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Ausgabe:

1895 Nr. 14

Spalte:

377-379

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Paul Vict.

Titel/Untertitel:

Handbuch der Kirchengeschichte für höhere Unterrichtsanstalten, sowie die gebildete evangelische Gemeinde in übersichtlicher, anschaulicher, leicht faßlicher Darstellung. 2. verb. Aufl 1895

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 14.

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für Schulzwecke kaum verantwortlichen, kleinen Drucke
dargeboten werden. Aber in vielen Beziehungen gehört
diefe Arbeit zu den beften, die feit der Schulreform er-
fchienen find.

Magdeburg. W. Bornemann.

Schmidt, Archidiak. Sem.-Oberlehr. Lic. Dr, Paul Vict,
Handbuch der Kirchengeschichte für höhere Unterrichtsanstalten
, fowie die gebildete evangelifche Gemeinde
in überfichtlicher, anfchaulicher, leicht fafslicher Darfteilung
. 2.verb.Aufl. 3. u. 4. Tauf. Leipzig, F.A. Berger,
1893. (XI, 325 S. gr. 8.) M. 2. 50

Diefe Kirchengefchichte ift für preufsifche Schulen
durch die neuen Lehrpläne von vornherein unbrauchbar
geworden. Denn danach ift auf die Kirchengefchichte
leider nur ein halbes Jahr zu verwenden, während Schmidt
mit zwei Jahren rechnet. Aber freilich auch abgefehen
davon fteht dem Schulgebrauch diefes Buches verfchie-
denes im Wege, nicht zum wenigften der Preis, der für
das Buch als" folches billig, aber für ein Schulbuch
recht hoch ift. Dazu kommt eine ganze Anzahl von
Fehlern und Mängeln. Gleich anfangs wird die Kirche
kurz als ,die zur Aneignung des Heils dienende Anftalt
auf Erden' definirt (1). Die Beurtheilung des Heidenthums
ift einfeitig; das römifche Recht wird nicht gewürdigt.
Die Pharifäer follen ,den Stoikern entfprechen' (7). Das
Phantafiebild von dem .innerlichen Ausreifen' des Paulus
in Arabien wird gar zweimal verwerthet (11. 210). Ana-
nias und Sapphira .machen die geiftgeborene Bruderliebe
zum Deckel ihrer Selbftfucht'(15). Der Inhalt von
Act. 8 wird ganz unrichtig wiedergegeben (10). Kon-
ftantin ift nicht durch Eufebius von Caefarea (55), fondern
durch Eufebius von Nikomedien getauft. Nicht
die Anfangsgedanken, fondern die Anfangsworte
geben den päpftlichen Bullen den Namen (175). Eufebius
von Caefarea ftirbt nicht 338 (65), fondern 340. Die
indifchen Chriften berufen fich nicht auf den Apoftel
Johannes, fondern auf Thomas (64). Die Bilderftreitig-
keiten können fchwerlich aus dem .Kunftfinn der alten
Hellenen' abgeleitet werden (90). Anfelm hat die Ver-
föhnungslehre nicht .biblifch und philofophifch', fondern
rechtlich und philofophifch begründet (159). Abaelard's
Schrift ,Sic et nou' ift im Deutfchen Ja und nein' (nicht:
,fo und nicht fo' 160) wiederzugeben. Dafs die Thomiften
lieh mehr an Ariftoteles, die Skotiften mehr an Plato
angefchloffen hätten, dürfte kaum zu beweifen fein.
Oekolampad hiefs nach den neueften Forfchungen ur-
fprünglich nicht .Hausfchein' (220), fondern .Husgen'.
Syllabus und Encyklika find von Pio IX nicht 1874,
fondern 1864 publicirt (293). Andere unrichtige, unfichere,
unklare oder ungenaue Behauptungen finden fich SS. 8.
16. 17. 22. 30. 35. 51. 75- 78. 133- 136. 157. 187. 222.
228. 245. 260. 271. 272. Druckfehler finden fich S. 36
Z. 2 von unten (ftatt II lies III), S. 134 Z. 5 (ftatt Concu-
binat lies Coelibat), S. 150 Z. 16 (ftatt § 64 lies $ 60),
S. 267 Z. 3 (Oxfort lies Oxford). Gefucht klingt es, wenn
von der Schrift .ein teutfeh Theologia' gefagt wird (185):
,es ift ein quellfrifcher Hinweis auf die Notwendigkeit
einer Wiedergeburt, lange bevor ein Goethe fein „Stirb
und werde" der Menfchheit zugerufen'. Eine ganz müfsige
Reflexion wird S. 188 eingeflochten: .Merkwürdig bleibt,
dafs obwohl gerade die Gotlfik die weltbeherrfchende
Stellung der Kirche verfinnbildlicht (?), die neue Peterskirche
in Rom durch ihre Baumeifter Bramante, Rafael,
Michel Angelo u. a. doch nicht im gothifchen, fondern
im Stil der Hochrenaiffance erbaut ift, eine nicht blofs
kunftgefchichtlich, fondern auch kirchengefchichtlich be-
deutfame Thatfache, die darauf hinweift, dafs felbft das
Papftthum überwältigt ward von der ihrem inneren Wefen
nach doch mit dem Proteftantismus verwandten Re-
naiffance'. Und was foll der fade Witz S. 226: ,Der

