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Ausgabe:

1895 Nr. 20

Spalte:

512-513

Autor/Hrsg.:

Müller, Dav. Heinr.

Titel/Untertitel:

Ezechiel-Studien 1895

Rezensent:

Siegfried, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 20.

512

angezeigten Schrift Carl Steuernagel in einer Unter-
fuchung über den ,Rahmen des Deuteronomiums, feine
Zufammenfetzung und Entftehung' [eine etwas auffällige,
aber durch das analytifche Verfahren des Verfaffers fich
erklärende Anordnung, da er offenbar nicht meint, dafs
der Rahmen erft nach feiner Zufammenfetzung entftanden
feij VI, 64 S. 8°, Halle, Kraufe, 1894 — ganz befonders
der erwähnten Erfcheinung eine eingehende Beobachtung
gewidmet und ift dabei zu dem Refultat gekommen, dafs
in c 5—11 zwei von Haufe aus ganz für fich beftehende
Einleitungsreden ineinander gearbeitet feien. Staerk fetzt
an demfelben Punkte feinen Hebel an, aber feine Unter-
fuchung greift weiter aus und hat fich als Ziel die Beantwortung
der Frage nach dem Inhalt und der Form
des fogen. Urdeuteronomiums geflellt. Mit grofser Sorgfalt
führt er die gefammte kritifche Analyfe noch einmal
ganz felbftändig ab ovo aus, um überall auf felbft-
erworbenem Grund und Boden zu flehen. Er beginnt
mit der deuteronomifchen Gefetzgebung, die in c. 12 bis
26 enthalten ift. Er ordnet nach fachlichen Gefichts-
punkten. Zuerft werden die Gefetze, welche den Cultus
und die Religion betreffen, vorgenommen (S. 3—13),
dann folgen diejenigen, welche das fociale und wirth-
fchaftliche Leben angehen (S. 13—26). Diefe Gefetzgebung
zeigt in ihren cultifchen Beftimmungen durchgehend
die ,Du'-Form der Anrede; da aber auch einzelne
offenbar interpolirte Stellen die ,Ihr'-Form haben, fo
fchliefst der Verfaffer, dafs die Cultusgefetzgebung des
Deut, fchon früh in einer doppelten Form, einer fingula-
rifchen und einer pluralifchen vorhanden gewefen fei, dafs
aber nur die erftere annähernd vollftändig uns erhalten fei.
Folgt aber aus den wenigen Interpolationen wirklich,
dafs auch eine vollftändige Gefetzgebung in der ,Ihr'-
Form exiftirt habe? — Ein zweiter Abfchnitt unterfucht
nun das Verhältnifs diefer deuteronomifchen Gefetzgebung
zu der von JE und zwar zunächft zu der im
Dekalog von J in Ex. 34, dann zu der des Bundesbuchs
in Ex. 20, 24—23, 19. Den Urbeftand des letzteren findet
er in den O^UBlEB 21, 2—22, 16. Die Oi-O" 22, 17—23,
19; 20, 24—26 find fpäterer Nachtrag. In den cultifchen
Beftimmungen von Ex. 22. 23 erkennt er den Dekalog
von E1, den er S. 44 auf fehr fcharffinnige Weife zu re-
conftruiren fucht. Zum Schlufs wird dann das Verhältnifs
der D^BSCa des Deut, zu denen des Bundesbuchs
unterfucht. Der Verfaffer zeigt, dafs im Deut, genau die
Gebote 3—9 des Dekalogs von E1 weiter ausgeführt
find (S. 49 f.), und dafs ebenfo die civilrechtlichen Beftimmungen
des Deut, von denen des Bundesbuches abhängen
(S. 51—53. 54 f.), welche im deuteronomifchen
Geifte überarbeitet find. Hierauf geht die Unterfuchung
zu dem hiftorifch-paränetifchen Rahmen der deuter. Gefetze
(Abfchn. 3. 4 S. 58—93) über, der in Deut. 1—II.
27—34 erhalten ift. In den pluralifchen Reden unter-
fcheidet der Verfaffer drei verfchiedene Umrahmungs-
verfuche, die ebenfo viel Ausgaben des Deut.'s vorausfetzen
. In den fingularen Reden unterfcheidet er exilifche
und nachexilifche Beftandtheile, doch laffen fich hier nicht
fo wie bei den pluralifchen beftimmte Bearbeitungen des
Stoffs erkennen und reconftruiren. Der Verfaffer ver-
muthet nur drei Refte mehrerer Redactionen. Speciell
in 7, 12—24 fieht er ein Fragment einer redactionellen
Einarbeitung der deuter. Gefetzgebung in die Quelle E.
— Im fünften Abfchnitt (S. 94—110) wird das Verhältnifs
unferes Deut.'s zum Gefetzbuche des Königs Jofia
erörtert und ein fehr intereffanter Verfuch einer Re-
conftruction des Urdeuteronomiums gemacht. Diefes
Buch hat nach dem Verfaffer die cultifchen Vorfchriften
des Deut's in ihrer Urgeftalt mit der fingularifchen Anrede
enthalten und damit die dem Bundesbuche ent-
fprechenden deuteronomifchen QirjEBB in Zufammen-
hang gebracht. Dadurch ward es möglich, dafs das
Ganze den Eindruck der mofaifchen Autorfchaft machte,
von dem 2 K 22. 23 die Rede ift. Auch diefes Urdeut.

