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Ausgabe:

1895 Nr. 15

Spalte:

403-404

Autor/Hrsg.:

Bonus, Arthur

Titel/Untertitel:

Zwischen den Zeilen. 1. Band. Dies und Das für besinnliche Leute 1895

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Seite 1

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403 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 15. 404

Wer fo gering vom Gewiffen denkt, wie R., ift nicht im
Stande, den Werth der Perfönlichkeit und folglich auch
nicht den der politifchen Freiheit zu fchätzen. Für den
Verfaffer der ,Vie de Jesus1 find zum mindeflen die
Durchfchnittsmenfchen nicht Zweck, fondern nur Mittel
zu einem Staatszweck, den fie felber nicht faffen. Derfelbe
befteht in der Darftellung des Schönen, des Erhabenen,
durch den Staat. Somit hängt R.'s Vorliebe für eine
ariftokratifche Verfaffung eng mit feinen moralifch-philo-
fophifchen Grundanfchauungen zufammen. Dasfelbe gilt
von feinen Anflehten über die Religion. Ihren Zufammen-
hang mit dem Sittlichen hat er nie begriffen, deshalb hat
er es vermocht, das Bild Jefu zu einem Zerrbild zu ge-
ftalten, und fich doch vor demfelben zu beugen, deshalb
hat er den Zweck der Religion in nichts anderem gefucht,
als in raffinirtem Schwelgen in myftifchen Genüffen.

Ich mufs es mir verfagen, manches Bemerkenswerthe
im Einzelnen hervorzuheben; es möge genügen, darauf hin-
gewiefen zu haben, wie fehr es dem Verfaffer gelungen ift, 1
in ganz ungezwungener Weife R.'s ganze Philofophie aus
derfelben Grundbeftimmtheit feines Denkens abzuleiten.

Niemand wird diefes klar und elegant gefchriebene
Buch zur Hand nehmen, ohne reiche Belehrung aus
demfelben zu fchöpfen. Bei aller Bewunderung für R.'s
aufserordentliches Talent, und ohne fich zum Richter
über feine Perfon aufzuwerfen, genügt der Verf. nicht
nur den Anforderungen ftrenger pfychologifcher und
philofophifcher Kritik, fondern auch denen des chrift-
lichen Gewiffens.

Paris. Ehrhardt.

Bonus, Arth., Zwischen den Zeilen. Dies und Das für be-

finnliche Leute. Heilbronn, Salzer, 1895. (X, 160 S. 8.)

M. 2. —; geb. M. 3. —

Ein anziehendes, anregendes Büchlein, gehaltvoll und
gedankenreich, in der Form originell und nicht feiten
paradox, eine zwanglofe Reihe (24) verfchiedener Betrachtungen
und Stücke, bald finnige Gleichnifse, bald
anfehauliche Schilderungen, bald zum Nachdenken reizende
Gefpräche, oft mehr andeutend als ausführend,
für ,befinnliche Leute', die felbft fähig find, ,zwifchen den
Zeilen' zu lefen, Alles beherrfcht von den höchften reli-
giöfen Gefichtspunkten, aus der Tiefe chriftlicher Erfahrung
gefchöpft ohne die Fühlung mit dem modernen
Geiftesleben zu verlieren, ein Erbauungsbuch eigener Art,
für Viele gewifs fördernd und erquickend, Anderen allerdings
, zumal den in den hergebrachten Anfchauungen
und Formen Grofsgewachfenen oft überrafchend, zuweilen
vielleicht anftöfsig. Doch auch da, wo der Verfaffer befremdend
wirkt, weifs er wieder den Mifston in Harmonie
aufzulöfen und den durch den Gedanken oder den Ausdruck
betroffenen Lefer wieder auszuföhnen. Das liefse
fich wohl am klarften an der Art zeigen, wie das Büchlein
,Chriftum treibt'. ,Chri(Ius war ein Lehrer, Lehrer
eines einzigen Satzes, des Satzes: Gott ift unfer Vater'
(S. 13). Klingt das nicht rationaliftifch ? Ift d as nicht ;
fchlimmer Intellectualismus? Man höre weiter: ,Diefen j
einen Satz lernen heifst freilich ein anderer Menfch werden
, feinen ganzen Sinn ändern, fich zu Gott wenden,
Vergebung erlangen, des Herrn harren, feine Seele zum
Lichte fchaffen und in die Herrlichkeit eingehen'. Und
anderswo (S. 128): .Durch das blofse Wort „Dir find deine
Sünden vergeben" kann Jefus nichts bewirkt haben, es
fei denn das, dafs er dem Menfchen, zu dem es geredet
war, damit erklärte, was der in fich erlebte'. Ift das nicht
eine Abfchwächung der evangelifchen Glaubenswahrheit?
Der Verfaffer fährt fort: .Aber was in aller Welt foll es
dann fein? mehr als das Wort wird ja bei diefer Gelegenheit
von Jefus gar nicht erzählt! Doch! es wird
erzählt, dafs er es war, der das Wort fprach! und
er war doch mehr als das Wort. Es wird aber von ihm