Kaifer (Karl V) floh vor ihm (vor Moritz von Sachfen)
aus Innsbruck. Moritz würde ihn gefangen genommen
haben, hätte er für diefen Vogel einen (sie) Bauer gehabt
!' Noch bedenklicher aber ift es, wenn (255) zu dem
Worte .Synkretismus' hinzugefügt wird: .Diefer Name
verdient befondere Beachtung. Urfprünglich wollte er
nur bezeichnen das gegenfeitige Verhalten, welches Lutheraner
und Reformirte gegen einander beobachten
follten, indem fie das, was fie innerlich trennte, zurücktreten
liefsen vor dem, was fie der gemeinfamen Gefahr
gegenüber einte. In folchem Sinne war das Wort laut
des Zeugnifses eines alten Schriftftellers heimifch auf der
Infel Kreta, von deren Bewohnern berichtet wird, dafs
fie, von äufsern FTinden bedroht, gleichfalls ihre Streitigkeiten
vergafsen und einig waren'.

Solche Dinge wären in einer etwaigen neuen Auflage
unbedingt zu ändern. Aber auch fonft wären dafür
noch allerhand Wünfche auszufprechen. Nothwendig
wären einige Ergänzungen: es fehlt im vorliegenden
Buche S. 56 der Hinweis auf die bürgerliche Sonntagsfeier
; es fehlt der Papft Honorius (S. 81), der durch
Bonifatius den deutfchen Bifchöfen auferlegte Eid (105),
die Gefchichte der Waldenfer feit der Reformation (169
und 232), der Hauptfatz der Bulle Unam sanetam,
Nicolaus Krell (240) neben Peucer, die Form der Vorladung
Luther's vor den Wormfer Reichstag (209), die
Miffion der Wesleyaner auf dem Continent (268), der
Hinweis auf die Thatfache, dafs Rom die einzige
apoftolifche Gemeinde des ganzen Abendlandes war,
fowie auf die Verlegung der kaiferlichen Refidenz nach
Konftantinopel (98). Nicht klar, fcharf und verftändlich
genug ift dasjenige, was über den Montanismus (46), das
Mönchthum (83 ff.), den Donatismus (95), das Wormfer
Concordat (138), Arius und Athanafius (72 f.), die Bettelorden
(153 f.) u. a. m. gefagt ift. Der § 16 wäre fach-
gemäfs vor § 13 zu ftellen. Die Didache ift wichtig
genug, nicht in einer Anmerkung, fondern im Text behandelt
zu werden (29); ebenfo das evangelifche Kirchenlied
, das wohl einen befonderen Paragraphen verdient
hätte (246), während die Aufhebung des Templerordens
eines eigenen Paragraphen nicht bedurfte (182 f.). Endlich
konnten auch die wichtigften Secten der Gegenwart
(312) mehr Beachtung finden. Dagegen könnte manches
fehlen, weil es für Schüler und Publicum gleichgültig,
unverftändlich oder zu weitgehend ift oder einfach Zahl,
Name und Schall bleibt; hier verweife ich nur auf die
Seiten 63. 75. 76. 129. 160. 168. 182. 232. 238. 285. 291;
aber auch fonft könnten viele Einzelheiten ohne Schaden
geftrichen werden. Unpraktifch find die mehrfach vorkommenden
Vergleiche mit Gröfsen, die erft viel fpäter
genannt werden (z. B. 46. 132); auch die hie und da
plötzlich auftauchenden Namen der Forfcher (z. B. 128
und öfter) find ziemlich zwecklos.

Im Allgemeinen ift das Buch angenehm zu lefen,
gut gegliedert und lebendig gefchrieben; dabei weitherzig
, milde und nicht unpraktifch im Urtheil. An
manchen einzelnen Stellen läfst fich das eigene Studium
des Verfaffers und feine Befchäftigung mit kirchenge-
fchichtlichen Monographien fpüren. Meift folgt er jedoch
der Tradition, und zwar der durch den fog. /kleinen Kurtz'
gefchaffenen Tradition. Der Umfang und die Auswahl
des gebotenen Stoffes entfpricht faft ganz dem Kurtz'-
fchen .Abrifs der Kirchengefchichte'; nur weniges ift
weggelaffen, manche Einzelheiten find hinzugefügt und
befonders find mehrfach allerhand Reflexionen an die
Thatfachen angeknüpft; auch ift die Erzählung in etwas
breiterem Tone gehalten. P/benfo ift aber Schmidt in
den meiften Fällen der Gliederung und Ordnung bei
Kurtz gefolgt, — und gar manchesmal fogar im Wortlaut
, fodafs er für ganze Abfchnitte nur eine Paraphrafe
des .kleinen Kurtz' bietet. Damit will ich natürlich nicht
behaupten, dafs Schmidt den Kurtz abgefchrieben hat;
aber er ift von Kurtz in hohem Grade abhängig. Der