Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1895 Nr. 14

Spalte:

370-374

Autor/Hrsg.:

Hartfelder, Karl

Titel/Untertitel:

Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae 1895

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

369

Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 14.

370

Vulgärkatholicismus' zu reden, verausgefetzt, dafs man
nicht an dem Beiwort ,vulgär' als unnöthig Anftofs
nimmt.

Der Verf. vorliegender Arbeit ftellt fich die Frage
überhaupt nicht fo fcharf, und das ift, wenn ich recht
fehe, fein Hauptfehler. Seine Beurtheilung der Theologie
Caffian's ift juft wie diefe felbft: nicht gehauen und
nicht geftochen. Er hat für feinen Helden — denn das
ift ihm Caflian — eine begreifliche Vorliebe: die anti-
pelagianifchen Momente feiner Theologie betont er, wo
er kann; bei den antiauguftinifchen ift er ftets geneigt
abzufchwächen, auf die Härten Auguftin's hinzuweifen
und dergleichen mehr, was leicht zu haben war. Läfst
fich doch auch dagegen am Ende nichts einwenden, dafs
es ,unferem Autor wenig darauf ankam, mit dogmatifcher
Schärfe und Beftimmtheit das beiderfeitige Verhältnifs
(von Gnade und Freiheit) feftzuftellen, dafs er vielmehr
in feiner ganzen Darfteilung von praktifch-fittlichen In-
tereffen beherrfcht ift' (S. 109 u. ähnlich ö.). Aber es
bleibt beftehen, was Hoch felbft fo ausdrückt: ,Caffian
wollte der Gnade ihr gutes Recht nicht fchmälern, aber
in die Willensfreiheit wollte er auch keine Brefche legen'
(S. HO) und: ,die Idee, welche alle diefe Ausführungen
(Coli. XIII) beherrfcht, ift die, dafs weder Gott noch der
Menfch allein das gute Werk zu Stande bringt, fondern
beide zugleich' (S. 80) und: ,der Gedanke, dafs der
menfchliche Wille irgendwie zum Anfang des Heils beiträgt
und dafs die göttliche Gnade den vom Willen
ausgehenden Beginn zur Grundlage ihrer Thätigkeit
macht, kehrt im 13. Buch unter mannigfachen Variationen
wieder' (S. 80); es bleibt vornehmlich Alles beftehen,
was fich über Caffian's Faffung der Willensfreiheit fagen
läfst, die ja ,nicht im Sinne des Pelagius als reines in-
differentiftifches Wahlvermögen, als gleichmäfsige possi-
bilitas boni et mali1 gefafst zu werden braucht, aber prin-
cipiell der pelagianifchen Faffung jedenfalls näher fleht
als der auguftinifchen. Ich hätte den Ausführungen des
Verf.'s etwas von der Schärfe und Klarheit gewünfcht,
mit der Koch den Bifchof Fauftus von Riez gewürdigt
hat. Gerade der letzte Abfchnitt bei Hoch, der doch
fo wichtig ift, icheint mir recht dürftig ausgefallen zu
fein. Es fehlt die eigene energifche Stellungnahme; der
Hinweis auf das ,Decretum Gelasianum1, mit dem das
Buch abfchliefst, kann dafür doch nicht entfchädigen
und muthet wunderlich an. Koch's Auffatz über die
Autorität Auguftin's in der Lehre von der Gnade und
Prädeftination in der Theol. Quartalfchrift von 1891 (vgl.
jetzt fein Buch über Fauftus von Riez, 1895, 129—191)
hat Hoch leider nicht benutzt. Dagegen citirt er eine
Stelle aus desfelben Verf.'s Arbeit über die Anthropologie
des Fauftus von Riez (a. a. O. 1889, 605; Buch
S. 93), wo Koch gegenüber der landläufigen Meinung
daran' fefthält, dafs .Caffian neben der äufseren (Beru-
fungs-)Gnade auch eine innerliche, den Willen infpiri-
rende annahm'. Es fleht aber durchaus nicht fo, wie
es nach Hoch Rheinen könnte, als habe Koch Caffian's
Antipelagianismus dadurch einen auguftinifchen Anftrich
geben wollen, fondern wenige Seiten fpäter (Buch 98 f.)
weift er darauf hin, dafs bei Fauftus die chriftliche Heilsgnade
nicht das übernatürliche Lebensprincip in der
todten Natur, fondern blofse Heilung der kranken und
Stärkung der fchwachen Natur fei, und betont, dafs der
Bifchof fich hier in voller Uebereinftimmung mit den
Maffilienfern und in diametralem Gegenfatz zu Auguftin
befindet. Dafs diefer Gegenfatz, dafs das .Semipelagia-
nifche' bei Fauftus fchärfer hervortritt als bei Caffian
(f. auch Loofs in diefer Zeitung a. a. O.), ift richtig, erklärt
fich aber zur Genüge daraus, dafs Fauftus der
Denkkräftigere der beiden ift, wozu noch kommt, dafs
er fich dem Ultraauguftinismus des Lucidus gegenüber
befand.

