Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1895 Nr. 1 |
Spalte: | 27-28 |
Autor/Hrsg.: | Frommel, Emil |
Titel/Untertitel: | Neue Christoterpe. Ein Jahrbuch. 16. Jahrg. 1895 1895 |
Rezensent: | Kühn, Bernhard |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
27
Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. I.
28
fundene Gemeinfchaft zu bezeugen. Ein Zeichen davon
ift die obengenannte Schenkung an den Verlag der
Mifüonshandlung. Schon um diefes Zweckes willen wollte
Ref. gern dem Wunfeh entfprechen, in der Kürze auch
in diefen Blättern auf das Buch hinzuweifen. Noch mehr
aber wegen feiner Eigenart. Wohl verlangt es die
Wahrhaftigkeit gegen den ehrwürdigen Verfaffer, hervorzuheben
, dafs die theologifche Begriffswelt manchen
da und dort fremd angemuthet hat. Z. B. die beftän-
dige Bezugnahme auf den Urftand bei der Schilderung
der Sunde, manche Einzelausführungen über das Wie
der Verföhnung, über die Bedeutung der Kirche. Aber
,dies finnende Betrachten des heiligen Wortes vor dem
Angefichte des Herrn, dies andächtige Ueberlegen, dies
dankerfüllte Preifen über dem Worte, dies Reden aus
demfelben mit Ihm, dies Suchen und Fragen, dies ftille
Hören und Lernen .. .' ift fo herzlich, fo urfprünglich,
fo einfach wahr, dafs man tief durchdrungen wird von
der Ueberzeugung, nicht nur für ihn felbft find das
Feierftunden gewefen, fondern auch anderen darf er
folche bereiten, die in dem Einen Heilsglauben flehen.
Und das eben fcheint mir ein Hauptvorzug diefes Buches,
es ftärkt in unferer zerriffenen Gegenwart die Gewifsheit
der communio sanetorum, aus der heraus es redet. Dazu
darf man fich erquicken an der klaren hellen Sprache
eines reichen und reifen Gemüthslebens, fie erinnert
unwillkürlich an grofse Vorbilder der Meditation, die
offenbar dem Herrn Verfaffer einft in den Jahren des
Werdens perfönlicher Befitz geworden find.
Göttingen. Th. Häring.
Neue Christoterpe. (1895.) Ein Jahrbuch, hrsg. von Emil
Froramd, Wilh. Baur u. Rud. Kögel. Bremen,
Müller, 1895. (VII, 366 S. 8.) M. 4. —; geb. M. 5. —;
m. Goldfehn. M. 5. 20; Liebhaber-Ausg. in Halbfrz.
M. 8. —
Eingeleitet wird das Jahrbuch durch eine Erftlings-
gabe des Profeffor Schlatter: das Bild Jefu nach der
Bergpredigt, welches Bild jedenfalls nach einer eigenartigen
Auffaffung gezeichnet ift. Soviel wir wiffen, ift
noch nirgends mit diefer Beftimmtheit aus der Verkündigung
der Bergpredigt diefe Herrengeftalt gewonnen
worden, die fich felbft und alles ihr Zugehörige unter
das Gefetz der unbedingten Verzichtleiftung ftellt. Es
wird verzichtet für den Aufbau und Ausbau des Himmelreichs
auf Alles und Jedes, was nach menfehlicher
Meinung dafür wünfehenswerth oder nothwendig zu fein
fcheint, auf Geld, Namen, Recht, Sicherheit und Erfolg,
aber freilich nur, um für jedes dahingegebene Gut ein
entfprechendes höheres einzutaufchen. Diefe Darfteilung
ift in den meiden ihrer Einzelzüge felbftverftändlich nicht
neu, aber in diefer grundfätzlichen Durchführung fehr
beachtenswerth. Die Kirchengefchichte ift diesmal nur
durch zwei Kleinmalereien vertreten, deren Bedeutung
an die theilweife fo wichtige Darftellung einzelner Per-
fönlichkeiten oder Zeiträume in früheren Jahrgängen
natürlich nicht heranreicht. Doch wird man gern Kennt-
nifs nehmen von der gemüthvollen Erzählung Karl
Buchrucker's ,Das Pfarrhaus im Steigerwald', worin
das paftorale Leben und Wirken eines feiner Vorfahren,
eines glaubenswarmen Bekenners in öder Zeit des ver-
flandesmäfsigen Chriftenthums, mit liebender Berück-
fichtigung des Kleinen und Kleinften gefchildert wird.
Dasfelbe gilt von Otto Funcke's ,Ein Paftoren-Original'.
