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Ausgabe:

1895 Nr. 1

Spalte:

16-17

Autor/Hrsg.:

Rothe, Rich.

Titel/Untertitel:

Uebersicht der theologischen Ethik 1895

Rezensent:

Nitzsch, Friedrich August Berthold

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15 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 1. 16

mufs man die Summa ftudiren? Die erfte gilt als ent-
fchieden durch Leo's III. Encyklika Aeterni Patris ,de
philosopkia christiana ad mentem Angelici Doctoris in
scholis catliolicis instauranda1, und felbft ergriffen vom
Geift und Stil der Scholaftik kleidet der Verf. feine Antwort
in folgenden Kettenfchlufs (S. 4): ,Eine gute und
befonders eine fehr gute Philofophie ift höchft wichtig.
Nun ift aber die Philofophie des heil. Thomas vor allen
(eigentlich unter allen, entre toutes) gut, fehr gut. Folglich
mufs man diefe Philofophie ftudiren oder zu ihr zurückkehren
, wenn man fie verlaffen hat'.

Die beiden Prämiffen werden nun, unter Berückfich-
tigung der Gegner, die auch in der katholifchen Kirche
nicht fehlen, namentlich des ,Profeffor'Paffaglia, imWefent-
lichen mit den Worten der päpftlichen Encyklika begründet
, fodann wird zur fonderlichen Empfehlung der
Summa des Th. übergegangen und namentlich darauf
hingewiefen, dafs das Werk aus den heften Jahren feines
Verfaffers herrühre, dafs es von der Kirche felbft empfohlen
fei, dafs Thomas es als Handbuch gedacht
habe, dafs es nichts Unnützes und keine Wiederholungen
(?!) enthalte, dafs es in der Metaphyfik der Summa
keine veralteten Probleme gebe, dafs Gedanken und
Form präcis, einfach (!) und klar feien, endlich dafs Th.
je nach Bedürfnifs glücklich zwifchen der fynthetifchen
und der analytifchen Methode abgewechfelt habe. Ob
nun wirklich alle diefe Eigenfchaften der Summa mehr
beiwohnen, als gewiffen anderen Schriften des Doctor
angelicus, bleibe dahingeftellt. Immerhin hat es dem
Verf. bei diefer zweiten Frage weniger an Stoff gefehlt,
als im 3. Capitel, wo es fich um die Art und Weife
des Studiums handelt. Hier ertheilt er den Rath, fich
den allgemeinen Plan des Werkes ftets vor Augen zu
halten, fich fynoptifche Tafeln anzulegen, endlich fchola-
ftifche Vocabularien und Commentare zu benutzen. Das
ift aber auch das einzige Pofitive, was er hier vorzubringen
weifs. Im Uebrigen weifs er nur zu fagen, man
müffe Courage zur Leetüre mitbringen, dann werde
das Studium ein angenehmes Gefchäft fein-, unzugänglich
fei die thomiftifche Lehre trotz ihrer Erhabenheit durchaus
nicht.

