiftesart der erften Generation
der Lutherepigonen in einem ihrer beften und
begabteften Vertreter kennen. Er hat treffliche homile-
tifche Grundfätze, denen er freilich nicht immer treu
bleibt, wie er felbft gefleht. Sehr intereffant ift die Charakteriftik
fchlechter Prediger S. 5, die man kurz in die
Worte zufammenfaffen kann: je weniger Vorbereitung
um fo mehr Gewäfche und Gefchelte auf der Kanzel.
Mathefius weifs fogar von folchen, ,welche fich auf den
heiligen Geift verlaffen und bezecht auf die Kanzel treten'.
Wer ift Dr. Fleck, der fein Kännlein Malvafier auf der
Kanzel gehabt? S. 98.

Bekommt man einen grofsen Eindruck von der hohen
Bildung, dem reichen Wiffen und dem Ernft des Lutherund
Melanchthonfchülers, der lebenslang treu an feinen
Lehrern hängt, lernt man feine Geiftesart als eine grundgediegene
kennen, fo fleht er doch wieder ganz als Kind
feiner Zeit da in feiner Schriftauslegung, feiner Dogmatik
und Ethik. Derfelbe Mann, der ,den einfältigen Verftand