hatte bereits eine gelchichtliche Einkleidung Deut. I, 6 ff.,
die eine Nachbildung von Jof. 24 [nach dem Verfaffer
die alte elohiftifche Einleitung zum Bundesbuch] in plu-
ralifcher Anredeform war. Neben ihr ging in Deut. 2. 3
eine jetzt verflümmelte fingulare Recenfion her. — Ein
merkwürdiger Verfuch einer Reconftruction des Gefetzbuches
des Jofia ift im Anhange S. Iii —119 gemacht.—
Die Arbeit zeigt viel Fleifs, Scharffinn und kritifche
Begabung und verdient jedenfalls allgemeine Beachtung.

Jena. C. Siegfried.

Müller, Prof. Dr. Dav. Heinr., Ezechiel-Studien. Berlin,
Reuther & Reichard, 1895. (65 S. gr. 8.) M. 3. —

Methode und Uebung laffen es dem Epigraphiker
bisweilen gelingen, aus kärglichem Material überrafchende
Auffchlüffe zu gewinnen. Es mufs darum mit Dank be-
grüfst werden, wenn ein folcher, dem den fchwierigften
i Infchriften gegenüber fchon fo Manches gelungen ift,
| auch an den dunkeln Stellen eines fo fchweren Schrift-
t ftellers, wie Ezechiel ift, feine Kunft verfucht. Eine crux
| bleibt da vor allem der Thronwagen, auch wenn man
längft über die 30 Jahre hinaus ift, die die Rabbinen für
j fein Studium verlangt haben. Unfer Verfaffer widmet
feiner Erklärung die S.S. 7—29. DenEinflufs der Vifionen
des Micha in 1 K. 22 und der Theophanie in Jes. 6 auf
die des Ezechiel möchten wir nicht fo hoch anfchlagen
wie der Verfaffer S. 8—10. Jahve auf einem Throne
fitzend vorzuftellen war doch wohl feit der Königszeit
eine fehr natürliche und allgemeine Anfchauung. Auch
können wir trotz aller Anerkennung der Grofsartigkeit
des Gedankens, der in der Combination der Wetterwolke
mit dem Bilde des Thrones Gottes bei hlzechiel liegt,
doch nicht umhin, eine gewiffe Impotenz der plaftifchen
Phantafie des Propheten in der Ausmalung der Einzelheiten
zu finden, nach denen felbft bei unterem Verfaffer
diefer himmlifche Wagen doch als eine recht unpraktifche,
unbeholfene und unfehöne Einrichtung erfcheint (vgl
S. 14 f. nebft der Zeichnung dafelbft). Namentlich fieht
man auch nicht ein, zu welchem Zwecke der Prophet
fich die Quälerei der Hineinarbeitung der affyrifch-baby-
lonifchen menfehenköpfigen geflügelten Stier-und Löwen-
j bilder auferlegt hat, die, obwohl fo ftatuenhaft immer
j nach derfelben Weltgegend blickend, doch als geiftbelebte
Wefen vorgeftellt werden. Nach des Verfaffers Anficht
(S. 19) haben fie auch fpäter den Ezechiel genirt, fo dafs
er in c. 10 die Chajot durch die Kerubim erfetzt. Auch
darin können wir dem Verfaffer nicht beiftimmen, dafs
in der Zeit von c. 1 Jahve noch nicht feinen proviforifchen
1 Wohnfitz auf dem Götterbergedes Nordens eingenommen
gehabt habe(S. 15. 25), da ,der Weg von Jerufalem nach Babylon
niemals durch die zwifchen Syrien und Mefopotamien
gelegene Wüfte, fondern über Nordfyrien in einem weiten
1 logen herumgeführt habe'. — War denn Jahve genöthigt,
I mit einer Handelskarawane zu reifen? Haben nicht die
Propheten ftets die Rückkehr der Exulanten durch die
in einen Blumengarten verwandelte Wüfte unter Jahve's
Fuhrung ftattfinden laffen Jef. 35, 7—IO; 40, 3 f.; 43, 19 f.;
48, 20 f.; 49, 8—Ii? Was follte ihn alfo hindern, auch
allein diefe Reife zu machen? — Viel Mühe verwendet
der Verfaffer auf die Rettung von c. 10, 14 (S. 20—23),
wo er DTD für eine von Ezechiel felbft ftatt 11© gemachte
Aenderung erklärt; damit ift aber die grofse
I Schwierigkeit gegeben, Kerub in demfelben Capitel einmal
von den K<=ruben der Bundeslade (10, 4) und einmal
für den Stier des Thronwagens (v. 14) faffen zu müffen.
— In der zweiten Unterfuchung S. 29—34 über die Sendung
des Propheten fpürt man fo recht den Epigraphiker,
der gewohnt ift, aus den flehenden Formeln der Infchriften
{ feine Schlüffe zu ziehen. So verfolgt er die bei Prophetenweihen
üblichen Formeln des Sendens und Gehens
! (Jef. 6, 8 Ez. 2, 2 f. 3, 1) bis zu ihren älteren Quellen Ex. 3 f.
Ri. 6, deren engen Zufammenhang er nachweift (S. 31 f.).