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Ausgabe:

1895 Nr. 15

Spalte:

391-395

Autor/Hrsg.:

Krenkel, Max

Titel/Untertitel:

Josephus und Lucas. Der schriftstellerische Einfluß des jüdischen Geschichtsschreibers auf den christlichen, nachgewiesen v. K 1895

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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39i

Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 15.

392

thum entbehren könne, wie das Beifpiel des Anaxagoras
und Demokritus zeige, welche ihren Befitz freiwillig aufgegeben
hätten (De provid. II, § 12—13), fo rühmt die
VC das factifche Aufgeben des Befitzes, tadelt aber
zugleich den Anaxagoras und Demokritus, weil fie ihr
Vermögen nicht den Angehörigen gegeben, fondern dem
Vieh zur Weide überlaffen hätten (IC $ 2, Mang. 11,473),
was übrigens Philo nur von Anaxagoras fagt, die VC
aber auch auf Demokritus überträgt. Wenn Philo fagt,
dafs die geiftige Speife werthvoller fei als die leibliche,
fo rühmt die VC das Falten und verwendet das Beifpiel
der Cicaden, die von der Luft leben, in anderer Tendenz j
als Philo (Conyb. S. 72 f.). Am ftärkften ift die Differenz |
in der Beurtheilung der griechifchen Philofophie, ein j
Punkt, über welchen man bei C. vergebens näheren [
Auffchlufs fucht. Philo hat direct von Plato gelernt
und fpricht von ihm nur mit Achtung (f. bef. Siegfried, '
Philo S. 32 fr. 139). Der Verf. der VC überhäuft Plato [
förmlich mit Inhalten wegen feines Sympofion, in welchem
die finnliche Liebe verherrlicht werde (VC § 7 Mang. II,
480). Befonders augenfällig ift die Differenz, wenn man
noch einen fpeciellen Punkt beachtet, auf welchen ich
bereits Theol. Litztg. 1880,114 aufmerkfam gemacht habe, j
Ich erlaube mir wegen der Wichtigkeit der Sache das
dort Gefagte hier zu wiederholen. Nach Philo ift der
Idealmenfeh gefchlechtslos gefchaffen, weder Mann noch
Weib, oder Mann und Weib zugleich (De mundi opificio
jj 24 fin. Ibid. $46: ovx aqgxyr ovxejrxjlvg. Leg. allegor. II,
jj 4: xbv yevixbv avD-gtonov f.v ip xb aqgev xai xö xhijkv
ylvoq (paoiv elvai. Müller, Des Juden Philo Buch von
der Weltfchöpfung S. 268 f.). Er folgt hierin dem Vorgange
Plato's, der im Sympofion diefelbe Anficht auf-
geftellt hat. Und wie Plato fo erklärt auch Philo die
Liebe von Mann und Weib als die natürliche Anziehungskraft
zweier von einander getrennter Theile eines Lebe-
wefens (De mundi opif. § 53: e'flcug <$' eniyevoiievng xa-
Däneq i-vbg Lwov dixxa xiifiiaxa disaxiqy.oxa avvayayibv stg
xdvTov /.. x. L). Der Verf. der VC erwähnt gerade auch
diefen Mythus aus Plato's Sympofion, fpricht aber in
möglichft kräftigen Worten feinen Abfcheu vor folchen
verführerifchen Wahngebilden aus 7 fin.).

Ich bin alfo überzeugt, dafs C. eine unhaltbare Pofition
vertritt, indem er mit folcher Lebhaftigkeit die Echtheit
der VC vertheidigt. Der Werth feiner Arbeit befteht
m. E. 1) in dem für die Textkritik Geleifteten, und 2) in
der reichen Parallelen-Sammlung aus Philo's Werken,
welche ihren Werth behält, auch wenn fie nicht, wie C.
meint, die Echtheit beweift.

Göttingen. E. Schür er.

Krenkel, Max, Josephus und Lucas. Der fchriftftellerifche
Einflufs des jüdifchen Gefchichtfchreibers auf den
chriftlichen, nachgewiefen v.K. Leipzig, Haeffel, 1894.
(XIII, 353 S. gr. 8.) M. 10.-

In der vorliegenden Schrift will der Verf. beweifen,
dafs Lukas nicht nur hier und da den Jofephus benutzt
hat, fondern dafs feine Schriften eine ganz gründliche
und wiederholte Leetüre des jüdifchen Schriftftellers vorausfetzen
. Es ift keine angenehme Aufgabe, dem Verf.
nachzuarbeiten, und das liegt an der durchaus verfehlten
Methode der Arbeit. K. geht nämlich die Werke des
Lukas Satz für Satz durch und notirt jede, auch die
geringfte und nichtsfagendfte Berührung; in dem ungeheueren
Stoff verfchwindet fo das Wichtige und eventuell
Beweifende und mufs erft mühfam herausgefucht werden.
Es ift aber methodifch verkehrt, zu glauben, dafs eine
Summe von kleinften Wahrfcheinlichkeiten — und fei
fie noch fo grofs — jemals einen Beweis ergäbe; eine
Reihe von Nullen ergiebt immer wieder eine Null. Die
Widerlegung eines folchen Beweisverfahrens ift die denkbar
mühfamfte. Widerlegt man an einer Reihe von Stellen

die Ausführungen, fo bleiben dem Verf. immer noch
andere übrig, auf die er fich zurückziehen kann. Man
müfste fchliefslich ein ebenfo umfangreiches Buch fchrei-
ben, um jeden Ausweg abzufchneiden.