Was nun die Analyfe des Inhaltes der Summa,
d. h. den Hauptbeftandtheil des Buches, hetrifft, fo ift
diefelbe zur erften Einführung in das Syftem des Aqui-
naten wohl zu gebrauchen, aber für eine gründliche, ftreng
wiffenfehaftliche, unbefangen kritifche Erforfchung des-
felben bietet fie wenigftens deutfehen Theologen kein
nennenswerthes Hülfsmittel, wie dies manchen neueren
Specialunterfuchungen deutfeher katholifcher Theologen
über die Lehre des Thomas nachgerühmt werden kann;
dazu ift die Darftellung im Allgemeinen zu glatt und
rhetorifch, die Anerkennung undLöfung wirklicher Schwierigkeiten
zu oberflächlich. Nur wo es fich um Rein-
wafchung des Idealdogmatikers von gewiffen Ketzereien
handelt, da wendet Herr Berthier feinen ganzen
Scharffinn und alle feine Kenntnifs der Commentatoren
des ,Engels der Schule' an, und es fragt fich nur, ob mit
Erfolg. Wir greifen die unbefleckte Empfängnifs der
Maria heraus, die Th. nach der gewöhnlichen Anficht
leugnet. Diefer giebt nämlich zwar zu, dafs Maria noch
vor ihrer Geburt (natürlich sensu passivö) durch Bindung
(ligatio) der Concupiscenz von der Erbfünde durch
Gottes Gnade gereinigt wurde, aber nicht, dafs dies
fchon im Moment der Empfängnifs, d. h. der (unter den
Vorausfetzungen des Creatianismus erfolgten) Eingiefsung
ihrer Seele (in den betreffenden Fötus) ftattgefunden
habe (S. th. 3, qu. 27, a. 2 u. 6; In sentt. 3, dist. 3, qu. I,
art. 1; Compenä. theol. c. 244). Alfo anima Virginis fuit
contagio originalis peccati inquinata. Hingegen verkündigte
Pius IX. als geoffenbartes Dogma, dafs Maria im
erften Augenblick ihrer Empfängnifs (in primo
instanti suae coneeptionis) vor aller Befleckung mit der
Erbfchuld im Voraus bewahrt worden fei (ab omni originalis
culpae labe praeservatam immunem). Beides fucht
nun Herr Berthier folgendermafsen mit einander zu vereinigen
: Unter der Empfängnifs, von welcher Th. leugne,
dafs bei derfelben Maria geheiligt, d. h. vor der Erbfünde
im Voraus fichergeftellt worden fei, könne er recht
gut die coneeptio foetus verftanden haben, alfo nicht die
coneeptio personae, nicht die Erfchaffung ihrer vernünftigen
Seele, obgleich erft durch deren Eingiefsung die
Leibesfrucht zu einem menfehlichen Wefen geworden
fei. Man müffe aufserdem zwifchen debitum und culpa,
ferner zwifchen einem zeitlichen und einem logifchen
Nachher oder Vorher unterfcheiden. Dafs die heil. Jungfrau
quoad debitum (d. h. virtualiter oder in potentia),
alfo nach der Potentialität in die Erbfünde verftrickt
wurde (nur eben nicht quoad culpam), habe auch fpäter
die Kirche nicht geleugnet, ebenfowenig, dafs die Heiligung
der Maria im logifchen Sinne (vermöge einer
posteriorite de raison) erft nach der Empfängnifs (ihres
Fötus) erfolgt fei (nur nicht im zeitlichen). Die Beur-
theilung diefer Hypothefe überläfst Ref. feinen Lefern.
Unbefangenere katholifcheTheologen, wiejofeph Schwane
(vgl. deffen Dogmengefchichte der mittler. Zeit, 1882,
S. 420p), erklären alle derartigen Ausgleichungsverfuche
für ausfichtslos. Doch ift es auch für proteftantifche
Theologen nicht ganz ohne Intereffe, von fbichen Kenntnifs
zu nehmen.

Kiel. F. Nitzfeh.

Rothe, D. Rieh., Uebersicht der theologischen Ethik. Aus

deffen Handfchrift hrsg. von D. Rud. Ahrendts.
Bremen, Heinflus Nachf., 1895. (XVI, 302 S. gr. 8.)

M. 6.— ; geb. M. 7.50

Was hier gegeben wird, erhellt zwar zum Theil, jedoch
noch nicht vollftändig aus dem Titel. Denn diefer
läfst die Deutung zu, Rothe habe, nachdem er feine Ethik
zuerft i. J. 1845, dann in zweiter ,völlig neu ausgearbeiteter'
Auflage 1867 herausgegeben, fei es nun zu feinem eigenen
Privatgebrauch oder fei es für das grofse Publicum, zuletzt
nachträglich auch noch einen ,kurzen und doch
richtigen und verftändlichen Auszug' aus dem voll-
ftändigen Werk geben wollen, etwa um das Verftändnifs
feines Syftems zu erleichtern und fchliefslich das felbft
mühelos zu leiften, was zu leiften feinen früheren Recen-
fenten, wie er felbft fagt (f. die Note auf S. XI der
Vorrede zur 2. Auflage), fo fchwer geworden war. In
Wahrheit ift was vorliegt nicht fpäter, als die zweite Auflage
, entftanden, auch für den Druck und für das grofse
Publicum vom Verf. nicht ausgearbeitet worden. Vielmehr
handelt es fich um eine zwifchen dem Erfcheinen
der erften und dem der zweiten Auflage zeitlich im
Wefentlichen in der Mitte liegende, innerhalb diefer
Zwifchenzeit übrigens verfchiedenen Perioden entflammende
authentifche Geftalt der R.'fchen Ethik, und zwar
um das im Nachlafs vorgefundene Collegienheft des
Autors, welches allerdings einen für die akademifchen Zuhörer
beftimmten Auszug oder eine ,Ueberficht' enthält.
Ob es ein glücklicher Gedanke war, diefes Collegienheft
jetzt als opus posthumum herauszugeben, diefe Frage
wird man verfchieden beantworten, je nachdem man
einerfeits den bleibenden objectiven Werth der Ethik
Rothe's hoch oder gering fchätzt, andererfeits die Erfahrung
gemacht hat, dafs die thatfächliche Nachfrage
noch fortdauert, oder nicht. Referent nun hat zwar niemals
, weder als Student, als er zu den Pufsen des verehrten
Lehrers fafs, noch fpäter zu denjenigen gehört,
die mit ihm durch ,dick und dünn' gingen. Aber er hat
auch niemals aufgehört, davon überzeugt zu fein, dafs
man gewiffe Dinge — und zwar wichtige — von Rothe
beffer lernen kann, als von den Früheren und Späteren.
Veraltet find die aprioriftifchen Conftructionen aus dem
abftracten Gedanken des ,Abfoluten', die zur ,Grund-