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Ausgabe:

1895 Nr. 18

Spalte:

465-468

Autor/Hrsg.:

Staehelin, Rudolf

Titel/Untertitel:

Huldreich Zwingli. Sein Leben und Wirken, nach den Quellen dargestellt. (In 4 Halbbdn.) 1. u. 2. Halbbd 1895

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 18.

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halten werden, und die auch auf dem Lande möglich j
find, zumal derjenigen, die volksmäfsig find und der- !
jenigen, die wefentlich nur Klöltern eignen. Um eine !
Ueberficht über das zu geben, was man in dem neuen
Werke fuchen darf, gebe ich ein Inhaltsverzeichnifs. Es |
handelt fich darin auch um eine Reihe privater, häuslicher
Devotionsübungen, die die Kirche empfiehlt, be-
fonders denjenigen, die nicht in der Lage find, den 1
Gottesdienften des betreffenden Tages beizuwohnen oder
auch gerade denjenigen, die in diefer Lage find, damit
fie fich richtig bereiten. Nach einem längeren Vorwort
befpricht M. auf S. XXIV—CXII in comparativer Weife j
die orthodoxe und römifche Form des Mefonyktikon
und Apodipnon; dabei erläutert er das Wefen eines
Kanon, eines Akathiftos und der Theotokien, auch beleuchtet
er die ,Verehrung des hochheiligen, lebenfpen-
denden Kreuzes', ,die hochheiligen Geheimnifse des
allerreinften Leibes und Blutes des Herrn', fchliefslich
die täglichen Gebete am Morgen, am Abend, fowie
beim Effen, den ,Dienft der Panagia', das Rofenkranz-
gebet. Mannigfach berührt er dabei auch koptifche,
fyrifche und armenifche Verhältnifse. Dann folgen die
Formularien felbft. Zuerft Morgengebete, dann das
Mefonyktikon a) für die Wochentage, b) für den Sabbath,
c) für den Sonntag, dann das grofse Apodipnon, daran
anfchliefsend der Bufskanon des h. Andreas von Kreta,
das kleine Apodipnon, eine Reihe Kanones und Akathifti,
die ,vierundzwanzig Iken zum theuerwerthen Kreuze',
fchliefslich eine Anzahl Gebete (am Abend vor der
Communion, am Morgen vor der Communion, nach der
h. Communion etc.).

Giefsen. F. Kattenbufch,

Staehelin, Prof. Dr. Rud., Huldreich Zwingli. Seih Leben
und Wirken, nach den Quellen dargeftellt.(In4 Halbbdn.)
i.u. 2. Halbbd. Bafel, Schwabe, 1895. (VIII, 535 S. gr. 8.)

a M. 4. 80

Das Bedürfnifs einer neuen Biographie Zwingli's, die
den heutigen Anfprüchen genügt, ift unbeftreitbar. Das
zweibändige Werk Mörikofer's, das f. Z. Treffliches bot,
— es erfchien 1867/69 — konnte das reiche Quellenmaterial,
welches feitdem erlchienen ift und in den Actenfamm-
lungen von Strickler zur fchweizerifchen Reformations-
gefchichte und von Egli zur Züricher, wie in dem Archiv
für fchweizerifche Reformationsgefchichte fich darbietet,
noch nicht benützen. Dazu kommt eine ganze Reihe
kleinerer Studien und endlich das grofse Werk von A.
Baur über Zwingli's Theologie. Sollte der Abftand
zwifchen dem Ehrendenkmal, das Köftlin mit feinen
beiden Bänden Luther gefchaffen, und Zwingli's Lebens-
befchreibung nicht länger beftehen, fo war es höchfte
Zeit für eine Biographie in grofsem Stil. Und niemand
war wohl mehr dazu berufen, als Rudolf Stähelin, deffen
(Huldreich Zwingli und fein Reformationswerk' eine
Zierde unter den Schriften des Vereins für Reformationsgefchichte
bildet, und der wie kein anderer die ein-
fchlägige Literatur beherrfcht. Stähelin weifs trefflich
zu fchildern, fo dafs der Lefer das Lebensbild Zwingli's in
klaren, fcharfen Umriffen vor fich fieht und fich des
innern Fortfehritts in feinen einzelnen Stufen freuen
kann. Ganz befonders klar treten jetzt die Zufammen-
hänge zwifchen Zwingli's Leben und Wirken und der
Politik der Eidgenoffen hervor. Mörikofer mufste hier
noch mit einem mangelhaften Material haushalten, während
Stähelin Dank den Werken Strickler's und Egli's
aus dem Vollen fchöpfen konnte. Die Schwierigkeiten,
welche Luther's Werk bei dem Kaifer und den Reichs-
fländen fand, haben ihre Parallele in der Haltung der
Tagfatzung gegenüber von Zwingli, nur find alle Verhältnifse
innerhalb der Eidgenoffenfchaft befchränkter,
aber der Widerfland der altgläubigen Staatsgewalt in

