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Ausgabe:

1895 Nr. 14

Spalte:

362-364

Autor/Hrsg.:

Lambros, Spyridion

Titel/Untertitel:

Catalogue of the greek manuscripts on Mount Athos, edited for the Syndics of the University Press. Volume I 1895

Rezensent:

Meyer, Philipp

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361 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 14. 362

luvt theils abfichtlich umdeuten, theils unbewufst ab-
fchwächen, in feiner religiöfen Bedeutung zerfrören oder
preisgeben und oft nur noch den Schein des Wunderglaubens
fefthalten. Die geiftvoll angelegte und ge-
fchickt durchgeführte Kritik gelangt ohne Mühe zu dem
Ergebnifs, dafs es heutzutage keinem proteftantifchen
Theologen mehr möglich ift, den biblifchen Wunderbegriff
in feinem ganzen Umfang und mit allen feinen
Confequenzen zu vertreten, dafs vielmehr felbft eine
grofsfprecherifche Apologetik dem Wunder gegenüber
eine gebrochene Stellung einnimmt und die theoretifche
Betonung des miraculum durch das praktifche Verhalten
thatfächlich widerlegt. Doch M. begnügt fich
keineswegs mit diefer negativen Erörterung. Mit feinem
religiöfen Verftändnifs fucht er dem zeitgefchichtlich
bedingten Wunderglauben der biblifchen Verfaffer eine
Seite abzugewinnen, welche auch für uns noch von-
bleibendem Werthe fein mufs. Zu diefem Zweck ift er
genöthigt, allgemeine Betrachtungen anzuftellen, die_ er
aus dem Bereiche der Erkenntnifstheorie entlehnt. Klar
und treffend unterfcheidet er die auf Erforfchung des
caufalen Zufammenhangs der Dinge ausgehende Welt-
wiffenfchaft von der in der gottgewirkten Gewifsheit
eines ewigen Liebeszweckes wurzelnden religiöfen Welt- ;
anfchauung. Von diefem Standorte aus hebt er die
nothwendige Wechfelbeziehung der Vorftellung von Wundern
zu dem religiöfen Vorfehungsglauben hervor. Mit
grofser Wärme bringt er diefen religiöfen Charakter des
als Bethätigung des väterlichen Heilswillens Gottes ge-
fafsten Wunders zur Geltung. Trotzdem kann ich mich '
des Eindrucks nicht erwehren, dafs bei der Leetüre des
Vortrags ein Gefühl der Unbefriedigung und der Un-
ficherheit die felbft für die fchönen Ausführungen des
Verfaffers empfänglichen Lefer befchleichen mufs. Obgleich
nämlich M. den Wunderbegriff fehr entfehiederi
als eine Ausfage der religiös-teleologifchen Weltanfchau-
ung bezeichnet, drängt fich ihm immer wieder die
empirilche Weltbetrachtung auf, und er behandelt dem-
gemäfs zu wiederholten Malen das Wunder doch wiederum
als eine auf caufalem Wege conftatirbare und beweisbare
Erfcheinung. Wenn er, S. 25, bemerkt, ,das Wunder ift
die Erhörung des Gebets', fo bleibt er dem von ihm
felbft richtig angegebenen Standpunkt treu; wenn er
aberfofort hinzufügt: ,diefeErhörung gefchieht ohne jede
Verletzung der Naturgefetze', fo wird man urtheilen
muffen, dafs durch diefe Anmafsung, über die Art des
göttlichen Wirkens eine Erklärung abzugeben, durch
diefe Verquickung des religiöfen Wunderglaubens mit
dem theoretifchen Naturerkennen, M. das Problem in ein
Gebiet hinüberfpielt, in welches es einmal nicht gehört.
Sehe ich recht, fo hat der Verf. in diefem Ausfpruch
und im Folgenden fagen wollen, dafs die in der Welt-
wiffenfchaft&nothwendige ätiologifche Betrachtung der
Dinge die teleologifche Betrachtung derfelben nicht aus-
fchliefst, dafs vielmehr der Naturmechanismus felbft
einem höheren Zwecke dienftbar ift. Das aber ift ein
Urtheil, das nicht empirifch feftltellbar, fondern nur auf
religiös fittlichem Wege, durch einen Act des Glaubens
zu gewinnen ift. Aus diefer an verfchiedenen Orten des
Vortrags hervortretenden Unklarheit rühren auch im
Einzelnen Ausfagen, die man nicht ohne Befremden, ja
nicht ohne pofitiven Widerfpruch vernehmen wird. Was
foll zum Beifpiel die merkwürdige Behauptung, dafs der
Chrift in feinen Gebeten Gott nur um Dinge bittet, von
denen er weifs, dafs fie den Naturgefetzen conform find
(S. 21)? Hätte M. gefagt, dafs der Chrift feinen Glauben
an die väterliche Vorfehung Gottes nicht von wunderbaren
Erfahrungen und Erlebnifsen abhängig macht,
fondern dafs ihm die in Chriftus geoffenbarte und verbürgte
Gnade Gottes genügt (2 Cor. 12, 9), fo würden
wir ihm aus ganzer Seele zuftimmen. So wie er lieh
ausdrückt, wird die von ihm an verfchiedenen Stellen
treffend zum Ausdruck gebrachte Erkenntnifs getrübt