berichtet, dafs vor feiner fittlichen Hoheit die verwor-
fenfte Bosheit in Ehrfurcht verftummte, und dafs zu feiner
liebevollen Art die Leute folch' Vertrauen hatten,
dafs fie mit all ihren Angelegenheiten zu ihm kamen'.
Was von den Ausfagen des Verfaffers über Chriftus gilt,
das trifft auch für die Ausfprüche über die heilige Schrift
zu. ,Die Bibel ift ein Buch, das uns von Leuten erzählt,
die ihr Leben zu lefen verltanden, und lafen Gott in
ihrem Leben. Sie ift auch das Buch der Männer, die
ihr Leben zu fchreiben wufsten. Unfer Leben ift ein
Blatt der Ewigkeit, es ward uns zum Lefen und zugleich
zum Schreiben gegeben. Auf der einen Seite fteht
Thema und Entwurf; die andere ift leer, da follen wir
drauf fchreiben. In der Schule hatten wir für unfere
Auffätze ein Diarium. Darin konnten wir fchreiben und
verbeffern und wieder ftreichen und fchliefslich ausreifsen,
bis etwas Rechtes zu Stande war. Aber unfer Leben
wird gleich ins Reine gefchrieben. So wie wir's fchreiben
, liegt es dem grofsen Meifter vor. Wir können hie
und da radieren, aber das fieht nicht gut aus. Defshalb
ift Aufmerkfamkeit nöthig. Je beffer wir unfer Leben
lefen lernten, defto beffer werden wir es fchreiben. Es
ift gut, Mufterauffätze ab- und anzufehen, damit der eigene
gelingt. Es war einer, der das Ihema feines Lebens
und den Entwurf und den gegebenen Stoff gut gelefen
und wohl durchdacht und verltanden hatte. Und nun
arbeitete er es aus. Als er es fertig hatte, war es das
Leben Gottes, das er gefchrieben hatte' (S. 54—55).
Dafs die geiftreichen Ausführungen des Verfaffers zuweilen
erwas gefuchtes an fich haben, kann nicht Wunder nehmen
; eben fo wenig wird man dem Büchlein vorwerfen
können, dafs es nicht dazu geeignet ift, mit dem theo-
logifchen Secirmeffer zergliedert, noch auf die dogma-
tifche Goldwage gelegt zu werden. Es genügt hervorzuheben
, dafs die echte Poefie, die in vielen Stellen
verborgen liegt, niemals die Klarheit des Gedankens
trübt oder die Kraft desfelben fchwächt. Es ift über-
flüffig, dem Büchlein Erfolg zu wünfehen; es hat fich
bereits feinen Weg gebahnt, und es wird fich zweifellos
noch viele Lefer, das heifst viele Freunde erwerben.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

üvxißißlov = Leihschein, Quittung.

Vgl. Nr. II, Sp. 283 unten.
Herr Prof. Gregory hat überfehen, dafs Omont, S. 189, das grie-
chifche Original für den fraglichen armenifchen Ausdruck bringt, nämlich
dvxißtßXov = Leihfchein, Quittung, wodurch fich Gregory's Conjectur
erledigt.

Ducange p. 85 hat dvxißißXoq (sie) libellus responsionis quo sei-
licet reus subscribit se libellum conventionis sive exemplum eins aeeepisse
et quo die aeeeperit etc. nach Cuiacius ad Nov. 53 Iustiniani cap. 3 § 1
ösyofisvoc, ös avxo xo ßißXwv .... vnoyoapeiv xw xaXovusvw av-
xißißXw ötjXovvxa xai xov ynovov xa& ov avxw xo ßißXiov smöt-
öoxai, iva itn xai nspi xovxo xtyvrj Tic ytvrjxai. (Nach dem Genus
xw xaXovusvw avxiß. wird der Nominativ wohl avxißißXov heifsen
müfsen, nicht avxißißXoq, wie Du Gange giebt, was doch wohl weiblich
wäre.)

Ulm 21. 6. 95. E. Neftle.

Zuschrift an die Redaction.

Geftatten Sie mir eine Bemerkung zu der in Nr. 7 der Theol.
Lit.-Ztg. abgedruckten, in vieler Hinficht fo belehrenden Recenfion Prof.
Karl Müllers über Sabatiers Leben des h. Franciscus von
Affifi.

Bei Befprechung der Ueberfetzung (p. 186) wird von dem im Sacra
Convento zu Affifi aufbewahrten Segensfpruch des Heiligen gehandelt
und als befonderer Vorzug der Deutfchen Ausgabe hervorgehoben, dafs
nun der f. Z. Sabatier nicht zugängliche Text der Rückfeite des Kärtchens
auch aus einer Abfchrift des Städtifchen Archivs von Affifi mitgetheilt
fei. Dabei wird Seitens des verehrlichen Recenfenten wie von Sabatier
(Originalausg. p. XLIH) die Echtheit des fog. Originals des Segens-
fpruches ohne Weiteres vorausgefetzt.

Es ift jetzt Jedermann möglich, fich über diefes Schriftftück ein Urtheil
zu bilden, nachdem in dem 1885 bei Plön in Paris erfchienenen Werke
, Saint Francois d'Assise^ ein gutes Facfimile der ,ßenedic/ion' gegeben
ift.