Uebrigens foll nicht geleugnet werden, dafs Hoch
den Caffian forgfältig ftudirt und befonders fein Verhältnifs
zu Chryfoftomus an verfchiedenen Stellen feiner
Arbeit eingehend und gut dargeftellt und gewürdigt hat.
Dafs Caffian in den Fragen, auf die es ankommt, in den
Collationen einen anderen, weniger pelagianifirenden
Standpunkt einnimmt als in den früher gefchriebenen
Inftitutionen (vgl. Arnold, Caefarius 549 f.), ift dem Verf.
entweder entgangen oder er hat es nicht verwerthet.
Dafs die proteftantifchen Theologen die Anfangsgründe
des Pelagianismus beinahe durchweg (nämlich mit Ausnahme
von Marheinecke und Thomafius) in den griechi-
fchen Vätern oder im Mönchthum fehen (S. 15), ift fo
nicht richtig, und was der Verf. in der Note aus Har-
nack, DG. III 155 f. als Beleg beibringt, fagt doch etwas
ganz Anderes.

Der erfte Abfchnitt des Buches über den Standpunkt
Caffian's', beruht, wenigftens wo es fich um allgemeine
, nicht direct auf Caffian bezügliche Bemerkungen
handelt, nicht überall auf eigenem Studium. Vieles ift
Wörter (auch Montalembert!) nachgefchrieben. Die
paar Worte über den Manichäismus (S. 9) wären beffer
weggeblieben oder durften nicht fo oberflächlich fein.
In diefem Abfchnitt finden fich auch offenbare Verfehen,
fo wenn Hoch fchreibt, dafs Harnack (DG. 225) den
Prädeftinatus für eine Fälfchung halte, weil die Lehre
Auguftin's in fo paradoxen und faft blasphemifchen Sätzen
darin entwickelt fei, wie fie kein Auguftiner je vorgetragen
. Es handelt fich aber nur um die in das zweite
Buch aufgenommene, angeblich von einem Prädeftina-
tianer herrührende Schrift. Und wenn es gleich darauf
heifst: ,Nitzfch hält ihn (den Pr.) für eine femipelagia-
nifche Gegenfchrift', fo klingt das eigenthümlich: was
foll ,er', nämlich der ganze Prädeftinatus, denn fonft
fein? Nicht 29 Ausgaben der Schriften Caffian's find von
1485—1667 erfchienen, wie Hoch unter Berufung auf
Schoenemann II 676—693 behauptet, fondern 23 (f.
ebendaÖ76—692); Hoch hat die 3 Ausgaben des 18. Jahrh.
' und 3 Ueberfetzungen (692—693) mitgezählt. S. 3, Z. 1
v. u. lies 1865 ft. 1866; S. 5, Z. 1 v. u. VII 26 ft. 30. S. 14,
Z. 2 v. u. hac ft. hoc. Noch eine Kleinigkeit: Petfchenig
hat in feiner Ausgabe lobenswerther Weife neben der
Capitelzählung auch Paragraphenzählung eingeführt; die
Ausgabe zeichnet fich dadurch vortheilhaft vor mancher
anderen Wiener Ausgabe aus. Aber was hilft die Einrichtung
, wenn man keinen Gebrauch von ihr macht?
Hoch, der nach eigener Angabe Petfchenig benutzt,
hätte feinen Leiern oft fchneller zum Ziele verhelfen
können, wenn er neben den Capiteln auch die Paragraphen
angeführt hätte.

Giefsen. G. Kruger.

1. Hartfelder, Gymn.-Prof. Dr. Karl, Philipp Melanchthon
als Praeceptor Germaniae. [Monumenta Germaniae
paedagogica, 7. Bd.j Berlin, A. Hofmann & Co., 1889.
(XXVIII, 687 S. gr 8.) M. 20. -

2. Hartfelder, Gymn.-Prof. D. Dr. Karl, Melanchthoniana
paedagogica. Eine Ergänzung zu den Werken Melanch-
thons im Corpus Reformatorum, gefammelt und erklärt
. Leipzig, Teubner, 1892. (XVIII, 287 S. mit
1 Bildnifs M.'s, gr. 8.) m. 8. —

I. Der fiebente Band der Monumenta Germaniae
Paedagogica, den Profefforen Ribbeck und Baffermann
gewidmet, fchliefst fich den früheren Bänden würdig an
und hat Anfpruch auf allfeitige Beachtung. Für jeden,
der fich eingehend und zufammenhängend mit der Ge-
fchichte der Pädagogik und des Schulwefens befchäftigt,
wird fortan Hartfelder's vorzügliches Werk ,Phil. Melanchthon
als Praeceptor Germaniae1- nicht blofs ein werthvolles
, fondern ein unentbehrliches Hülfsmittel fein. Aber
auch für die deutfehe Reformationsgefchichte und für
die allgemeine Culturgefchichte bietet es reichhaltigen,