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Ausgabe:

1895 Nr. 17

Spalte:

446-447

Autor/Hrsg.:

Krüger, G. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Sammlung ausgewählter kirchen- und dogmengeschichtlicher Quellenschriften, als Grundlage für Seminarübungen. 10. Hft 1895

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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445 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 17. 446

Betonung aber, wie die vorliegende Arbeit zeigt, doch
nicht überfliiffig geworden ift. Diefelbe wimmelt von
falfchen und fchiefen Frageftellungen, die einzelnen
Ausfagen Juftin's werden an der Gedankenkette der
hergebrachten dogmatifchen Anfchauung aufgereiht, die
Gotteslehre Juftin's wird auf fünf Seiten (am Schlufs!)
behandelt, die ,oft fchon behandelten transcendenten
Glaubensobjecte, Trinität, Logos' — läfst die Arbeit un

mit allen möglichen Mitteln in die Ecke gefchoben, und
als harmlos und bedeutungslos hingeftellt. J. habe mit
diefer Ausführung nur die Verantwortlichkeit des mit
freiem Willen begabten Menfchen vor Gott betonen
wollen. Das ift vielleicht richtig, aber wie nun, wenn
diefes Motiv J.'s einer feiner Grundgedanken war, und
diefer nicht nur zufällig mit jeder eigentlich chrifto-
centrifchen Auffaffung der Erlöfung in Widerfpruch fleht?

beachtet und handelt von Anthropologie (Sündenfall), Uebrigens giebt Verf. zu, dafs Chrifti Werk bei J. wefent-

Nothwendigkeit der Erlöfung, Befchaffenheit der Erlöfung, lieh in der Mittheilung von Erkenntnifs, in Belehrung

Art und Weife der Erlangung des Heils, — und dabei befteht. Aber noch von einer andern realeren Seite werde

foll ein wirkliches, zur Beurtheilung ausreichendes Ver- das Werk Chrifti aufgefafst, es bedeute Befreiung von

ftändnifs Juftin's herauskommen! Der Verf. bemüht fich
überall nachzuweifen, dafs es mit der HeterodoxieJuftin's
nicht gar fo fchlimm fleht; wo ein offenbarer Mangel
zugegeben werden mufs, fehlt niemals eine Entfchul-
digung, eine Wendung zu Gunften der guten Abficht
Juftin's. Es fehlt dem Verf. ganz der Blick für das
Wefentliche und Unwefentliche, er klammert fich fehr oft
an einige wenige Ausfprüche, um Juftin zu retten, er
vergifst dann jedesmal zu fragen, welche Stellung diefe
Sätze innerhalb der Gefammtanfchauung einnehmen, ob
fie grundlegend oder nur von nebenfächlicher Bedeutung,
ob fie original oder überkommen find. Er verfteht nicht,
e silentio zu argumentiren. Umgekehrt reifst er leicht
einzelne bedenkliche Ausführungen Juftin's aus einem
gröfseren Zufammenhang, um fie dann als für fich allein-

der Macht der Dämonen. Aber diefe Befreiung von den
Dämonen vollzieht fich, wie es fcheint, bei J. wefentlich
durch Mittheilung der vollkommenen Gotteserkenntnifs.
Man darf nicht vergeffen, dafs es ja hauptfächlich der
Mangel an diefer Gotteserkenntnifs ift, durch welche die
Dämonen im Götzenthum über die Heiden herrfchen.
Fl. fucht vor allem die Sätze abzufchwächen, dafs das
Chriftenthum die vollkommene Philofophie und das neue
Gefetz fei. Dafs J. fich des Unterfchieds zwifchen Chriftenthum
und hellenifcher Philofophie bewufst war, ift
felbftverftändlich. Mit der Ausführung diefer felbftver-
ftändlichen Wahrheit hat Fl. aber eben noch nicht widerlegt
, dafs es ungemein charakteriftifch ift, wenn J. das
Chriftenthum die allein fichere und nützliche Philofophie
nennt. Vergebens bemüht Fl. fich, den durchaus mora-

ftehende Sätze zu betrachten, mit denen man es nicht j lifchen Grundzug der Frömmigkeit J.'s abzufchwächen.

ernft zu nehmen braucht. Verf. betont aufserdem in der
Einleitung, dafs man darauf zu achten habe, dafs J. in
den Apologien nicht fein ganzes Chriftenthum entwickele
, fondern dafs er hier die rationale und die der
Welt der Römer und Griechen mehr zugewandte Seite
des Chriftenthums darlege, alfo aus apologetifchen Motiven
fchreibe, nicht aber lehrhaft das Wefen des Chri-