Verbindung mit den felbftfüchtigen, unpatriotifchen Strebungen
der Geldariftokratie ift hier und dort von dem-
felben Geift befeelt und fchlägt ähnliche Wege ein. Der
deutfehe Lefer, der das Buch nicht anders als mit dem
Blick auf den Deutfcheften der Deutfchen, auf Luther,
lefen kann, ftaunt über das praktifche Gefchick Zwingli's
in den fchwierigften Fragen, fein Organifationstalent und
feine kühle Nüchternheit. Aber Stähelin ift kein Pane-
gyriker. Ohne Rückhalt deckt er die Flecken in
Zwingli's Entwicklung auf, ohne dafs die Nachtreter
Janffen's das Recht gewinnen, zu triumphiren; er gefleht
die Schranken feines Wefens unbefangen zu. Wer aus
dem Kreife der Lutherfreunde an Zwingli's Leben herantritt
, wird überrafcht von der Heimlichkeit, mit der
Zwingli feinen Eheltand beginnt, von der nüchternen
Gefchäftsmäfsigkeit im Briefwechfel mit feiner Gattin bei
aller Biederkeit und Treuherzigkeit. Jene Heimlichkeit
weift bei Zwingli, der fonft fo geradezu, fo offen und
muthig vorwärts fchreitet, doch auf etwas Unfertiges,
während in feinem Briefwechfel die Weihe der gemüth-
vollen Poefie, die Luther's Briefe an feine Käthe fo
anziehend macht, zurücktritt. Das läfst fich auch bei
Zwingli's Dichtung beobachten (S. 161). Stähelin fagt
S. 164: ,Weder die Melodie noch der Text laffen fich
mit der einfachen und volksthümlichen Weife vergleichen,
in der fpäter Luther das evangelifche Lied zum Ge-
meindegefang gemacht hat. Die nach den Regeln der
Schule in einander gefchlungenen Verfe und die kunft-
voll gefetzte Weife (in Zwingli's Lied) konnten wohl als
poetifche und mufikalifcheKunftleiftung Andacht erwecken
und erbauen, aber ein Kirchenlied, wie es die evangelifche
Kirche als Erfatz für den priefferlich-myftifchen
Cultus nöthig hatte, konnte fich nicht aus ihm hervorbilden
'. Auch Zwingli's ablehnende Haltung gegenüber
der kirchlichen Kunfl, den Bildern, der Orgel, dem Kirchengefang
weift darauf hin, dafs Zwingli's Begabung mehr
auf dem Gebiet des kühlen, nüchternen, praktifchen Ver-
ftandes lag, als auf dem des Gemüthes. Wie viel ruhiger
ift doch dasUrtheil des Kommenthurs Schmid in diefen
Dingen!

Was die von Zwingli und feinen Biographen betonte
Selbftändigkeit gegenüber von Luther betrifft, fo ift die-
felbe für den Beginn feiner inneren Loslöfung von Rom
und feiner evangelifchen Predigt unbeftreitbar. Aber es
wird doch noch einer genaueren Unterfuchung bedürfen,
um feftzuftellen, wie weit Luther's ureigene Gedanken,
welche rafch Gemeingut wurden, auf Zwingli eingewirkt
haben und bei ihm wiederklingen. Gerade hier hat das
,Unbewufste' feine Macht und fein Recht. Um hier Klarheit
zu fchaffen, bedarf es einer eingehenden Vergleichung
von Luther's Erftlingswerken und Zwingli's Schriften.
Wer z. B. vom Studium der Kirchenpoftille Luther's an
die Biographie Zwingli's herankommt, hört hier manch-
fach Saiten anklingen, deren Ton er auch bei Luther
vernommen. Der hier verlangte Nachweis geht über die
Aufgabe des Biographen hinaus, aber er ift doch unentbehrlich
, um über das Mafs der Selbftändigkeit Zwingli's
ein ficheres Urtheil zu ermöglichen. Recht dankenswerth
ift die Analyfe, welche Stähelin von Zwingli's Werken
nach dem Vorbild Köftlin's giebt. Freilich bekommt
man bei näherer Betrachtung nicht nur den Abftand
zwifchen der Productivität Luther's und Zwingli's, fondern
auch den Unterfchied zwifchen den Ausgaben von Luther's
und Zwingli's Werken zu fpüren. Ganz befonders macht
fich das bei der Vergleichung des Briefwechfels beider
Männer fühlbar. Wie fchmerzlich mochte Stähelin die
Hülfe vermiffen, welche z. B. Enders in Luther's Briefwechfel
und Kawerau in dem des Julius Jonas den Biographen
bieten! Mit Bedauern lieft man bei Stähelin
S. VII, dafs die Ausficht auf eine neue Ausgabe von
Zwingli's Werken in die Ferne gerückt ift. Ja felbft für
den Briefwechfel mufs fich Stähelin mit dem Wunfche
eines Nachtrags, eines Perfonenregifters und einer Revifion

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