j und feine Pofition in bedenklicher Weife erfchüttert.
I Die Mittel zur Richtigftellung folcher Ausfpruche lind
in dem Vortrage M.'s felbft enthalten, aber wir begreifen
es, wenn manche Zuhörer oder Lefer, den inneren Zu-
fammenhang der hier entwickelten Gedanken vermiffend,
fich fowohl angezogen als abgeftofsen fühlten und die
Synthefe der doppelten Reihe von Ausfagen nicht her-
zuftellen im Stande waren. Immerhin ift M.'s Effay,
ohnehin durch die edle Popularität der Sprache feffelnd,
durchaus geeignet, die hier angeregten Fragen auf's Neue
in Flufs zu bringen, und Niemand wird die Eröffnungsrede
des Parifer Theologen ohne Belehrung aus der
Hand legen. — Ich höre, dafs foeben eine mit Nachträgen
verfehene deutfehe Ueberfetzung von Dr. th. A.
Baur, ev. Decan in Münfingen (Württemberg) herausgegeben
worden ift. Diefelbe ift mir noch nicht zu Gerichte
gekommen.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Lambros, Prof. Spyr. P., Catalogue of the greek manu-
scripts on Mount Athos, edited for the Syndics of the
University Press. Volume 1. Cambridge, at the Uni-
versity Press, 1895. (VIII, 438 S. 4.) 21 s.

Prof. Lambros hat bekanntlich im Jahre 1880 mit
Hülfe einiger feiner Schüler die Bibliotheken der Athos-
klöfter mit Ausnahme von Watopedi und der Lawra
katalogifirt. Von diefem Katalog wurde bereits ein Heft
im Jahre 1888 veröffentlicht, das Herr Prof. v. Gebhardt
in Nr. 2 des Jahrgangs 1889 diefer Zeitfchrift befprochen
hat. Der Inhalt diefes Heftes, das in Athen und auch
in geringerer Ausftattung erfchienen war, hat Lambros
in dem vorliegenden Bande auf S. 1—74 wiederholt.

Man darf an die Bibliotheken der heutigen griechi-
fchen Klöfter nicht mit den Vorausfetzungen treten, wie
an eine abendländifche Bibliothek mit griechifchen Pland-
fchriften. Diefes find todte Sammlungen, jenes lebendige.
Bei uns wird gefammelt, was nach abendländifcher
Schätzung Werth hat, dort haben die Bücher den Be-
dürfnifsen der Klöfter gedient und dienen ihnen auch
noch. Diefe Mafsftäbe find ganz verfchieden. Aufser-
dem find die orientalifchen Bibliotheken vielfach geplündert
und in's Abendland gefchleppt. Alte Bibel-
handfehriften findet man daher bekanntlich auf dem
Athos nicht mehr. Claffiker find ebenfalls nicht ftark
vertreten. Handfchriften, die Literatur aus der alten
Kirche enthalten, find nur aus Verfehen dort liegen geblieben
. Was man dort findet, find Minuskeln des Neuen
Teftamtnts, dabei wunderbar fchön erhaltene und verzierte
, vor allem aber aus der älteren Zeit die Väter der
griechifchen Kirche, foweit iie grundlegend für diefe
find, namentlich Chryfoftomos, den eigentlichen Normalvater
der Griechen, dann die Cappadocier, auch Atha-
nafius, daneben die Myftiker wie den Areopagiten und
Johannes Klimakos. Das Mittelalter ift fparfamer vertreten
, dagegen nehmen die Polemiker gegen die Lateiner
einen grolsen Platz ein, namentlich 'die des 15. Jahrhunderts
. Dann fcheint der Gefchichte entfprechend
wieder eine Lücke einzutreten. Aber vom 16. Jahrhundert
an beginnt die neugriechifche Literatur. Neben den
Vätern erwartet und findet man mit Recht eine grofse
liturgifche Literatur. Menäen, Synaxarien, Euchologien,
mufikalifche Handfchriften find fehr zahlreich. Eine dritte
Abtheilung bilden die kirchenrechtlichen Sammlungen.
Hier ift auch manches Werthvolle noch zu haben. Daneben
wuchert die Mönchsliteratur, die asketifchen Trac-
tate, die Kloftergefchichten; die apokalyptifchen Weis-
fagungen nehmen auch einen grofsen Raum ein.

Alle diefe Werke find aus faft allen Jahrhunderten,
etwa vom neunten an, vertreten. Auch nachdem lange
die Buchdruckerkunft erfunden, ichrieb man noch in den
Klüftern ab. Selbft das 19. Jahrhundert hat noch eine

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