Das ift fein Grofsvater, der rheinifche Paftor Neumann,
dem nach des Enkels Befchreibung allerdings Niemand
das Zeugnifs der Originalität verweigern wird, wenn auch
mit gemifchten Empfindungen. Denn folche Paftoren,
die nicht fowohl das feligmachende Wort, als, fo zu
fagen, den feligmachenden Buchftaben predigten, haben
vielleicht einzelnen Seelen genützt, aber dem Ganzen
der Kirche nicht wenig gefchadet. Uebrigens fleht die
Erzählung auf der Grenze zwifchen Gefchichte und Belle-
triftik, womit nicht an der Thatfächlichkeit der Mittheilungen
gezweifelt fein Poll. Höheres leiftet auf diefem
Gebiet die Erzählung ,Winterfonnenwende' von Max
Vorberg. Hier wird der Verlauf eines Weihnachtsabends
in dem heidnifch-römifchen Köln zur Zeit Julian's
geiftvoll ausgenutzt zur Schilderung des Aufeinandertreffens
des römifchen, wie des germanifchen Heidenthums
mit dem in jugendlicher Kraft fich erhebenden
Chriftenthum, das mit feiner Gewalt der Bruderliebe den
Sieg über die Herzen davonträgt. Biblifche Lehre bietet
die Studie, in welcher Emil Frommel das Charakterbild
des Petrus zeichnet, denn es find dabei nicht nur alle
Ausfprüche der Bibel, die von Petrus flammen und fich
auf ihn beziehen, zur Beurtheilung herangezogen, fondern
es ift auch Art und Kraft feines apoftolifchen
Schriftftellerthums in kurzen, treffenden Worten be-
fchrieben. Der Verfaffer unterfcheidet die Perioden der
Berufung des Jüngers, feiner Erziehung durch die per-
; fönliche Gemeinfchaft und feiner Vollendung als des
! Apoftels, der fo zu fchreiben verftand. Das ethifche Gebiet
betritt Wilhelm Baur mit feiner Sammlung von
Auffätzen unter dem Titel ,Der Umgang des Chriften
mit den Menfchen'. Sie reihen fich an einander als Be-
fprechungen im edel volksthümlichen Ton über allerhand
in dem Thema liegende Fragen und halten fich fern
von gelehrter Zuthat, die dem Zweck des Jahrbuches
nicht entfprechen würde; aber die trefflichen Ausführungen
, reichlich mit Lefefrüchten ausgeftattet, bilden doch
auch formell ein in fich gefchloffenes Ganzes, dem wohl
die erfte Stelle unter den diesjährigen Gaben einzuräumen
fein dürfte. Auch die Geiftlichkeit bekommt ihr Theil
in einer ernften, mahnenden Würdigung des Klagerufes,
I den fo Viele erfchallen laffen: Kein Umgang! oder wie
er wohlklingender am häufigften gehaltet wird: Keine
Anregung! Aus der Zahl der übrigen Beiträge, von
denen diesmal die meiften irgendwelche Berührung mit
Kirche oder Theologie haben, heben wir hervor die
Studie von F. Senf über die Welt der Symbole, die
fich allerdings nur andeutend bewegen kann auf diefem
Riefengebiet, und den Auffatz von Gaedertz über die
Beziehungen des Dichters Tegner zu Deutfchland; in
dem letzteren ift es das aufseramtliche Thun bekannter
Theologen, das unfer Intereffe in Anfpruch nimmt, das
dichterifche Schaffen des Bifchofs von Wexiö und die
Begeifterung feines vornehmften deutfehen Interpreten,
des Confiftorialrath Mohnike, für die Kinder feiner Mufe.
Endlich erwähnen wir von den Früchten der poetifchen
Abtheilung, wo wieder die Damen vorherrfchen mit
theilweife recht hübfehen Beiträgen, die nach einer
Tholuck'fchen Vorarbeit hergeftellte Ueberfetzung einer
perfifchen Legende ,Der Teufel als Wecker zum Gebet'
von Guftav Diettrich und eine in kraftvoller Schönheit
erklingende epifche Darftellung des vergeblichen Kampfes,
den Julian der Abtrünnige gegen den Chriftenglaubcn
geführt hat, von Wilhelm Klofe.
Dresden. Dr. phil. B. Kuhn.
Preisaufgaben.
Die Comenius-Gefellfchaft hat für 1895 zwei Preisaufgaben ausgeschrieben
: die erfte fordert eine Darftellung des ,Unterrichtes in der
Sittenlehre nach Comenius', die zweite hat ,Das Schulwefen der böh-
mifchen Brüder bis zur Auflöfung der Brüderfchule in Liffa' zum Gegen-
ftand. Unter den Reformgedanken des Comenius, die heute noch der
Verwirklichung harren, ift die Erhebung der Sittenlehre zum felbftändigen
i Lehrgegenftand keiner der unwefentlichften, und es bietet diefe Frage
gegenwärtig ebenfo wie die nach der Einrichtung des vorzüglich organi-
firten Schulwefens der böhmifchen Brüder zugleich ein wiffenfehaftliches
und ein practifches Intereffe dar. Die erfte Arbeit ift bis zum 3i.Auguft,
die zweite bis zum 31. December bei dem Vorfitzenden der Gefellfchaft,
Archiv-Rath Dr. Keller in Münfter (Weftf.), einzureichen. Das Preisausschreiben
felbft wird von der Gefchäftsftelle der Comenius-Gefellfchaft
auf Anfordern koftenlos überfandt.