Dafs der Ausdruck neues Gefetz aus prophetifchen
Stellen zu erklären fei, ift eine höchft unglückliche Auskunft
. Nach J.'s Auffaffung ift das Chriftenthum in der
That ein Complex herrlicher fittlicher Vorfchriften, eine
Anweifung, wie man zum ewigen Leben kommt. Ich
fehe auch nicht ein, wie man immer fo verächtlich von
dem Moralismus diefer Anfchauungswelt redet, zwar

ftenthums darlegen wolle. Daher verdiene der Dialogus wenig paulinifche und johanneifche Frömmigkeit, aber
unbedingt den Vorzug vor den Apologien. Das ift an doch immerhin ein Stück wenigftens vom Evangelium,
und für fich nicht unrichtig, ich kann nur — und dies | von feiner ernften und nüchternen fittlichen Kraft lebt
eben hebt jene Ausführung eigentlich wieder auf — in diefem Moralismus der Apologeten weiter — und mit

keinen grofsen Unterfchied zwifchen Apologien und
Dialog entdecken. Wenn aber dann der Verf. — wie es
fcheint — der Meinung ift, dafs in den uns nicht erhaltenen
nichtapologetifchen Schriften Juftin's ein noch
tieferes und reineres Chriftenthum vorliege, fo läfst fich
darüber bei den wenigen uns erhaltenen Fragmenten
kaum ftreiten.

Es wäre eine überflüffige Mühe, allen einzelnen Auf-
ftellungen des Verf.'s nachzugehen. Bei den a priori verfehlten
Frageftellungen bringt eine folche Auseinander-
fetzung wirklich keinen Ertrag. Es foll nur an einigen
Behauptungen des Verf.'s feine Methode illuftrirt werden.
Der Verf. giebt felbft zu, dafs J. in feiner Anthropologie
zwifchen dem urfprünglichen Zuftand und dem gegenwärtigen
des Menfchen keinen Unterfchied mache, er
fagt ausdrücklich (S. 13): ,es ift freilich fchwer, das Ver-
hältnifs diefes Zuftandes zu dem des Urftandes zu be-
ftimmen, da J. keine Vergleichung anftellt'. Dennoch
verfucht er, die Lehre vom Sündenfall und feinen Folgen,
allerdings in einer fehr abgefchwächten Form, in das
Gedankenfyftem J.'s einzugliedern. Er hätte e silentio
fehen und betonen müffen, dafs J.'s Gefammtanfchauung
eigentlich gar keinen Platz für diefes Dogma hatte, und
dafs alles, was fich in diefer Richtung an Gedanken bei
ihm findet, traditionelles Gut ift. Die Erbfündenlehre
wird J. abgefprochen, aber entfchuldigend hinzugefügt,
dafs J. an Stelle deffen die Lehre von der unheilvollen
Macht der Dämonen habe. Als ob das nicht ganz etwas
anderes wäre: der Erlöfungsgedanke in der Religion ift
doch erft dann ficher formulirt, wenn die Erlöfungsnoth-
wendigkeit innerlich begründet ift. Der zweite Theil der

vollfter perfönlicher Hingabe und Wärme redet J. da,
wo er auf die neuen herrlichen Gebote des Evangeliums
zu fprechen kommt. Es war doch kein kraftlofes Ge-
fchlecht von Chriften, das in diefem Moralismus grofs-
gezogen wurde und unter feiner Herrfchaft ftand; auch
die Apologeten gehörten zu den Kreifen des immer
zur That und zum Zeugnifs bereiten heldenhaften Märtyrerthums
. —

Es ift fchade, dafs in dem vorliegenden Schriftchen
ein redlicher Fleifs auf fo ganz verkehrten Bahnen fich
abgemüht und fo nichts Förderndes zu Stande gebracht
hat.

Göttingen. w. Bouffet.

Sammlung ausgewählter kirchen- und dogmengeschichtlicher
Quellenschriften, als Grundlage für Seminarübungen
hrsg. unter Leitung von Prof. D. G. Krüger. 10. Hft.
Freiburg i/B., J. C. B. Mohr, 1895. (gr. 8.) M. 1.50

Vincenz von Lerinum, Commonitorium pro catholicae fidei
antiquitate et universitate adversus profanas omnium haereticorum
novitates. Hrsg. von Prof. D. A. Jülicher. (XIII, 78 S.)
Es ift eine Freude, diefe Ausgabe des Vincenz anzuzeigen
. Was ihr Herausgeber von dem durch Krüger
neubearbeiteten vierten Hefte in diefer Zeitung (1894,
Sp. 18) gefagt hat: die Kritik müffe anerkennen, dafs
der betr. Schrift gegenüber innerhalb der dem Unternehmen
gefleckten Grenzen Vollkommeneres nicht geleiftet
werden konnte, — das gilt von feiner eigenen Arbeit im
vollften Mafse. Handfchriftliche Studien find durch den

Abhandlung handelt von der Nothwendigkeit der Er- Plan des Unternehmens ausgefchloffen. Dennoch liegt
löfung. Der fo fehr charakteriftifche Satz J.'s, dafs der j eine felbftändige Textrecenfion vor. Die Grundlage des
Logos auch in Sokrates wirkfam gewefen fei, wird hier j Textes bildet auch hier eine Ausgabe, und zwar nicht