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Ausgabe:

1895 Nr. 13

Spalte:

336-338

Autor/Hrsg.:

Mackintosh, William

Titel/Untertitel:

The natural history of the christian religion. Being a study of the doctrine of Jesus as developed from Judaism and converted into dogma 1895

Rezensent:

Harnack, Adolf

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335 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 13. 336

faffung von 1 Cor. 15 in der eschatologifchen Anfchauung
des Apoftels hervortrete: im erften Corintherbriefe verbinde
Paulus die Auferflehung mit der nahe bevor-
ftehenden Parufie; im 2. Corintherbrief laffe er die Ver-
fetzung in das pneumatifche Leben fofort nach dem
Tode der Gläubigen eintreten. Ueber die Gründe diefer
Aenderung denkt Sabatier im Wefentlichen wie Schmiedel
. ,In der 2 Cor. 1, 8—10 berührten Todesnoth mufs

fpiritualiftifcher Theorien vollzogene Verflüchtigung der
paulinifchen Gedanken zu erblicken.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Mackintosh, William, M. A., D. D., The natural history of
the Christian religion. Being a study of the doctrine
of Jesus as developed from Judaism and converted
dem Apoftel der Gedanke des xouiüoöai,, den die Ge- into do Glasgow, Maclehose & Sons, 1894.

wifsheit der unmittelbar zu erlebenden Parufie bisher i , ~ „ *

ferne gehalten, in feiner ganzen Furchtbarkeit entgegen
getreten fein, und er konnte fich nicht denken, dafs ihn
der Herr, den er fo glühend liebte, wenn auch nur auf

(XV, 607 S. gr. 8.)

Diefes Buch hält, was es auf dem Titel verfpricht:
mit höchfter Energie find hier alle fupranaturalen Elemente

Zeit von fich ftärker getrennt fein laffen werde, als er es 1 aus der Gefchichte des Chriftenthums entfernt und ift eine

auf Erden war . . . War es der Befitz des Geiftes, der
die Gläubigen zur Erlangung eines himmlifchen Leibes
befähigte oder gar in allmählichem Fortfehritt auf Erden
vorbereitete, fo ift ein Stillftehen diefer Wirkung zwifchen
Tod und Parufie unmotivirt. Dasfelbe flammt in der
That nur aus der altteftamentlichen Vorftellung, die von

natürliche Gefchichte desfelben von feinen Anfängen bis
zum Gnofticismus und dem Johannes-Ev. hin — denn
fo ordnet der Verfaffer — geboten. Unter fupranaturalen
Elementen verlieht Mackintofh aber nicht nur Mirakel
und Prophezeiungen, fonders das eigentlich Supranaturale
ift ihm der Erlöfungsgedanke, fofern er ,heterofoterifch'

diefer Wirkung des Geiftes noch nichts wufste; früher i ift und über ,Selbfterlöfung' hinausführen will, ferner Überoder
fpäter mufste die neue Idee die alte Form zerbrechen
. Und damit gefchah ein höchft wichtiger Schritt.
Einerfeits wurde das religiöfe Poftulat fteten Lebensverkehrs
mit Chriftus erfüllt, andererfeits feine Herabkunft
vom Himmel, ein gemeinfamer Zeitpunkt der Auferflehung
und des Gerichts überflüffig, das Gericht in den Tod,
bezw. in den Entwickelungsprocefs auf Erden, der Ort
der ewigen Seligkeit von der Erde in den Himmel ver-

haupt jede Anfchauung, die in irgend einer Religion
etwas anderes fehen will als phe common religious instinet,
working under the influence of natural forces and amid
historical conditions'. Indem er den myftifchen Aberglauben
der Erlöfung auf jeder Seite bekämpft und dem-
gemäfs alle chriftlichen Dogmen, die aus ihm gefloffen
find, erinnert feine Polemik fowohl an die der alten eng-
lifchen Deiften, als in noch höherem Mafse an die des

legt' (Hdcm. II, 201). — Gegen diefe m. E. unanfechtbare I Pelagius und des Julian von Eklanum gegen Auguftin;
Ausführung wendet fich Godet (Rev. ehret. I&g4, 194—206). I denn das, was Paulus und Auguftin als das Wefen des