Daher kann es hier nur die Aufgabe fein, eine Reihe
von einzelnen methodifchen Fehlern hervorzuheben, welche
den Werth der Arbeit beeinträchtigen.

Bei einer Reihe von Parallelen mufs doch vor allem
beachtet werden, dafs Lukas und Jofephus von vornherein
in ihrer Schriftftellerei eine gewiffe Verwandtfchaft
zeigen müffen. Sie find beide Hiftoriker, die in derfelben
Zeit fchreiben, die theilweife diefelben Gegenftände
behandeln, fie find beide von derfelben ftereotypen Art
zu fchreiben, welche in ihrer Zeit herrfchte, beeinflufst. —
Das zeigt fich fofort in den Einleitungen ihrer Schriften.
K. nimmt hier eine offenbare Anlehnung des Lukas an
Jofephus an. K. hätte einen Blick in den Commentar
zum Lukasevangelium von J. Weifs thun follen. Die dort
(nach Lagarde) beigebrachte noch engere Berührung des
Lukas-Prologs mit der Einleitung der materia medica
von Dioskorides von Anazarbus hätte ihn doch ftutzig
machen müffen. Ich würde auch mit Weifs keine directe
Anlehnung an Dioskorides annehmen. Hier liegt ein
ftereotyp ausgeprägter Stil vor.

Aehnliche Dinge müffen doch ähnlich erzählt werden.
Dafs Lukas feine Schilderung der frühen Reife Jefu —
mag fie nun gefchichtlich oder ungefchichtlich fein — der
lobhudelnden Selbftverherrlichung des Jofephus entnommen
habe (K. 103), hiefse doch ihm eine arge Ge-
fchmacklofigkeit zutrauen.

Natürlich laffen fich in der Gefchichte vom Ende des
Herodes (207 f.), in der Darfteilung der Gefchichte des
Aegypters (241 f.), in der Schilderung des Gerichtsverfahrens
der Juden (262 f.) gemeinfame Züge nachweifen.
Aber das alles hat doch nur dann Werth, wenn nachgewiefen
wäre, dafs Jofephus die einzige Gefchichtsquelle
für Lukas gewefen wäre, dafs alle diefe Notizen dem
Lukas unerreichbar waren, wenn er nicht den Jofephus
las. Und den Beweis anzutreten, wird Krenkel fich doch
nicht im Ernft zutrauen. — Kann wirklich für die Verwandtfchaft
des Lukas mit Jofephus irgendwie ins Gewicht
fallen, dafs er die Reife des Archelaus nach Rom, die
Vorgängebei derZerftörung vonJerufalem(Luk. 19,12—27),
den 0XQCcx?]ybg zol tegov (136), das vjtSQcöov im Tempel
(149), den Zuflufs der Fremdenmenge am Pfingftfeft (155),
das Grab David's (157), die fchöne Thür, die Halle Salo-
mos (159), die Hungersnoth unter Claudius (199), den
Hohenpnefter Ananias und feinen Charakter (252), Felix
und Drufilla (264), Agrippa und Berenice (274) kennt?
Man wird fich an den Gedanken gewöhnen müffen, dafs
Lukas die Zeit, welche er befchrieb, die Localitäten u. f. w.
noch recht gut durch mündliche Tradition und durch
eigene Anfchauung kannte, dafs er ein Mann war, der fich
recht gut in feiner Zeit und der umgebenden Welt um-
gefehen hatte. Die Philologen fpotten fchon lange —
ich meine nicht nur die allerdings einfeitige Antikritik
von Blafs — über die Art, wie die Theologen dieApoftel-
gefchichte betrachten. Jetzt eben erhält die Darftellung
1 des Aufenthalts des Paulus in Athen von neuem eine
glänzende Rechtfertigung durch Maafs. Wann wollen die
Kritiker unter den Theologen beginnen, in der Beurtheilung
der Apoftelgefchichte vorfichtiger zu werden!

Lukas hat nach mehrfachem Zugeftändnifs von
Krenkel auch Quellen benutzt, und für die Vorge-
fchichte des Evangeliums werden fogar mehrere Quellen
des Lukas von Krenkel angenommen. Wo bleibt da
noch die Sicherheit, die Frage zu entfeheiden, ob der
Verfaffer noch fecundär von Jofephus abhängig war!
Der Stephanusrede liegt jüdifche Tradition zu Grunde,
die natürlich auch Jofephus zugänglich war. In dem
Bericht vom Ende des Herodes mufs nach genauer Ver-
gleichung von K. felbft zugeftanuen werden, dafs L. eine
felbftändige Relation benutzt. Ebenfo liegen zuverläffige