Eine folche Aenderung in der Stimmung und Anfchauung
des Paulus fei durch die Thatfache ausgefchloffen, dafs
der Apoftel auch in den fpäteren Briefen die Parufie des
Herrn erwartet, — eine Inftanz, welche aber durch die
Erwägung hinfällig wird, dafs eben Paulus feine neue
Auffaffung noch nicht völlig durchgeführt hat, zumal da
ihm fein Tod vor der Parufie nur eine Möglichkeit ift.
Die Stelle 2 Cor. V, 1—10 erklärt Godet, indem er feinen
Standort in 1 Cor. XV einnimmt: das e%ofiev drücke einen
erft bei der Parufie zu verwirklichenden Befitz aus. Wie
hätte ohne dies der Apoftel feine fubjective Anfchauung,
oXöauev, V, 1, einem Worte des Herrn, einer Offenbarung
von ihm (1 Theff. IV, 15; 1 Cor. XV, 51) entgegenftellen
können? Von irgend einer Umbildung der Anficht des
Apoftels über diefen Punkt könne nicht die Rede fein! —
Hier fetzt nun Prof. Brufton mit feiner Unterfuchung ein.
Auch er ift der Meinung, dafs der Apoftel, abgefehen
von einzelnen Nüancen im Ausdruck (Seite 28), feiner
Anfchauung treu geblieben ift. Nur interpretirt er die
paulinifche Eschatologie ganz im Sinne, den Sabatier,
Schmiedel u. A. in der Stelle 2 Cor. V gefunden: eine
eigentliche Auferflehung des Leibes, welche unmittelbar
auf die Parufie folgte, habe Paulus überhaupt nicht gelehrt
; vielmehr fei feine Vorftellung die, dafs der Ueber-
gang aus dem irdifchen in's himmlifche Leben bei Chriftus
ein fofortiger fei. Diefes Ergebnifs gewinnt Brufton
durch eine Exegefe, welche Ref. von Willkür und Ge-
waltfamkeit nicht freizufprechen vermag: vor Allem kommen
1 Theff. IV, 13—16 und 1 Cor. XV, namentlich V. 23
und 52 nicht zu ihrem Recht. Auch im Einzelnen wird
Brufton's Erklärung Widerfpruch hervorrufen: fo z. B.
die Deutung des Ausdrucks yu/.ivoi V, 3; die Anficht,
nach welcher die Todtenauferftehung bei der Parufie nur
das Offenbarwerden der bereits verklärten und fofort
nach dem Tode mit einem pneumatifchen Leibe bekleideten
Gläubigen fei; die Beftreitung des eschatologifchen
Charakters von Phil. IV, 5 (6 y.vqios eyyvg); die Statuirung
einer doppelten Auferftehung bei Paulus (S. 24. 27) u. f. w.
Ref. kann nicht umhin, in diefem Auffatz, welcher fich
in der Richtung der früheren Unterfuchung Brufton's,

Evangeliums gefafst haben, ift ihm feine Verkehrung,
und nur in der Zurückführung der Religion auf die natürliche
(aber fich entwickelnde) Moral fieht er Vernunft.
Dabei glaubt der Verf. auffallenderweife, dafs feine Betrachtung
das Ergebnifs der allerneueften Stufe menfehlicher
Erkenntnifs fei modern criticism') und vorher gar nicht
oder nur ganz unficher vorhanden fein konnte. Dafs dem
aber nicht fo ift, lehrt die Kirchengefchichte. Verhältnifs-
mäffig neu ift nur die entfchloffene Gleichfetzung des
Supranaturalen im Sinne des Mirakels und im Sinne der
Religion (der Erlöfung, der Gotteswirkungen) überhaupt.
Aber wie fich im Pelagianismus die Umfetzung der chriftlichen
Religion in natürliche Moral und ,Autofoterismus'
vollzogen hat, ohne dafs ein einziges fupranaturales Element
der überlieferten Religion preisgegeben worden wäre, fo
ift umgekeht die paulinifche (auguftinifche) Faffung der
chriftlichen Religion nicht nothwendig an die Mirakel
gebunden, wenn fie auch den Begriff des Supranaturalen
fefthält. Dafs man in dem Lande Carlyles heute fo
fchnell mit dem Wefen der Religion gegenüber der Moral
fertig wird, ift höchft erftaunlich. Gilt der Prophet in
feinem Vaterlande nichts mehr oder nur noch als ,alter
Confufionsrath', wie wir ihn bei uns haben fchelten
hören? Im Unterfchied von Caird's fpeculativer und
philofophifcher Methode {The Evolution of Religion)
will M. die kritifche und hiftorifche befolgt haben,
und die Wahrheit foll fo aus zweier unabhängiger
Zeugen Mund ans Licht geftellt fein. Diefe Methode
hat ihn zu demfelben Ergebnifse geführt wie Caird, dafs
,the intuitive utterances of Jesus commend themselvcs to,
and coincide with the profoundest moral views of modern
philosophf. Die Vertheidigung des Spiritualismus und
Univerfalismus der Predigt Jefu, die Darlegung der ,auto-
soteric nature of his doctrine'' und der fpirituellen Transformation
der jüdifchen Religion durch Jefus, der Nachweis
, wie Jefus dazu kommen konnte, den Anfpruch
zu erheben der Meffias zu fein, ohne doch den einfachen
Anfpruch, ein Lehrer zu fein (,simplj> a teacher1), defs-
halb zu ändern — diefe Capitel find dem Verf. die wich-
tigften. In der Vertheidigung des reinen Spiritualismus

La vie future d'apres l'enseignement de Jesus Christ, 1890 j und Univerfalismus Jefu geht er fehr weit; er bekämpft
(vgl. Th.Lztg., 1892, Nr.4) bewegt, eine im Sinne moderner ! nicht nur von Hartmann, fondern auch B. Weifs,